Das baden-württembergische Innenministerium will trotz bundesweiter Kritik an seinem neuen Einbürgerungs-Fragebogen für Muslime festhalten. Eine Ministeriumssprecherin sagte am Donnerstag in Stuttgart, der Gesprächsleitfaden werde nicht zurückgezogen. Wie berichtet, hat Innenminister Heribert Rech (CDU) einen »Gesprächsleitfaden« mit 30 Fragen ausarbeiten lassen, der ausschließlich gegenüber Muslimen zu verwenden ist, um vor einer Einbürgerung das »Bekenntnis zur freiheitlich-demokratischen Grundordnung« zu überprüfen. Die Fragen betreffen politische Probleme wie die persönliche Einstellung zu Situationen des Privatlebens und sind per se schon diskriminierend.
Einbürgerungswillige Muslime werden unter anderem gefragt, wie sie zu Kritik an ihrer Religion stehen, ob die Frau dem Ehemann gehorchen müsse und ob die Werteordnung des Grundgesetzes den persönlichen Vorstellungen entspricht. »Halten Sie es für zulässig, daß ein Mann seine Frau oder Tochter zu Hause einschließt, um zu verhindern, daß sie ihm in der Öffentlichkeit Schande macht?«, wird da gefragt. Oder: »Würden Sie sich auch von einer Ärztin (männlicher Einbürgerungsbewerber) oder einem Arzt (Einbürgerungsbewerberin) untersuchen oder operieren lassen?« Andere Fragen zielen auf das Thema Homosexualität ab: »Stellen Sie sich vor, Ihr volljähriger Sohn kommt zu Ihnen und erklärt, er sei homosexuell und möchte gerne mit einem anderen Mann zusammenleben. Wie reagieren Sie?« Oder: »In Deutschland haben sich verschiedene Politiker öffentlich als homosexuell bekannt. Was halten Sie davon, daß in Deutschland Homosexuelle öffentliche Ämter bekleiden?«
Besonders perfide sind zwei Fragen, die suggerieren, Muslime seien unter Generalverdacht wegen der »terroristischen Bedrohung« zu stellen. Zum einen wird auf den 11. September 2001 in New York und den 11. März 2004 in Madrid Bezug genommen und gefragt: »Waren die Täter in Ihren Augen Terroristen oder Freiheitskämpfer?« Zum anderen wird in unverschämter Weise Terrorismusnähe von Muslimen unterstellt mit der Frage: »Sie erfahren, daß Leute aus Ihrer Nachbarschaft oder aus Ihrem Freundes- oder Bekanntenkreis einen terroristischer Anschlag begangen haben oder planen. Wie verhalten Sie sich? Was tun Sie?«
Der Stuttgarter Innenminister bewege sich mit dem Fragebogen verfassungsrechtlich auf dünnem Eis, meinte die rechtspolitische Sprecherin der FDP-Bundestagsfraktion, Sabine Leutheusser-Schnarrenberger. Sie kritisierte, daß die Bewertung des Fragebogens subjektiv sei und die Daten in einer »Gesinnungsdatei« gespeichert würden. Eine klare Gegenposition formulierten die Bundestagsabgeordneten der Fraktion Die Linke Petra Pau und Sevim Dagdelen. Hinter den Fragen verberge sich das Bild der »kulturellen Rückständigkeit« von Muslimen und das Vorurteil, sie seien unfähig, sich zu integrieren. Auch Berlins Innensenator Ehrhart Körting (SPD) lehnte den Gesinnungstest als »populistisch« ab. Ironische Distanz kam sogar vom stellvertretenden Vorsitzenden der CDU/CSU-Fraktion im Bundestag, Wolfgang Bosbach, der im Tagesspiegel am Mittwoch erklärte, »die Frage nach dem Schwimmunterricht kann nicht darüber entscheiden, ob jemand auf dem Boden der Verfassung steht«. Volker Beck, Parlamentarischer Geschäftsführer der Grünen im Bundestag, bezeichnete den Test als »diskriminierend« und »heuchlerisch«.
Der Direktor des Zentrums für Türkeistudien, Faruk Sen, sprach sogar von »Rassismus«. Zwar habe jedes Land »das Recht, mit bestimmten Fragen bei der Einbürgerung von Ausländern die Loyalität zur gesellschaftlichen Ordnung abzuklopfen.« Wenn diese aber nur an Moslems gerichtet würden, sei das nichts anderes als »religiöse Ausgrenzung und Rassismus.« Die in Baden-Württemberg eingeführte Befragung leiste darüber hinaus der Angst vor dem Islam Vorschub und sei kontraproduktiv gegenüber jeglichen Integrationsbemühungen. Der Vorsitzende des Islamrats, Ali Kizilkaya, sieht in der Vorschrift einen Verstoß gegen das Gleichheitsprinzip des Grundgesetzes und meint, der Fragebogen, der bei dem Gespräch durchgegangen werden soll, sei eindeutig ein »Gesinnungstest« und »rechtsstaatlich sehr bedenklich«.
Aus: junge welt vom 06. Januar 2006