Artikel: Etappensieg der Aufklärer

Der Bundestag wird am heutigen Donnerstag auf Initiative von Grünen und FDP über »Menschenrechtsverletzungen auf Kuba« diskutieren. Beiden Fraktionen geht es dabei aber weder um die Menschenrechte noch um Kuba. Bei dem Theaterstück, das sie im Parlament aufführen wollen, geht es vielmehr darum, die Linksfraktion vorzuführen.

Die Gelegenheit scheint günstig: nachdem im vorigen Monat drei Abgeordnete der Linkspartei einer kubafeindlichen Resolution im Europaparlament zugestimmt hatten, brach eine heftige Diskussion in der Partei los. Gegner wie Befürworter der Resolution prallten mit Unverständnis, Empörung und gegenseitigen Austrittsforderungen aufeinander. Grüne und FDP hoffen nun, daß sich das Strasbourger Szenario in Berlin wiederholt.

Mit den Menschenrechten passiert damit genau das, was ihre alternativ-liberalen Verfechter immer schon getan haben: Sie werden instrumentalisiert. Gerade die Grünen haben während ihrer Regierungszeit deutlich vorgeführt, was von ihrer Menschenrechtsrhetorik zu halten ist. Als sie vor fast sieben Jahren gemeinsam mit SPD, Union und FDP dem völkerrechtswidrigen Angriffskrieg gegen Jugoslawien zustimmten, ging es ihnen angeblich um die Menschenrechte. In deren Namen wurden Belgrad und andere jugoslawische Städte bombardiert. Im Namen der Menschenrechte haben sie mitgeholfen, die terroristische UCK im Kosovo an die Macht zu bomben. Die hat dann als erstes Serben, Roma und Juden vertrieben.

Die Menschenrechte, vor allem jene der Frauen, dienten auch als Vorwand, als die Grünen mit allen anderen Fraktionen außer der PDS den Krieg gegen Afghanistan beschlossen. Tatsächlich haben sie sich weder vor noch nach dem Krieg um die afghanischen Frauen gekümmert. Die Menschenrechte werden heute genauso verletzt wie zuvor, nur daß die Täter ausgewechselt wurden: Es sind nicht mehr die Taliban, sondern die US-Truppen und ihre Verbündeten, darunter auch das deutsche Kommando Spezialkräfte.

Haben die Menschenrechtsbeauftragten der Bundesregierung – bis Anfang dieses Jahres von den Grünen gestellt – irgend etwas an den unmenschlichen Zuständen in deutschen Abschiebeknästen geändert? Wo waren die Parteivorsitzende Claudia Roth und der Menschenrechtsbeauftragte Tom Koenigs oder die Bürgerrechtsfraktion der FDP, als deutsche Fahnder in Guantánamo ermittelten? Wo waren sie, als die CIA munter Gefangene durch Europa transportierte? Anstatt Alarm zu schlagen, zeigte sich Koenigs voller Verständnis, ja er weichte selbst das Folterverbot auf: »Die Aufgabe von Geheimdiensten ist es ja, aus allen möglichen Quellen Informationen zu erhalten. Und das müssen sie auch«, erläuterte er im Spiegel seine Haltung zum Einsatz des BND in auswärtigen Folterzentren.

Wo die Vertreter neoliberaler Politik nach Menschenrechten rufen, meinen sie die Durchsetzung imperialistischer Politik. Menschenrechtsforderungen sind für sie eine Waffe, die sie je nach strategischer Situation einsetzen. Nun fordern die Grünen also die Bundesregierung auf, »die Unterstützung von Menschenrechtsverteidigern zu intensivieren«, auf die »Freilassung aller wegen ihrer politischen Gesinnung Inhaftierten zu drängen« und die »Aufhebung des Reiseverbots« für kubanische Oppositionsgruppen zu fordern. Über die Wirksamkeit solcher plakativen Aktionen dürften sich auch die Grünen keine Illusionen machen. Das einzige, wozu so etwas gut ist, ist die ideologische Vorbereitung der nächsten Militärintervention.

Das heißt nicht, daß es über Kuba nichts zu diskutieren gäbe. Man könnte sich bei dieser Gelegenheit klar machen, daß Menschenrechte nicht nur aus politischen, sondern auch aus sozialen Rechten bestehen: zum Beispiel dem Recht auf umfassende Bildung und kostenlose Gesundheitsversorgung. Hier ist Kuba unter den Entwicklungsländern unbestrittener Vorreiter. Ein ebenso wichtiges Thema wäre die Blockadepolitik der USA, die alles andere als menschenrechtsfreundlich ist.

»Reiseverbote« sind fragwürdig, aber kein kubanisches Monopol. Auch die BRD nutzt sie als Mittel polizeilicher Prävention. In Form der Residenzpflicht für Asylbewerber dienen sie hierzulande außerdem als Mittel rassistischer Diskriminierung – allerdings ist das für die grünen »Friedensbomber« kein Thema. Die Freilassung aller politischen Gefangenen ist schnell verlangt, aber auch von den Grünen niemals ernsthaft betrieben worden, wie die anhaltende Inhaftierung von RAF-Angehörigen zeigt. Ganz zu schweigen von der Polizeigewalt, mit der es linke Demonstrationen regelmäßig zu tun bekommen.

Dokumentiert: Antrag von Bündnis 90/Die Grünen

I. Der Deutsche Bundestag begrüßt ausdrücklich die Entschließung des Europäischen Parlaments zur Haltung der EU gegenüber der kubanischen Regierung vom Februar 2006.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf, bilateral und auf europäischer Ebene die kubanische Regierung zur unverzüglichen Freilassung aller wegen ihrer politischen Gesinnung Inhaftierten zu drängen;

– gemeinsam mit den EU-Partnern gegenüber der kubanischen Regierung die Aufhebung des Reiseverbots für die »Damen in Weiß« und Oswaldo Paya Sardiñas zu fordern;

– die Verschärfung der Repressionen gegen die friedliche Opposition in Kuba bilateral und im Rahmen der EU gegenüber der kubanischen Regierung anzusprechen und auf eine Verbesserung der Menschenrechte in Kuba insgesamt und insbesondere der Presse- und Meinungsfreiheit zu drängen;

– den Dialog mit der demokratischen Opposition und die Unterstützung von Menschenrechtsverteidigern zu intensivieren.

Begründung:

(…) Das Europäische Parlament hat im Dezember 2005 den kubanischen »Damen in Weiß« den Sacharow-Preis für Menschenrechte verliehen. Die »Damen in Weiß« sind Familienangehörige der im Jahr 2003 verhafteten und verurteilten Regimekritiker, die seitdem couragiert für die Freilassung ihrer Angehörigen sowie für das Recht auf freie Meinungsäußerung in Kuba demonstrieren. Die kubanische Regierung verweigerte dieser Gruppe trotz vieler Bemühungen des Europäischen Parlaments und anderer europäischer Institutionen die Teilnahme an der Preisverleihung. Auch Oswaldo Paya Sardiñas, dem Sacharow-Preisträger des Europäischen Parlaments 2002, wird noch immer die Freiheit zur Aus- und Wiedereinreise nach Kuba verweigert.

Aus: junge welt vom 16. März 2006