Warum brauchen wir eine gesamtdeutsche Linke?
Liebe Genossinnen und Genossen,
„Eine linke Alternative für Bremen“ heißt das Motto dieser Veranstaltung. Diese linke Alternative brauchen wir aber nicht nur für Eure Stadt – wir brauchen sie für ganz Deutschland. Wer sonst wäre in der Lage, entschieden gegen Angriffskriege vorzugehen, die das Grundgesetz verbietet? Wer sonst könnte diejenigen bremsen oder gar zurückdrängen, die unter der Flagge des Neoliberalismus alten Menschen die Rente nehmen, Kranke wie eine Zitrone ausquetschen und Arbeitslose wie den letzten Dreck behandeln? Wer sonst als eine starke und vereinigte Linke könnte denjenigen in den Arm fallen, die Deutschland immer ungenierter in eine Überwachungsgesellschaft verwandeln, wie sie in Orwells Buch „1984“ beschrieben ist? Wer sonst als die Linke verkörpert heute noch die Ideale der Aufklärung und des Humanismus?
Wer stellt sich hierzulande an die Seite derjenigen, die aus afrikanischen Ländern, aus dem Nahen oder Mittleren Osten zu uns geflohen sind? Wer außer der Linken kämpft entschieden für ein Bleiberecht, wer außer der Linken stellt sich den Nazis in den Weg? Hier in Bremen ist es ja vor einer Woche eindrucksvoll gelungen, diesen braunen Schlägerbanden den Weg zu verstellen.
Glückwunsch an Euch alle –
aber wir müssen noch organisierter, noch entschiedener gegen diesen Spuk vorgehen. Wir müssen dabei auch die Zusammenarbeit mit außerparlamentarischen Bewegungen Sozialdemokraten, Gewerkschaften und Kirchen suchen.
Diese „Linke“ gibt es seit langem: in viele Facetten, auf viele Parteien, Gruppen und Organisationen verteilt. In einigen Fragen hat diese Linke an einem Strang gezogen, sie hat sich aber auch zu vielen Themen zerstritten –letztendlich ist sie erfolglos geblieben.
Wenn sich aber in diesem Land etwas ändern soll, muß diese Linke endlich einmal gemeinsam antreten, mit klaren Positionen. Unter uns gibt es wohl niemanden, der nicht das kapitalistische System als unseren Feind sieht – das muß in dieser neuen Partei dann aber auch klar benannt werden. Wer darüber schweigt, kann sich zwar des Beifalls der FAZ sicher sein – er nimmt dieser Linken aber Stoßrichtung, Orientierung und Perspektive. Ebenso klar muß benannt werden, daß wir eine Alternative zum Kapitalismus anstreben: den Sozialismus, meinetwegen auch den demokratischen. Das Bekenntnis dazu gehört für mich in das neue Parteiprogramm.
Programm – Manifest – Eckpunkte
Zu diesem Programm gibt es einige Vorarbeiten. Zum einen stellten Oskar und Gregor gemeinsam mit anderen ihr Manifest vor, zum anderen haben die Vorstände von WASG und Linkspartei.PDS am 22. Oktober ihre „Eckpunkte“ verabschiedet.
Beide Entwürfe wurden und werden nicht nur in diesen beiden Parteien, sondern auch weit darüber hinaus zum Teil sehr kontrovers diskutiert. Auch die „Antikapitalistische Linke“, der ich angehöre, hat dazu Stellung genommen. Mit den meisten Aussagen des Manifestes können wir gut leben, wir forderten allerdings einige Konkretisierungen.
Die Eckpunkte jedoch sind bei uns buchstäblich angeeckt:
Erstens: Die darin enthaltene Kapitalismuskritik ist viel zu diffus. Welche Fabrikarbeiterin, welchen ALG-2- Bezieher wollen wir z. B. mit einer solchen Formulierung überzeugen. „Entfesselter moderner, globaler und neoliberaler Kapitalismus“? Welche analytische, welche Überzeugungskraft hat ein solcher Wortbrei, der sich wenig später sogar zu einem „wildgewordenen“ Kapitalismus erkühnt?
Zweitens: Die Eckpunkte suggerieren, der Kapitalismus sei reformierbar. Sie schüren die Illusion, wir könnten uns auf Dauer in diesem menschenverachtenden System gut einrichten. Das Papier stellt nicht mehr die Frage, wem die Fabriken und Banken gehören. Es sorgt sich vielmehr darum, wie man den Profit am gerechtesten verteilen kann. Laßt Euch folgendes Zitat mal auf der Zunge zergehen: „Die Demokratisierung der Wirtschaft erfordert, die Verfügungsgewalt über alle Formen des Eigentums sozialen Maßstäben zu unterwerfen.“ Was ist „Verfügungsgewalt“: Aktienbesitz , Vorstandsposten oder was? Was sind „soziale Maßstäbe“? Man hätte auch klar formulieren können, daß es um das Eigentum an Produktionsmitteln geht – aber genau diese Aussage wird von den Verfassern der Eckpunkte sorgfältig vermieden. Wer so argumentiert, will gar nichts grundlegend ändern, er will den Kapitalismus reformieren, menschlicher machen oder bunt anmalen – grundlegend ändern will er aber nichts.
Drittens: Die Linke ist nur dann glaubwürdig, wenn sie konsequente Friedenspolitik betreibt. Der PDS-Parteitag in Münster hat zwar Einsätze der Bundeswehr im Ausland grundsätzlich abgelehnt – die Eckpunkte weichen diese Position jedoch auf. Da heißt es jetzt in den Eckpunkten nebulös, daß „die Bundeswehr nicht weiter für Militärinterventionen im Ausland eingesetzt werden“ darf. Aber was bitte, sind Militärinterventionen? Etwa Kriegseinsätze? Die Nachbemerkungen zu den Eckpunkten verschaffen Aufklärung. Sie stellen die Frage, ob denn „internationale Militäreinsätze im Auftrag und unter Kontrolle der UN zu einer friedlichen Entwicklung beitragen“ können. Da haben wir es: Militäreinsätze sind also doch denkbar.
Aufweichung der Fraktion
Wie schnell sich die antimilitaristische Haltung aufweicht, erleben wir zur Zeit in unserer Bundestagsfraktion. 14 unserer 53 Abgeordneten enthielten sich in der ersten Abstimmung,, als der Militäreinsatz im Sudan verlängert werden sollte. Und ich weiß von manchen meiner Fraktionskollegen, daß sie Militäreinsätze eigentlich nur deswegen ablehnen, weil es der Münsteraner Parteitag so beschlossen hat – innere Überzeugung ist es nicht. Und jetzt macht ein Papier eines Fraktionskollegen Furore, in dem er unverhohlen fordert, die Linke müsse Bundeswehreinsätzen im Sudan zustimmen. Wenn wir auf diese Argumentation eingehen, gehen wir den Weg der Grünen: Anfangs gaben sie sich als Friedenspartei – heute betreiben sie imperialistische Politik unter dem Vorwand, Menschenrechte verteidigen zu wollen.
Schauen wir uns doch an, was aus diesen Einsätzen geworden ist, die unter dem Vorwand des Schutzes der Menschenrechte geführt wurden: In Afghanistan werden immer mehr Frauen gezwungen, verschleiert zu gehen, täglich werden Zivilisten umgebracht, das Land ist wieder zum größten Opium-Exporteur geworden – geschützt u. a. von der Bundeswehr. Den Menschen im Irak geht es heute wesentlich schlechter als unter Saddam, das Land steht vor einem Bürgerkrieg, jede Woche werden Hunderte Menschen umgebracht. Im Kosovo und in Bosnien regiert die lokale Mafia, Sinti, Roma, Serben und andere Minderheiten werden brutal unterdrückt. So sieht das Ergebnis aus, wenn imperialistische Armeen eingreifen: Den Menschen geht es schlechter, unserer Rüstungsindustrie besser.
Ich selbst verstehe mich nicht als Pazifistin, ich hätte auch keine Scheu, Befreiungsbewegungen notfalls mit Waffen zu unterstützen. Um Beispiele aus der Vergangenheit zu nennen: Angola, Mocambique, El Salvador, Nicaragua. Imperialistische Armeen wie die Bundeswehr haben aber grundsätzlich nichts im Ausland zu suchen – sie würden immer auch nur imperialistische Ziele verfolgen. Und es darf nicht Sache der Linken sein, dem Einsatz imperialistischer Streitkräfte das Wort zu reden. Deswegen brauchen wir im Parteiprogramm ein klares Wort, das an den Münsteraner Beschluß anknüpfend klar festlegt, daß die Linke ausnahmslos jeden Bundeswehreinsatz im Ausland ablehnt.
Regierungsbeteiligung
Bei der Lektüre dieser Eckpunkte drängt sich hin und wieder der Eindruck auf, daß es den Verfassern auch darum gegangen ist, durch vage und widersprüchliche Formulierungen den Weg dazu zu bereiten, notfalls durch Aufgabe grundsätzlicher Positionen kompromißfähig und damit regierungsfähig zu werden. Ein beliebtes Argument – ich höre es auch aus meiner Partei – ist, die Linke könne dann „Schlimmeres“ verhindern, auch wenn sie die eine oder andere Kröte schlucken müsse. Mit Verlaub: dieses Argument kenne ich seit Jahrzehnten, und zwar viele Jahre von der SPD und zuletzt immer wieder von den Grünen.
Berlin, Regierungsbeteiligung
In Berlin ist die Linkspartei.PDS erneut eine Koalition mit der SPD eingegangen. Wie wir alle wissen, hat sie in der vergangenen Legislaturperiode öffentliche Wohnungen privatisiert, Stellen im öffentlichen Dienst abgebaut, die Lernmittelfreiheit aufgehoben und soziale Leistungen gekürzt. Sie war auch politisch mitverantwortlich für Prügeleinsätze der Berliner Polizei, die nicht nur bei Demonstrationen mit unglaublicher Brutalität gegen Antifaschisten, Bundeswehrgegner und Schüler vorgeht.
In welchem Maße die Glaubwürdigkeit unserer Partei durch eine solche Politik beschädigt wurde, haben wir bei den Wahlen zum Abgeordnetenhaus gesehen: Die Linkspartei.PDS hat fast die Hälfte ihrer Wähler und Wählerinnen verloren. Ein solcher Aderlaß hat Seltenheit in der deutschen Parteiengeschichte. Und ich finde es schlimm, daß diese Katastrophe nicht einmal innerhalb der Partei zu Debatten geführt hat – ich jedenfalls kenne keine.
Die Linkspartei.PDS sollte diesen Beschluß, so weiter zu machen wie bisher, noch einmal überdenken. Wir sollten auch die Strategie der SPD-Führung nicht unterschätzen, die vor Jahren schon die Parole ausgegeben hat, sie wolle die PDS „entzaubern“. So, wie es aussieht, ist diese Strategie aufgegangen. Und sie wird erst richtig aufgehen, wenn die Berliner Genossen weiter mit der SPD koalieren. Schon in den Koalitionsgesprächen wurde vereinbart, daß eine Milliarde Euro im nächsten Jahr eingespart werden muß Der Ladenschluß wird beseitigt, zahllosen Verkäuferinnen, die ohnehin meist in prekären Verhältnissen leben, werden jetzt auch noch Nachtschichten aufgenötigt. Der Einstieg in die Gemeinschaftsschule ist kein Einstieg – er ist lediglich politische Symbolik. Und der ebenfalls als »Erfolg« gefeierte Einstieg in einen öffentlichen Beschäftigungssektor für Langzeiterwerbslose entpuppt sich bei näherem Hinsehen als Pilotprojekt für einen staatlichen Niedrigstlohnsektor.
Warnendes Beispiel: Die Grünen
Ein Blick in die Geschichte der Grünen sollte uns warnen, deren Fehler zu wiederholen. Ursprünglich wurde diese Partei von außerparlamentarischen Bewegungen getragen, dann verselbständigte sich trotz aller Warnungen die Parteielite – und heute machen die Grünen knallharte Regierungspolitik, auch an ihre neue Oppositionsrolle wollen sie sich so richtig nicht gewöhnen. Auch sie haben sich von den SPD-Strategen einkaufen lassen: Sie wurden als Partner in die Regierungen geholt und durften die SPD-Politik im wesentlichen abnicken. Heute sind die Grünen eine Partei, die alle ihre Grundsätze verraten hat, für die sie einst angetreten sind. Für unseren Parteibildungsprozeß kann es kein besseres Lehrbeispiel geben.
Die Regierungsbeteiligung in Berlin hat keineswegs nur lokale Bedeutung. Sie wird deutschlandweit nicht nur in der WASG und der Linkspartei.PDS diskutiert, sondern auch im gesamten linken Umfeld. Bei Diskussionen auch in meinem Wahlkreis stelle ich aber immer wieder fest, daß diese Politik überwiegend abgelehnt wird und viele engagierte Linke davon abhält, sich uns anzuschließen. Ich will es mal kraß formulieren: Die Regierungsbeteiligung in Berlin macht uns bundesweit unglaubwürdig, sie schadet der Entwicklung unserer Partei und stört empfindlich den Vereinigungsprozeß.
Bedingungen für Regierungsbeteiligung
Eine Regierungsbeteiligung kann es nach Auffassung der antikapitalistischen Linken für eine sozialistische Partei nur dann geben – Zitat aus unseren Änderungsanträgen – „wenn wir die Lebensverhältnisse der Menschen verbessern und alternative Entwicklungspfade öffnen können.“ Voraussetzung: „Einrichtungen der öffentlichen Daseinsvorsorge dürfen nicht privatisiert werden. Der Personalabbau in Bund, Ländern und Gemeinden muß generell gestoppt und ebenso die Kürzung sozialer Leistungen verhindert werden.“ Diese Mindestbedingungen sind in Berlin keineswegs erfüllt. Aus dem „Weiter so!“, mit der die Berliner Linkspartei.PDS im Wahlkampf warb, ist ein „Fortsetzung folgt“ geworden.
Ziel: Sozialismus
Daß der Kapitalismus zwar mancherlei Sumpfblüten hervorbringt, aber der Mehrheit der Menschen schadet, daß er Kriege wie in Afghanistan, dem Libanon und im Irak führt und zutiefst inhuman ist – das wissen wir alle aus eigener Erfahrung. Deswegen wollen wir diesen Kapitalismus nicht, wir haben ihn in unterschiedlichen Ausprägungen kennengelernt, in der Variante der sozialen Marktwirtschaft, die eine CDU- und eine SPD-Ausprägung hatte. In der seit 1989 üblichen Variante, daß das Attribut „Sozial“ einfach weggelassen wird – pure Marktwirtschaft also – und das mit den bekannten Folgen, Stichwort:
Hartz IV. Und einige von uns haben den Kapitalismus sogar noch in seiner faschistischen Variante kennen gelernt. Weil wir das alles kennen und wissen, daß der Kapitalismus trotz unterschiedlicher Erscheinungsformen sein Wesen nicht ändert – deswegen wollen wir eine andere Gesellschaftsform. Wir wollen, daß die Menschen selbst bestimmen, daß sie auch über die Werte verfügen, die sie schaffen. Wir wollen, daß wir einen Weg beschreiten, wie er sich z. B. in Venezuela abzeichnet, wo Hugo Chávez den „Sozialismus des 21. Jahrhunderts“ anstrebt. Diese klare Orientierung muß auch im Parteiprogramm zum Ausdruck kommen. .
Parlamentarisch-Außerparlamentarisch
Wir alle haben politische Arbeit in Bürgerinitiativen, Erwerbslosengruppen, in Gewerkschaften oder linken Parteien gemacht. Wir kennen aus eigener Erfahrung die Ängste und Besorgnisse der Menschen. Und wir wissen auch, daß weder SPD noch CDU, Grüne oder FDP diese Menschen ernst nehmen. Wenn es uns gelingt, unsere außerparlamentarischen Erfahrungen in die neue Partei nicht nur einzubringen, sondern parlamentarische und außerparlamentarische Arbeit wirkungsvoll zu verknüpfen, wenn es uns gelingt, dieser Partei auch ein klares linkes Profil zu geben – dann wird Die Linke zu einer Kraft, die dieses Land verändern kann.
Das geht aber nur, wenn wir alle gemeinsam antreten, Wenn wir uns nicht auseinanderdividieren lassen oder uns selbst auseinander dividieren. Deswegen appelliere ich an Euch alle: Macht Euch dafür stark, daß die Linke in Bremen in einer gemeinsamen Liste antritt! Ich betone gemeinsame!!!
Ein Einzug in die Bürgerschaft wäre der Impuls, den der Parteibildungsprozeß jetzt braucht.
Einigkeit und Einheit setzen aber voraus, daß man miteinander redet und daß in unserer gemeinsamen Partei wirkliche Demokratie herrscht. Wir dürfen nicht den Fehler der Grünen wiederholen, die den Funktionsträgern das Sagen überlassen haben. Ich finde es bedauerlich, daß wir die selbe Erscheinung auch bei der Linkspartei.PDS vor allem in Ostdeutschland finden. Die Genossinnen und Genossen aus der WASG wissen aus eigener Erfahrung, daß es auch in ihrer Partei Persönlichkeiten gibt, die mit Macht nach oben drängen. Beide Parteien haben ähnliche Probleme: Der Widerspruch verläuft aber keineswegs zwischen Linkspartei.PDS und WASG, sondern in beiden Parteien zwischen Führung und Basis.
Wir wollen aber eine Partei der Mitglieder, nicht der Funktionäre. Deshalb ist eine Trennung von Amt und Mandat und die Unvereinbarkeit von Berufstätigkeit für die Partei mit Delegierten- oder Parteiwahlämtern unerläßlich. Wo in der heutigen Linkspartei das Gegenteil Praxis ist, müssen Regelungen vereinbart werden, die das in kürzester Zeit zurückführen. Außerdem müssen die Landesverbände mehr Autonomie bekommen.
Linksfraktion als Vorbild?
Viele sind der Meinung, daß unsere Bundestagsfraktion im Augenblick der eigentliche Motor des Vereinigungsprozesses ist. Wir haben uns auf Anträge geeinigt wie das Recht auf Generalstreik, auf die Ablehnung der diffamierenden Kuba-Resolution, auf die Forderung nach Verstaatlichung der Energienetze, auf die Ablehnung von Hartz IV. Wir sind die einzige Partei, die Kriegseinsätze rundweg ablehnt. Nicht zu vergessen, daß wir die maßgebliche Kraft sind, die ständig die Themen Faschismus, Rassismus und Demokratieabbau in die Diskussion bringen. Unsere Fraktion ist der beste Beweis:
Es geht doch!