Rede von Ulla Jelpke zum
TOP 14 der 50. Sitzung des 16. Deutschen Bundestages am 21. September 2006
a) Schaffung einer gesetzlichen Grundlage für die Anti-Terror-Dateien unter Beibehaltung der Trennung von Polizei und Nachrichtendiensten BT-Drs 16/2071
b) „Erhaltung des Trennungsgebots – keine Errichtung gemeinsamer Dateien von Polizeibehörden und Nachrichtendiensten des Bundes und der Länder“ BT-Drs 16/2624
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren!
Im Kampf gegen den Terror hat die rot-grüne Bundesregierung
in den letzten Jahren ein verfassungswidriges Gesetz nach dem anderen vorgelegt.
dann das Luftsicherheitsgesetz. Ich sage Ihnen schon heute: Auch das jetzt vom Kabinett beschlossene Gesetz
zur Antiterrordatei wird nach Karlsruhe gehen. Wir werden sehen.
Liebe Kollegen, an dieser Stelle möchte ich ganz klar sagen – leider muss man das in diesem Hause immer
wiederholen –: Wenn Sie die Verfassung weiter aushöhlen, um den Terror zu besiegen, dann siegt der Terror.
Das darf unserer Meinung nach nicht sein. Es ist ja nicht so – Sie tun so, als ob es so wäre –, dass ein Geheimdienst die Polizei heute nicht warnen dürfte, wenn er erfährt, dass ein Terroranschlag in diesem Land bevorsteht. Natürlich darf er das; das ist völlig unbestritten.
Die Antiterrordatei aber soll nicht einen unmittelbar bevorstehenden Anschlag verhindern, sondern sie soll die
Zusammenarbeit von Polizei und Geheimdiensten auf eine völlig neue Stufe stellen. Der Datenaustausch zwischen
den unterschiedlichsten Behörden – insgesamt 37 –, zwischen Länder- und Bundespolizei, Zoll, Militärischem
Abschirmdienst, Bundesnachrichtendienst und Verfassungsschutz, soll zur Regel werden. Damit wird die Trennung zwischen Polizei- und Geheimdienstarbeit eindeutig aufgehoben.
An dieser Stelle noch einmal zu Herrn Binninger, aber auch zu Herrn Benneter. Geheimdienste und Polizei haben
aus gutem Grund völlig unterschiedliche Befugnisse; das wissen auch Sie. Die Polizei handelt bei konkreten
Verdachtsmomenten. Geheimdienste dagegen observieren auch unschuldige Menschen mit Methoden, die der
Polizei untersagt sind. Die Polizei lässt sich noch kontrollieren, während man das von den Geheimdiensten
nicht mehr sagen kann. Nicht umsonst haben wir gegenwärtig einen Untersuchungsausschuss zum BND-Skandal.
Mit der Antiterrordatei käme die Polizei zu Erkenntnissen, die sie gar nicht gewinnen dürfte, und die Geheimdienste ebenso. Getrennt ermitteln, gemeinsam auswerten, das würde die Trennung von Polizei und
Geheimdiensten noch weiter aufheben. Effektive Beschränkungen für den Datenaustausch sieht die Regierung
nicht vor. Im Gegenteil, in so genannten Eilfällen, wie Herr Schäuble gestern bekannt gab, muss man nur auf den Knopf drücken und alle Daten sind da. Ich sehe nicht, wo der neue Gesetzentwurf eine Kontrolle vorsieht.
Auch die Grünen – jetzt komme ich zu Ihnen, Herr Wieland – erklären in ihrem Antrag eine Volltextdatei,
aus der jede Behörde praktisch online alle möglichen Daten abrufen kann, für rechtsstaatlich unhaltbar. Immerhin.
Das begrüße ich.
Aber, Herr Wieland, Sie wollen, weil Sie halt nur eine ehemalige Bürgerrechtspartei sind – Sie haben sich hier heute ja zum Liberalen bekannt –, jetzt durch die Hintertür eine Volltextdatei einführen. Wenn Sie beispielsweise Projektdateien als zeitlich befristete Volltextdateien einführen – das ist ein Zitat –, dann hilft das auch nichts.
Auch wenn man es zeitlich begrenzt: Verfassungsbruch ist Verfassungsbruch.
Die Bundesregierung hat genau die Idee, die in Ihrem Antrag enthalten ist, in ihren Gesetzentwurf hineingeschrieben. Die Bundesregierung will in der Datei die Religionszugehörigkeit erfassen. Das ist eindeutig ein Angriff auf die Religionsfreiheit. Wenn ich befürchten muss, dass 37 Sicherheitsbehörden meinen Glauben für terrorismusrelevant halten, überlege ich mir in Zukunft sehr genau, ob ich mich zu meiner Religion bekenne. Die Bundesregierung setzt damit ganz eindeutig Menschen muslimischen Glaubens unter Generalverdacht. Da sind
wir gänzlich dagegen. Außerdem will die Bundesregierung praktisch eine Kontaktschuld einführen. Erfasst werden soll, wer eine nähere persönliche oder geschäftliche Beziehung zu einem Verdächtigen hat. Das weitet den Kreis der Durchleuchteten ins Uferlose aus: Vermieter, Partner, Kinder, Kommilitonen, Freunde usw. Das Recht auf
informationelle Selbstbestimmung wird hier gänzlich ausgehöhlt. Besonders an die rechte Seite gerichtet sage
ich: Der Datenschutzbeauftragte hat genau das kritisiert.
(Der vollständige Wortlaut mit Zwischenrufen kann unter http://www.dip1.btg/btp/16/16051.pdf , Seite 5013 f. abgerufen werden)