In der Öffentlichkeit ging das weitgehend unter, weil sich die Aufmerksamkeit auf Schäubles zugleich bekanntgewordenen Plan richtete, trotz gegenteiliger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts eine Lizenz zum Abschuß von Passagierflugzeugen einzuführen. Ebenso kritikwürdig wie diese skandalöse Gesetzesinitiative ist aber auch das EU-Programm des Bundesinnenministers.
Nach Auffassung der Flüchtlingsorganisation Pro Asyl verfolgt Schäuble einen »obsessiven Abschottungskurs«. »Mehr Grenzschutz, mehr Rückübernahmeabkommen und mehr gemeinsame Abschiebungen bilden die Schlüsselelemente auf Schäubles Agenda«, erklärte Karl Kopp, Europareferent von Pro Asyl. Menschenrechte und Flüchtlingsschutz würden hingegen ausgeblendet.
Die Vorstellung von Schäubles Programm fiel zusammen mit der Nachricht von neuen Todesfällen afrikanischer Flüchtlinge, die im Mittelmeer ertrunken sind. Die europäische Abwehrpolitik hat 2006 zu der bislang höchsten Zahl von Toten an den Außengrenzen geführt. Nach Angaben der spanischen Behörden kamen 2006 etwa 6000 Flüchtlinge und Migranten alleine auf dem Weg von Westafrika zu den Kanarischen Inseln ums Leben. Genauso hoch dürfte die Dunkelziffer der Todesfälle an den europäischen Südgrenzen sein. »Europa trägt maßgeblich Verantwortung für das Massensterben«, kommentierte Pro Asyl.
Dennoch erklärte Schäuble, sein EU-Arbeitsprogramm sehe die Stärkung der europäischen Grenzschutzagentur Frontex vor. Künftig sollen an den »Brennpunkten illegaler Migration« sowie an allen größeren Grenzübergängen vermehrt gemeinsame grenzpolizeiliche Expertenteams der Mitgliedstaaten eingesetzt werden. Damit werde »ein wesentlicher Beitrag zur Bekämpfung illegaler Migration an den Außengrenzen der EU« geleistet.
Weiterhin kündigte Schäuble zur »Bekämpfung des Visamißbrauchs« die Reform des gemeinsamen Visumrechts durch einen »Visakodex« an. Schäuble will sich für die Einführung des gemeinsamen Visuminformationssystems (VIS) einsetzen. »Mit ihm können Daten von Visumantragstellern einschließlich Fingerabdrücken und Lichtbildern gespeichert und verglichen werden.« Schäuble sieht das als Maßnahme gegen »Visa-Shopping« und »gegen internationalen Terrorismus und organisierte Kriminalität«.
Eine sachliche Begründung für diese Abschottungspolitik gibt es nicht. Die Zahl der Asylbewerber ist jedenfalls in ganz Europa stark zurückgegangen. In der BRD wurden 2006 rund 20 000 neue Asylgesuche registriert; das ist der niedrigste Stand seit 1977. Insgesamt verzeichneten die 25 EU-Staaten 2006 weniger als 200 000 Asylanträge.
Trotz der Bedenken des Europaausschusses des Bundestags wird zumindest die EU-Grundrechteagentur planmäßig eingeführt. Der Sprecher von EU-Innen- und Justizkommissar Franco Frattini erklärte gestern in Brüssel, er erwarte, daß die Agentur am 1. März 2007 ihre Arbeit aufnehmen könne. Die EU-Außenminister werden am 22. Januar 2007 endgültig über die EU-Grundrechteagentur beschließen.
Aufgabe der neuen Behörde mit Sitz in Wien soll es sein, Daten über die Auswirkungen der EU-Politik auf die Lage der Grundrechte in den Mitgliedstaaten zu sammeln und in einem jährlichen Bericht zu analysieren. Die Behörde soll zugleich erfolgreiche Beispiele für wirksamen Grundrechteschutz in den EU-Staaten aufzeigen.