Der sogenannte Kompromiß der Innenministerkonferenz (IMK) vom Freitag zum Bleiberecht für langjährig in der BRD lebende Flüchtlinge hat die Debatte zu diesem Thema noch nicht beendet. Von seiten der Hilfsorganisationen, der Kirchen und der Opposition im Bundestag gab es auch am Montag heftige Kritik, weil nach der Neuregelung allenfalls 20000 Personen, also nur ein kleiner Teil der etwa 200000 Betroffenen, ein sofortiges Bleiberecht erhalten. Voraussetzung hierfür ist ein Arbeitsplatz, den aber kaum jemand aus dem Kreis der Geduldeten vorweisen kann. »Geduldete« haben bisher in der Regel keine Arbeitserlaubnis erhalten.
Inzwischen merken auch SPD-Innenpolitiker wie Fritz Rudolf Körper, stellvertretender Vorsitzender der SPD-Bundestagsfraktion, daß diese Regelung so nicht akzeptabel ist, obwohl die Länderinnenminister in Nürnberg bei der IMK zugestimmt haben. Körper hat am Wochenende den Beschluß als bloße »Übergangsregelung« bezeichnet und angekündigt, daß eine umfassendere gesetzliche Regelung notwendig bleibe.
Es zeigt sich, daß die große Koalition auch in dieser Frage zerstritten und handlungsunfähig ist, denn Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble (CDU) verteidigte prompt den Beschluß der IMK als »vernünftige Lösung«. Tatsächlich aber hat sich Schäuble in Nürnberg nicht durchsetzen können und sich von den Innenministern Bayerns und Niedersachsens, Günther Beckstein (CSU) und Uwe Schünemann (CDU), eine Regelung aufzwingen lassen, die noch restriktiver ist als der Vorschlag, den er zuvor mit Vizekanzler Franz Müntefering (SPD) ausgehandelt hatte. So oder so sind die Vorstellungen von CDU/CSU und SPD weit von einer humanitären Grundhaltung entfernt. Statt dessen wenden die Koalitionsparteien das »Nützlichkeitsprinzip« an und gewähren nur jenen Geduldeten ein Bleiberecht, die man als Arbeitskräfte brauchen kann.
Die IMK-Regelung ist für viele Geduldete ein leeres Versprechen. Ein Bleiberecht soll zwar künftig jeder erhalten, der bis zum 30. September 2007 einen Arbeitsplatz gefunden hat. Dazu stellte jedoch die Flüchtlingsorganisation Pro Asyl fest: »In weiten Teilen Deutschlands ist die Arbeitslosigkeit so hoch, daß Geduldete keine Chance auf einen Arbeitsplatz haben.« Deshalb gibt es Verunsicherung, was mit den Betroffenen geschehen wird, die bis zu diesem Stichtag keinen Arbeitsplatz vorweisen können. Nach dem Wortlaut des IMK-Beschlusses droht ihnen dann die »konsequente Abschiebung«.
Andererseits hätte es der Bundestag in der Hand, sich in der Zwischenzeit durch eine großzügigere gesetzliche Regelung über den Beschluß der IMK hinwegzusetzen. Schäuble zeigt allerdings wenig Neigung, den Länder-Innenministern den Fehdehandschuh hinzuwerfen, und verweist darauf, daß man die Zustimmung des Bundesrats brauche, die jedoch nicht zu erwarten sei. Auch die Integrationsbeauftragte der Bundesregierung, Maria Böhmer, nannte den IMK-Beschluß am Montag im ZDF-Morgenmagazin eine »sehr tragfähige Lösung«. Allerdings meinte sie auch, es sei »noch ein zweiter Schritt mit einer gesetzlichen Regelung erforderlich«. Unklar ist aber bisher, auf welche Inhalte für ein solches Gesetz sich die Koalition überhaupt verständigen könnte. Die Linke jedenfalls hat für diese Woche eine Sondersitzung des Innenausschusses zur Auswertung der IMK beantragt.
Zuerst erschienen in: junge Welt vom 21.11.2006