Das Motto des diesjährigen Pfingsttreffens der Sudetendeutschen Landsmannschaft (SL) ist nach Ansicht des Vorsitzenden der deutsch-tschechischen Historikerkommission, Martin Schulze Wessel, »noch aggressiver als in den Zeiten des Kalten Krieges«. Unter der Parole »Vertreibung ist Völkermord – dem Recht auf Heimat gehört die Zukunft« hatten sich am Wochenende 10000 Teilnehmer zum 57. Sudetendeutschen Tag in Nürnberg eingefunden. Dort beklatschten sie die revanchistischen Sprüche des SL-Bundesvorsitzenden Bernd Posselt und des bayerischen Ministerpräsidenten Edmund Stoiber (CSU).
Die Gleichsetzung von Umsiedlung und Völkermord war zuvor von der Linksfraktion im Bundestag heftig kritisiert worden. In einer Presseerklärung hieß es, die SL habe nichts hinzugelernt, die Parole vom Recht auf Heimat sei revanchistisch. Die Aussiedlung der Sudetendeutschen als »Völkermord« zu bezeichnen sei eine Beleidigung der Opfer des deutschen Vernichtungskrieges in Osteuropa und des Holocaust. Daß daran auch viele Sudetendeutsche beteiligt waren, gehöre offensichtlich nicht zum Geschichtsbild der SL.
SL-Vorsitzender Posselt nahm dennoch in seiner Eröffnungsrede keinen Abstand von dem revanchistischen Motto. Mit der Vertreibung vor 60 Jahren habe die damalige Regierung in Prag die »systematische Vernichtung der Existenzgrundlage« der in Böhmen lebenden Deutschen betrieben. »Wenn das kein Völkermord ist!« rief Posselt. »Das war keine Flucht der Deutschen vor der Roten Armee und auch kein Kollateralschaden des Zweiten Weltkriegs und auch kein spontaner Racheakt, sondern ein eiskalt geplanter Versuch der ethnischen Säuberung – in die Wege geleitet von den staatlichen Stellen«, heizte er die Stimmung an.
Auch CSU-Vorsitzender Edmund Stoiber fand als Hauptredner am Pfingstsonntag markige Worte. Es sei selbstverständlich, daß er bei einem offiziellen Besuch in Prag von Sudetendeutschen begleitet werde, sagte er und fügte drohend hinzu: »Man kann verzeihen, aber nicht vergessen. Und wir werden nicht vergessen, das sage ich ganz deutlich.«
Dennoch meinte Stoiber, es werde zum Dialog mit der neuen tschechischen Regierung kommen, denn es gebe versöhnliche Töne aus Prag. Dies ging Johann Böhmer, Sprecher der »Sudetendeutschen Volksgruppe«, zu weit. Er warnte davor, »Signale aus Tschechien überzubewerten«. Auch wenn Ministerpräsident Jiri Paroubek kürzlich an das Schicksal deutscher Widerstandskämpfer erinnert habe, so habe er doch weitere versöhnliche Gesten an Deutschland ausgeschlossen.
Böhm begrüßte, daß die Schaffung eines »Zentrums gegen Vertreibung« im Koalitionsvertrag von CDU/CSU und SPD festgeschrieben sei. Der Bund der Vertriebenen hat die Idee einer solchen zentralen Erinnerungsstätte mit Hilfe von Sozialdemokraten seit Jahren betrieben. Bei den Koalitionsverhandlungen knickte die SPD ein und stimmte der Formulierung zu, in Berlin »ein sichtbares Zeichen gegen Vertreibungen zu setzen«. CSU-Chef Stoiber erklärte nun vor den Sudetendeutschen, er sehe »gute Chancen«, daß Bundeskanzlerin Angela Merkel das geplante Zentrum »noch in dieser Legislaturperiode« auf den Weg bringen werde.
Stoibers Aktivitäten gehen der bayerischen SPD dennoch nicht weit genug. Sie griff den Ministerpräsidenten von rechts an und warf ihm Doppelzüngigkeit vor. Stoiber lasse sich gern als Vertreter der Sudetendeutschen feiern, habe aber im Haushalt immer weniger Geld für deren Arbeit übrig, kritisierte die bayerische Landtagsabgeordnete Christa Naaß, vertriebenenpolitische Sprecherin der SPD-Fraktion, laut einer Meldung des Bayerischen Rundfunks vom Samstag. »Stoiber verbreitet nur Worte, aber keine Taten«, so Naaß. Die Mittel für die Kulturarbeit der Vertriebenen seien überproportional gekürzt worden. Entgegen einem Landtagsbeschluß sei das geplante »Zentrum gegen Vertreibung« mit keinem einzigen Euro gefördert worden.