Artikel: Der Gipfel der Heuchelei

Die vollmundige Bezeichnung »Integrationsgipfel« für das Treffen im Kanzleramt am Freitag steht in krassem Gegensatz zu der Politik, die in der BRD zum Nachteil von Migranten und Flüchtlingen betrieben wird. Während Angela Merkel mit ihrer Showveranstaltung versucht, ein wichtiges Thema zu besetzen, übertreffen sich im Vorfeld die Parteien gegenseitig mit Vorschlägen zur Verschärfung der Zuwanderungsregeln. Peinlich ist auch, daß wichtige Verbände und Vertreter der Migranten gar nicht eingeladen worden sind. Jahrelang wurde eine Integrationspolitik, die diesen Namen verdienen würde, versäumt, da in der BRD nach dem »Nützlichkeitsprinzip« Zuwanderer hauptsächlich als billige Arbeitskräfte betrachtet werden, die – wie Bayerns Innenminister Günther Beckstein (CSU) immer wieder zynisch betont – hierbleiben dürfen, »wenn sie uns nützen, und nicht, wenn sie uns ausnützen«. Das sogenannte Zuwanderungsgesetz, dessen wahrer Charakter als Abwehrmaßnahme sich an den sinkenden Einwanderungszahlen und einem historischen Rekordtief bei Asylanträgen manifestiert, hat für Integration wenig vorgesehen. Bei Sprachkursen beispielsweise wurde sogar die Stundenzahlen unter das notwendige Minimum gekürzt.

Selektive Einladung
Zu Jahresbeginn hat dann – nach einer unsäglichen Debatte über ins Private reichende Fragebögen und über Einbürgerungstests – plötzlich die Bundesregierung das Integrationsthema für sich entdeckt. Staatssekretärin Maria Böhmer (CDU), die ansonsten wenig Rückhalt in der eigenen Fraktion hat, wurde mit der Vorbereitung eines Integrationsgipfels beauftragt, zu dem am Freitag etwa 70 Teilnehmer aus Bund, Ländern, Gemeinden, Sozialverbänden und Migrantenorganisationen für drei Stunden im Kanzleramt zusammenkommen werden. Wie man in so kurzer Zeit einem derart komplexen Thema auch nur annähernd gerecht werden kann, bleibt das Geheimnis der Organisatoren und zeigt alleine schon den Schaufenstercharakter dieser Alibiveranstaltung.

Um die Einladungen wurde wochenlang ein großes Geheimnis gemacht. Merkel und Böhmer hielten es nicht für nötig, den Zentralrat der Muslime und den Islamrat hinzuzuziehen, während die konservative Türkisch-Islamische Union bei dem Treffen dabei sein darf. Eigenartig erscheint auch, daß zwar die Fraktionen des Bundestags eingeladen wurden, nicht aber die Mitglieder des Innenausschusses, obwohl dieser im Parlament weitgehend für die Gesetzgebung im Migrationsrecht zuständig ist. Die Doppelbödigkeit der Bundesregierung entlarvte sich zu Wochenbeginn bei der zweitägigen Migrationskonferenz afrikanischer und europäischer Staaten in Rabat. Dort wurde ein Aktionsplan gegen illegale Einwanderung verabschiedet. Das durch Staatsminister Günter Gloser (SPD) vertretene Auswärtige Amt verfocht in der marokkanischen Hauptstadt mit Erfolg die ständige Linie aller Bundesregierungen – egal ob schwarz-gelb, rot-grün und schwarz-rot – die »Festung Europa« so dicht wie möglich gegen Flüchtlinge abzuschotten. Diese Politik bezahlen, wie man im Mittelmeerraum leider immer wieder erleben muß, viele Menschen mit ihrem Leben. Auf ihrem Weg in eine Zukunft ohne Angst und Verfolgung ertrinken sie oder kommen an Grenzzäunen zu Tode. Über diese inhumane Politik kann auch der »Integrationsgipfel« nicht hinwegtäuschen, zumal die Bundesregierung gar keinen offenen Dialog mit den Betroffenen anstrebt, sondern am Mittwoch im Kabinett gleich einmal vorweg gezeigt hat, wo es langgeht. Ohne den »Gipfel« vom Freitag abzuwarten, beschloß die Bundesregierung eine Erklärung mit dem Titel »Gutes Zusammenleben – klare Regeln«. Darin wird von Zuwanderern gefordert, »das Grundgesetz und die gesamte Rechtsordnung vorbehaltlos zu akzeptieren« (siehe unten).

Weniger für Sprachkurse
Die Bundesregierung versteht eben unter Integration vor allem Anpassung und Assimilierung. Einwanderer müßten durch das Erlernen der deutschen Sprache ein »sichtbares Zeichen der Zugehörigkeit zu Deutschland« setzen. »Dies erfordert Eigeninitiative, Fleiß und Eigenverantwortung«, heißt es in dem Papier. Die SPD wollte nicht länger hinter den Scharfmachern Günther Beckstein (CSU) und Roland Koch (CDU) zurückstehen. Die stellvertretende Parteivorsitzende Ute Vogt distanzierte sich gemeinsam mit SPD-Generalsekretär Hubertus Heil am Montag in Berlin von »multikulturellen Träumereien«. Vogt verschärfte die Tonlage, indem sie sagte, man müsse das Erlernen der deutschen Sprache »konsequent einfordern«. Zugleich drohte die frühere Staatssekretärin Otto Schilys, wenn dies jemand nicht befolge, stelle sich die Frage, »wie lange eine Aufenthaltsgenehmigung erteilt wird«.

Gegenüber solchen kaum verhohlenen Ausweisungsdrohungen wirkt die Problembeschreibung im Papier der Bundesregierung geradezu sachlich. In Deutschland leben demnach rund 15 Millionen Menschen mit Migrationshintergrund. Man geht davon aus, daß ab dem Jahr 2010 in den Großstädten jeder Zweite unter 40 Jahren zu diesem Personenkreis gehören wird. Gerade bei der zweiten und dritten Generation bestünden »deutliche Integrationsdefizite«. Daher will die Bundesregierung »Integrationskurse weiterentwickeln, schon im Kindesalter die deutsche Sprache fördern, gute Bildung und Ausbildung sichern sowie Arbeitsmarkchancen erhöhen, Lebenssituation von Frauen und Mädchen verbessern, Integration vor Ort unterstützen, Bürgergesellschaft stärken«. Wie zu solchen hehren Absichten die Tatsache paßt, daß im Bundeshaushalt 2006 die Gelder für Sprachkurse massiv gekürzt worden sind, müßte die Bundeskanzlerin auf dem Integrationsgipfel erst einmal plausibel erklären.
Schlüsselaufgabe Integration
Auszüge aus dem am Mittwoch vom Bundeskabinett beschlossenen Positionspapier zum »Integrationsgipfel«
Die Zuwanderung, insbesondere der »Gastarbeiter« in den 50er und 60er Jahren des letzten Jahrhunderts, war dadurch gekennzeichnet, daß in erster Linie Menschen mit einem geringen Bildungsgrad nach Deutschland kamen, die überwiegend einfache Tätigkeiten ausübten. Viele Migrantinnen und Migranten sind in der Zwischenzeit zu »Aufsteigern« in unserer Gesellschaft geworden. Andere sind vom Wandel am Arbeitsmarkt betroffen, der mehr und mehr qualifizierte Arbeitskräfte verlangt. Dem muß neben der Integrations- auch die Zuwanderungspolitik gerecht werden: Zuwanderung der Besten und jedenfalls derjenigen, die für ihren Unterhalt sorgen können.

Integrationsdefizite in der 2. und 3. Generation

In der jüngsten Zeit müssen wir aber feststellen, daß gerade bei der zweiten und dritten Generation deutliche Integrationsdefizite bestehen. Zu nennen sind in erster Linie die mangelnde Beherrschung der deutschen Sprache, Schwächen in Bildung und Ausbildung, eine höhere Arbeitslosigkeit und die fehlende Akzeptanz von Grundregeln unseres Zusammenlebens bis hin zur Verletzung von Gesetzen, nicht zuletzt von Frauenrechten. Für die Zukunft der Menschen in unserem Land wird es von entscheidender Bedeutung sein, daß alle bereit und willens sind, diese Defizite zu beheben. (…)

Integrationsbereitschaft einfordern

Mit dem Aufenthaltsgesetz ist ein erster wichtiger Schritt hin zur systematischen Integrationsförderung von rechtmäßig auf Dauer im Bundesgebiet lebenden Migrantinnen und Migranten getan worden. Die Bundesregierung hat sich zu ihrer Verantwortung für die Sprachförderung der Zugewanderten und deren Orientierung über Recht, Kultur, Geschichte und das Staatswesen Deutschlands bekannt. Indem wir Menschen, die neu zu uns kommen, ein bestimmtes Maß an Integrationsbemühungen abverlangen, befördern wir auch Akzeptanz für Migration in der Aufnahmegesellschaft.(…)

Integrationsplan erarbeiten

Zur Vorbereitung des Nationalen Integrationsplans werden Arbeitsgruppen eingerichtet, in denen unter Leitung der jeweiligen Bundesministerien konkrete Vorschläge zur Verbesserung der Bedingungen für Integration erarbeitet werden. Begleitend richten wir ein Forum für Integration ein, in dem Vertreter der Migrantinnen und Migranten, gesellschaftlicher Gruppen, der Wirtschaft, der Wissenschaft, der Kultur und der Medien in einem Dialog miteinander stehen.

Ziele

Die Bundesregierung will auf den folgenden sechs Handlungsfeldern Fortschritte erzielen, um Integration zu verbessern:

– Integrationskurse weiterentwickeln

– Von Anfang an deutsche Sprache fördern

– Gute Bildung und Ausbildung sichern, Arbeitsmarktchancen erhöhen

– Lebenssituation von Frauen und Mädchen verbessern, Gleichberechtigung verwirklichen

– Integration vor Ort unterstützen

– Bürgergesellschaft stärken
Kritik. Stellungnahmen zum »Integrationsgipfel« am Freitag:
»Die Erklärung der Ministerrunde mit dem Titel ›Gutes Zusammenleben – klare Regeln‹ räumt die letzten Zweifel aus: die Bundesregierung will ihre bereits gefaßten Beschlüsse auf dem Integrationsgipfel bestätigen lassen, weshalb er den Namen Alibi-Veranstaltung verdient. Die in der Erklärung skizzierten Zielsetzungen machen deutlich, daß der Gipfel keinen Neuanfang in der Integrationspolitik bedeuten wird. Ganz im Gegenteil sind sie geprägt von einer Abwehrhaltung und Misstrauen gegenüber Migrantinnen und Migranten.«

Sevim Dagdelen, migrationspolitische Sprecherin der Linksfraktion im Bundestag

»Die eingeladenen Organisationen und Institutionen zeichnen sich mehrheitlich durch ihre Nähe zu den Regierungsparteien aus. Dies wird zur Folge haben, daß die Probleme überwiegend aus der Sicht der Koalition diskutiert werden. Daß als Vertreter der türkischstämmigen Migranten hauptsächlich CDU- oder SPD-Mitglieder eingeladen worden sind, verstärken unsere diesbezüglichen Bedenken.«

DIDF -Föderation der Demokratischen Arbeitervereine

»Integration darf nicht einseitig verstanden werden als Forderung an Migrant(inn)en, beispielsweise ihre Kenntnisse der deutschen Sprache zu verbessern. Integration ist vielmehr ein Prozeß, der in seiner Gesamtheit gesehen werden muß. Deshalb darf sich die Debatte keinesfalls auf Sprache, Bildung, Ausbildung und arbeitsmarktbezogene Qualifizierung beschränken. Wesentliche Grundlagen von Integration sind die Absicherung und Verfestigung des Aufenthaltsrechts, der Abbau ausländerrechtlicher Hürden beim Arbeitsmarktzugang sowie beim Zugang zu Ausbildung und Qualifizierung und schließlich die Einbürgerung.«

Deutscher Caritasverband

»Wenn man die Kirchen einlädt, dann kann man an den Vertretern der Muslime nicht vorbeigehen, sollte es zumindest nicht … Wer bereit ist, auf der Grundlage der Werte der Verfassung sein Leben zu gestalten, hat Anspruch auf Anerkennung als Mitbürger, egal ob er am Sonntag in die Kirche oder Moschee geht.«

Sebastian Edathy, SPD, Vorsitzender des Bundestags-Innenausschusses

Aus: junge Welt vom 13. 7. 2006