In der großen Koalition ist ein bizarrer Streit um die Familienförderung entbrannt. Vordergründig geht es dabei nur um steuerrechtliche Details der geplanten Absetzbarkeit von Kinderbetreuungskosten. Die Auseinandersetzung ist weit entfernt von den realen Problemen vieler Eltern. Profitieren können nur die Gutverdienenden und von Erwerbslosen ist ohnehin keine Rede. Ein Streit unter Konservativen, hinter dem aber eine Debatte um die Rollenverteilung in den Familien sichtbar wird. Eine Mehrheit in der CDU/CSU will an der traditionellen Heim-und-Herd-Ideologie festhalten und die Frauen wieder stärker in die Rolle des Hausmütterchens drängen. Bundeskanzlerin Angela Merkel hat sich dabei auf die Seite der Konservativen geschlagen und damit zugleich die eigene Familienministerin Ursula von der Leyen öffentlich demontiert.
Traditionalisten sind sauer
Als Angela Merkel die niedersächsische CDU-Politikerin Ursula von der Leyen ins Kabinett holte, versuchte die Kanzlerin damit, mehrere Interessen gleichzeitig zu bedienen. Frau von der Leyen hat sieben Kinder und schien daher aus CDU-Sicht ideal für das Familienministerium geeignet. Zugleich sollte die Ärztin ein Beispiel für die Vereinbarkeit von Familie und Karriere sein. Allerdings brachte die Tochter des hochbezahlten Managers und späteren niedersächsischen Ministerpräsidenten Ernst Albrecht (CDU) hierfür ganz andere materielle Voraussetzungen mit als Hunderttausende anderer Frauen. Insgesamt tat die Berufung von der Leyens dem Image der bläßlichen Regierung Merkel zunächst gut. Die Familienministerin löste aber bald Konflikte mit Finanzminister Peer Steinbrück aus, denn sie verlangte ausgabenwirksame Neuregelungen. Nach den Vorstellungen von der Leyens sollen die Kosten für Kinderbetreuung – wie Kita-Gebühren oder sogenannte Tagesmütter – künftig als Werbungskosten von der Steuer abgesetzt werden können. Bei den Familienpolitikern aus SPD, CDU und CSU setzte sich von der Leyen damit durch, daß der Steuervorteil nur dann gelten solle, wenn beide Elternteile berufstätig sind. Unter dieser Voraussetzung sollten sich die Betreuungskosten bereits ab dem ersten Euro steuermindernd auswirken. Das Argument der Ministerin: Das Ehegatten-Splitting führe ohnehin schon zu erheblichen Steuervorteilen in Familien mit nur einem Verdiener, so daß in diesen Fällen keine zusätzliche Steuerentlastung nötig sei.
Das brachte die Traditionalisten in der CDU auf die Palme. Der stellvertretende CDU-Vorsitzende und Vorsitzende der CDU-Grundwertekommission, Christoph Böhr, erklärte, daß die neue Familienpolitik in wichtigen Teilen mit Grundsätzen der Union kollidiere. »Daß Paare mit nur einem berufstätigen Elternteil Kinderbetreuungskosten nicht absetzen könnten, ist nicht hinnehmbar«, betonte Böhr, der zugleich als CDU-Spitzenkandidat in Rheinland-Pfalz die dortige Landtagswahl im Auge hat. Die CDU ist maßgeblich vom politischen Katholizismus geprägt. Ihr gilt die traditionelle Familie als »Keimzelle der Gesellschaft«. Die Ehe ist mit der althergebrachten Rollenverteilung des allein verdienenden Mannes und der für den Haushalt zuständigen Frau für die CDU eine gesellschaftliche Grundsäule. Deshalb war der Union die staatliche Kinderbetreuung in Ganztagsschulen, Kindergärten und Krippen, die die Berufstätigkeit von Frauen erleichtern kann, immer suspekt. Die CDU bevorzugte statt dessen die finanzielle Familienförderung.
Von der Leyen bleibt zwar mit ihrem Vorhaben auf dieser Linie, hielt sich aber nicht daran, die Ein-Verdiener-Familie zu bevorzugen. Trotzdem bekam sie auf der Kabinettsklausur in Genshagen am 16. Januar 2006 grünes Licht, allerdings mit der gravierenden Einschränkung, daß nur Kinderbetreuungskosten über 1000 Euro bis maximal 4000 Euro im Jahr steuerlich absetzbar seien.
Dagegen lief aber die CSU Sturm. Bundeskanzlerin Merkel ließ ihre Ministerin von der Leyen im Stich und erklärte am Montag nach einer Sitzung des CDU-Präsidiums: »Ich könnte mich der Forderung der CSU anschließen, daß nicht nur Familien mit zwei berufstätigen Eltern die Kosten für Kinderbetreuung abziehen dürfen, sondern auch jene Familien, in denen nur ein Berufstätiger Einkommen erzielt«. Von der Leyen mußte nach Merkels Machtwort einlenken.
Einspruch von der FDP
Unterdessen kam Kritik vom Koalitionspartner. Mit Blick auf die marode Staatskasse hat Finanzminister Peer Steinbrück (SPD) 460 Millionen Euro als jährliche Obergrenze für die Kosten der Förderung festgelegt. Die FDP-Abgeordnete Ina Lenke bemängelte in einer Pressemitteilung, wenn die Union durchsetze, daß künftig auch Alleinverdiener-Familien zusätzlich zum Ehegatten-Splitting die Kinderbetreuungskosten steuerlich absetzen könnten, seien »die geringverdienenden Frauen gleich doppelt gelackmeiert«. Das beweist, daß die CDU/CSU auch weiterhin an ihrer ideologischen Einstellung zum traditionellen Familienbild – Vater arbeitet, Mutter bleibt zu Hause – festhalten will.
In diesem Koalitionsstreit zeigten sich am Mittwoch Kanzlerin Angela Merkel und SPD-Chef Matthias Platzeck noch unversöhnlich. Merkel brachte zum Ausdruck, daß es bei der geplanten Familienförderung vor allem um die Schaffung neuer Arbeitsplätze gehen müsse. Die Kanzlerin machte damit deutlich, daß es ihr weniger um die Frauen als vielmehr um Kosmetik bei der Arbeitslosenstatistik geht. Dagegen betonte Platzeck, daß eine bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf sowie eine stärkere Unterstützung für Alleinerziehende und Geringverdiener wichtiger seien als neue Stellen in privaten Haushalten. »Wir sollten die Hoffnung nicht zu hoch schrauben, daß bei uns Haushalte als Arbeitgeber boomen und sozialversicherungspflichtige Beschäftigung schaffen«, warnte er in der Wochenzeitung Die Zeit. Die Spitzen der Koalitionsfraktionen wollen Ende dieser oder Anfang nächster Woche eine gemeinsame Linie vereinbaren.
Aus: junge welt vom 27. Januar 2006