Ulla Jelpke (DIE LINKE):
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Werte Kolleginnen und Kollegen!
Diese Bundesregierung muss leider zum Jagen getragen werden, wenn es um die Bekämpfung des Neofaschismus geht. Die erschreckende Konzeptionslosigkeit nicht nur dieser Regierung trägt ihren Teil dazu bei, dass Neofaschisten in Deutschland sich leider pudelwohl fühlen können.
Die gestern vorgelegte Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung belegt das mit erschreckenden Fakten: 8,6 Prozent der Deutschen haben ein geschlossenes rechtsextremes Weltbild. 15 Prozent sehnen sich nach einem Führer. 15,8 Prozent der West- und 6,1 Prozent der Ostdeutschenzeigen einen manifesten Antisemitismus. Die Zustimmung zu rassistischen Meinungen geht darüber noch weit hinaus: Sie liegt laut Studie bei 44 Prozent bei den Ost- und bei 35 Prozent bei den Westdeutschen.
Es ist traurig genug, dass erst die Wahlerfolge der NPD in Mecklenburg-Vorpommern zur Weiterfinanzierung der Strukturprojekte gegen Rechts geführt haben. Aber die Millionen sind nur ein Tropfen auf den heißen Stein. Sie sollen eine Entwicklung aufhalten, die mit dem massiven Sozialkahlschlag nach 1990 in Ostdeutschland begann.
(Sebastian Edathy [SPD]: Gab es denn vorher keinen Rechtsextremismus?)
Denn genau diese Politik haben Neonazis genutzt. Wo Jugendklubs und andere soziale Projekte geschlossen wurden, hat die NPD ihre Chancen gewittert, um ihre menschenverachtende Ideologie unter die Leute zu bringen. Wir richten vierteljährlich eine kleine Anfrage an die Bundesregierung und fragen danach, wie viele Hassmusikkonzerte und Nazigroßveranstaltungen stattgefunden haben. Die erste Antwort liegt uns vor. Allein im zweiten Quartal dieses Jahres – das muss man sich einmal vorstellen – haben 40 Großveranstaltungen stattgefunden. Der VS verschweigt uns darüber hinaus noch einige
Zahlen, weil er nicht bekannt machen will, dass er möglicherweise Informanten dort hat.
Überhaupt zeigt ein Blick in den Verfassungsschutzbericht, wie verharmlost und bagatellisiert wird. Insbesondere nach dem gescheiterten Verbotsverfahren gegen die NPD wurden Schily und sein Ministerium nicht müde, zu betonen, dass die NPD dennoch geschwächt worden sei – eine fatale Fehleinschätzung. Dass die NPD zunehmend zur ersten Wahl junger Menschen geworden ist und sich längst eine Stammwählerschaft aufgebaut hat, spiegelt sich weder in einem Bericht eines der Landesämter für Verfassungsschutz noch im Bericht des Bundesamtes für Verfassungsschutz wider.Umso dringlicher ist es, fundierte Analysen – wie die Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung –, wissenschaftlichen Sachverstand und Erfahrungen aus der antifaschistischen Praxis heranzuziehen, um endlich politische Gesamtstrategien gegen Neofaschisten und ihre Politik zu entwickeln.
(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. GertWinkelmeier [fraktionslos])
Ein geeigneter Nährboden für die Neonazis sind leider auch die Ansichten und Haltungen in der so genannten Mitte der Gesellschaft. Ich zitiere aus der oben genannten Rechtsextremismusstudie:
„Wir haben festgestellt, dass der Begriff „Rechtsextremismus“ irreführend ist, weil er das Problem als ein Randphänomen beschreibt. Rechtsextremismus ist aber ein politisches Problem in der Mitte der Gesellschaft. Das kann nicht ausdrücklich genug betont werden.“
Dazu nur einige Beispiele aus den letzten Wochen:
In der Zuwanderungsdebatte blieb die Äußerung von Beckstein „Wir brauchen mehr Ausländer, die uns nützen, und weniger, die uns ausnützen“ in der Union weitgehend unwidersprochen.
In der Zeitschrift „Die Bundeswehr“ des Bundeswehr-Verbandes wurden – gerade in der letzten Ausgabe – Bücher des Ex-KSK-Generals Günzel beworben, der von seinen Soldaten „Disziplin wie in der Waffen-SS“ gefordert und Martin Hohmann nach seinen antisemitischen
Äußerungen unterstützt hat.
In den letzten Wochen haben die Äußerungen verschiedener Unionsinnenminister gezielt den Eindruck erweckt, dass Flüchtlinge nur nach Deutschland kommen, um Sozialleistungen zu beziehen und zu schmarotzen.
Man könnte diese Liste noch endlos fortsetzen. Ich will aber vor allem auf Folgendes hinweisen: Wenn Jugendliche ein rechtsradikales Weltbild für normal halten, dann hat das auch mit diesen geistigen Brandstiftungen aus der so genannten Mitte der Gesellschaft zu tun.
(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Winkelmeier [fraktionslos])
All das gehört endlich einmal gründlich aufgerollt. Mit unserer Großen Anfrage, deren Beantwortung durch die Bundesregierung offensichtlich lange Zeit braucht – wir
haben sie vor fast einem Dreivierteljahr eingebracht, aber sie soll erst im März beantwortet werden; deswegen führen wir zwischenzeitlich diese Debatte –, wollen wir Antworten erzwingen, um das bisherige Versagen der Politik im Kampf gegen Neofaschismus zu thematisieren und darauf hinzuwirken, dass weitere Maßnahmen zu seiner Bekämpfung entwickelt werden. Danke schön.
(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Winkelmeier [fraktionslos])