Am 6. März 2006 kurz nach 8 Uhr drangen zwei Polizisten in die Kindertagesstätte Outlaw am Limbacher Weg im Dresdner Stadtteil Gorbitz ein und verlangten die Herausgabe eines dreijährigen Angolaners. Nachdem sich die Erzieher weigerten, den Jungen herauszugeben, kam polizeiliche Verstärkung. Schließlich erlaubte die Polizei, daß eine Vertrauensperson den Jungen im Streifenwagen zum Kinder- und Jugendnotdienst begleiten durfte. Vier Stunden später wurde der Junge in die Kindertagesstätte zurückgebracht.
Mit der Festnahme des Kindes wollten die Behörden an die Mutter herankommen. Diese war im April 2001 in die BRD eingereist. Ihr Asylantrag wurde jedoch abgelehnt. Die Zentrale Ausländerbehörde Chemnitz (ZAB) gab an, die Angolanerin sei am 6. März von der Polizei telefonisch aufgefordert worden, ihren Sohn aus der Kindertagesstätte abzuholen. Angeblich soll auch gedroht worden sein, das Kind notfalls allein nach Angola abzuschieben. Mutter und Sohn sind mittlerweile untergetaucht.
Dieser bisher einmalige Skandal, ein Kind für die Abschiebung der Mutter zu instrumentalisieren, ist inzwischen bundesweit bekanntgeworden und hat zu heftigen Vorwürfen gegen die Polizei geführt. Sachsens Linksfraktion brachte am Freitag einen Berichtsantrag zu dem Fall in den Landtag ein. Ihre innenpolitische Sprecherin, Parteichefin Cornelia Ernst, erklärte, es werde »zu prüfen sein, inwiefern hier polizeiliches Handeln nicht nur die Menschenwürde verletzt hat, sondern bereits als eine schwere Straftat zu beurteilen ist«. Die sächsische Ausländerbeauftragte Friederike de Haas (CDU) erklärte, gerade bei Kindern müsse im Zweifel das Interesse an einer schnellen Abschiebung hinter dem Kindeswohl zurückstehen. Die Staatsanwaltschaft Dresden prüft derzeit, ob gegen die Polizeibeamten ein Ermittlungsverfahren wegen Freiheitsberaubung eingeleitet wird.
Der Boden für solche Aktionen wird von den Politikern bereitet, die mit Ausländerhetze Wahlkampf betreiben. Die CDU in Baden-Württemberg hat mit ihrem absurden Gesinnungstest, den im übrigen viele Abiturienten nicht bestehen würden, den Startschuß für eine neue ausländerfeindliche Kampagne abgegeben.
Diese Abschottungs- und Ausgrenzungsdebatte in Politik und Medien verfehlt ihre Wirkung auf das Handeln der Behörden nicht. Es gibt in der BRD kaum noch eine Chance auf Asyl. Die Zahl der Asylbewerber hat im vergangenen Jahr einen neuen Tiefstand erreicht. Nur noch 28 914 Flüchtlinge stellten einen Asylantrag. Das ist der niedrigste Stand seit 1983. Lediglich 0,9 Prozent der Anträge wurden anerkannt. In absoluten Zahlen: 411 Menschen erhielten im vergangenen Jahr in der BRD politisches Asyl.
Aus: junge welt vom 22. März 2006