Zu einem »Erfahrungsaustausch mit Praktikern« im Rahmen der Evaluierung des Zuwanderungsgesetzes hatte das Bundesministerium des Innern (BMI) Ende vergangener Woche nach Berlin geladen. Die Vertreter von Menschenrechtsorganisationen blieben dabei weitgehend ausgesperrt. Hauptsächlich trugen Verwaltungsbeamte ihre Nachbesserungswünsche vor.
Nach der internen Anhörung von Donnerstag und Freitag ist zu erwarten, daß Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble (CDU) versuchen wird, die in dem seit 1. Januar 2005 geltenden Gesetz festgeschriebenen Abwehrmechanismen zu perfektionieren. Welchen Inhalt eine vom Innenminister zu Beginn der Tagung angekündigte Bleiberechtsregelung haben soll, blieb indes noch unklar.
Schäuble betonte, die Koalition aus CDU/CSU und SPD habe sich darauf verständigt zu prüfen, »ob alle Sicherheitsfragen zufriedenstellend gelöst sind«. Besonders bei der Beteiligung der Sicherheitsbehörden vor Erteilung eines Visums oder eines anderen Aufenthaltstitels werde der gesetzliche Spielraum von den Ländern sehr unterschiedlich genutzt. Der Minister unterstützte Forderungen einiger Bundesländer und europäischer Nachbarstaaten, »zusätzliche Maßnahmen bei gefährlichen Ausländern zu ergreifen, die nicht in ihre Herkunftsländer abgeschoben werden können«. Als Möglichkeiten nannte er eine Verschärfung der Meldeauflagen, die Verwendung von elektronischen Fußfesseln und die Sicherungsverwahrung.
Immerhin ließ das BMI auf seiner Tagung den renommierten Rechtsanwalt Victor Pfaff aus Frankfurt am Main zu Wort kommen. Er stellte fest, daß »nicht selten falsche oder abwegige Begründungen für Ablehnungsbescheide im Aufenthalts- oder Einbürgerungsrecht oder in Ausweisungsbescheiden herangezogen werden«. Pfaff schilderte einige haarsträubende Beispiele, welche »Tatbestände« von Behörden als sicherheitsgefährdend angesehen werden. In einem Ausweisungsverfahren vom 6. Oktober 2005 wurden dem Betroffenen der Besuch bestimmter Moscheen, Spenden zum Erhalt und zur Pflege einer Moschee und sein gelegentliches Wirken als Vorbeter angelastet, ohne daß ein Vorwurf bezüglich des dabei Gesagten erhoben worden wäre. Als sicherheitsgefährdend wurde auch die Organisation von Pilgerreisen bewertet, so Pfaff. Einem islamischen Verein wurde vorgeworfen, ein Faltblatt mit der Aufschrift »Außer Gott ist kein Gott und Mohammad ist sein Prophet« in seinen Räumen ausgelegt zu haben. Einem Ägypter, der in seinem Heimatland eine Firma betreibt, wurde eine Reise nach Ägypten zur Last gelegt.
Die Flüchtlingshilfsorganisation Pro Asyl spricht angesichts dieser Praxis in einer Stellungnahme von einer »desaströsen Bilanz« gut ein Jahr nach Inkrafttreten des Gesetzes. Dessen erklärtes Ziel, die sogenannten Kettenduldungen abzuschaffen, sei verfehlt worden. Von den 193 000 Geduldeten leben nach Pro-Asyl-Schätzungen 140 000 schon länger als fünf und rund 50 000 sogar länger als zehn Jahre in Deutschland. Auch die Hoffnungen, die mit der Schaffung von Härtefallkommissionen verbunden waren, seien enttäuscht worden, so die Organisation. Bayern weigere sich noch immer, eine Kommission einzurichten. Auch in Hessen und Niedersachsen greife das Instrument so gut wie gar nicht. Dort seien die Petitionsausschüsse der Landtage mit den Aufgaben der Härtefallkommission betraut worden – »mit dem Ergebnis, daß jeweils nur ein einziger Fall positiv entschieden wurde«. In Niedersachsen haben die Regierungsfraktionen erst Mitte März auf Druck von Opposition und außerparlamentarischen Gruppen beschlossen, eine Kommission einzurichten (jW berichtete). Pro Asyl fordert, »daß diese Blockadehaltung gegen Humanität endlich aufgegeben wird«.
Aus: junge welt vom 03. April 2006