Die Antiterrordatei wird mit Sicherheit ein Fall für das Bundesverfassungsgericht, weil eine Reihe von Regelungen zumindest verfassungsrechtlich fragwürdig sind.
Das gilt vor allem für den Fall, daß CDU und CSU mit ihrem Ruf nach einer Volltextdatei erfolgreich sind. Bayerns Innenminister Günther Beckstein (CSU) fordert, jeder Dorfpolizist müsse sofortigen Zugriff auf das gesamte Wissen anderer Polizeibehörden sowie der Geheimdienste haben, wenn er irgendwo eine verdächtige Person antreffe. Es dürfe nicht sein, daß dem Landeskriminalamt in München Erkenntnisse der Verfassungsschutzbehörde in Hamburg vorenthalten würden. Damit allerdings würde das verfassungsrechtliche Gebot der Trennung von Polizei und Geheimdiensten eindeutig verletzt. Die Hardliner unter den Innenpolitikern bei CDU/CSU und SPD laufen wieder einmal Gefahr, ein Gesetz zu produzieren, das vom Bundesverfassungsgericht aufgehoben wird.
Aber auch eine Indexdatei, für die sich etwa der parlamentarische Geschäftsführer der Grünen, Volker Beck, ausspricht, ist nicht unproblematisch. Das Trennungsgebot ist aufgrund der Erfahrungen im »Dritten Reich« und seiner Geheimen Staatspolizei eingeführt worden, die eine Mischung aus Polizei und Geheimdienst war. So etwas sollte es in der Bundesrepublik nicht geben. Der Sinn der Antiterrordatei ist dem geradezu entgegengesetzt: Sie soll die Zusammenarbeit und den Datenaustausch von Polizeibehörden und Geheimdiensten geradezu institutionalisieren und zum Normalfall machen. Die Indexdatei gestaltet sich so lediglich als »geringerer« Verfassungsbruch.
Für die Polizei gibt wenigstens einen rechtlichen Rahmen, der zumindest in der Theorie die Überwachung zum Beispiel von Telefongesprächen begrenzen soll. Zweck, Zeitdauer und Verwertung der Erkenntnisse sind genau geregelt. Dagegen sind die Voraussetzungen für die Arbeit des Verfassungsschutzes und des Bundesnachrichtendienstes viel lockerer und großzügiger. Im Tagesspiegel vom Montag räumte der Ex-BND-Agent Wolbert Smid ein: »Die Geheimdienste operieren im Vorfeld von politischen und militärischen Ereignissen und terroristischen Akten. Sie versuchen Planungen und Personen zu erfassen, die womöglich noch gar nicht verdächtig sind.« Das ist der entscheidende Unterschied: Die Geheimdienste setzen ihre Methoden auch gegen Unverdächtige ein, während die Polizei konkrete Verdachtsmomente braucht. Dies wird faktisch aufgehoben, wenn die Polizei auf dem Umweg über Geheimdienstinfos doch Erkenntnisse aus dem Einsatz von Wanzen und Richtmikrofonen erhält.
Doch eine solche prinzipielle rechtsstaatliche Debatte findet in der Hysterie nach den jüngsten Ereignissen nicht mehr statt. Sie wird mit dem Argument vom Tisch gewischt, der Staat müsse alles für die Sicherheit tun.
Nur noch die Sorge, daß bei einer Volltextdatei womöglich ausländische Dienste dem BND keine Infos mehr zur Verfügung stellen würden, kann den Eifer der Großkoalitionäre bremsen. Zudem machte Ex-BND-Präsident August Hanning, zur Zeit Staatssekretär im Bundesinnenministerium, vor zwei Wochen in der Süddeutschen Zeitung darauf aufmerksam, daß bei einer Volltextdatei auch die Informanten der Geheimdienste schutzlos wären.
Ein Fall für Karlsruhe dürfte auch die Erfassung von »Kontaktpersonen« werden. Die ehemalige Präsidentin des Bundesverfassungsgerichts, Jutta Limbach, äußerte in einem Gastkommentar in der Süddeutschen Zeitung am Freitag die Sorge, daß auch schon jemand, der einem Verdächtigen das Handy für ein Telefonat geliehen habe, plötzlich in der Antiterrordatei auftauchen werde. Limbach warnte den Bundestag, Karlsruhe werde den Gesetzestext »kritisch gegenlesen«.
Bundesjustizministerin Brigitte Zypries strebt offenbar eine vermittelnde Position an, nämlich einen Index, der Anfragen an andere Behörden ermöglicht, die dann wiederum entscheiden könnten, was sie herausgeben und was nicht. Die Innenminister werden sich am kommenden Montag wahrscheinlich auf diesen sogenannten »Datenkranz«, also eine Indexdatei, einigen. Womöglich kommt auch eine »erweiterte« Indexdatei in Betracht, die zu einer Reihe von Daten Volleinträge enthält, zu anderen nicht.
Aus: junge Welt, 30. 8. 2006