Artikel: Tödliche Flüchtlingspolitik

Die Flüchtlingspolitik der Bundesregierung ist gekennzeichnet durch
Abschottung und Ausgrenzung. Die große Koalition setzt diese unselige
Linie ihrer Vorgängerregierungen von SPD und Grünen sowie CDU/CSU und
FDP unverändert fort. Die Auswirkungen sind dramatisch; viele
Flüchtlinge verlieren sogar ihr Leben. Dies wird seit 1993 durch die
Dokumentation „Bundesdeutsche Flüchtlingspolitik und ihre tödlichen
Folgen“ nachgewiesen. Die Auflistung aufrüttelnder Vorfälle wird von der
Antirassistischen Initiative e.V. Berlin herausgegeben und ist soeben in
aktualisierter 14. Auflage neu erschienen.

Die Zahl der Flüchtlinge, die in der BRD Asyl beantragten, war 2006 mit
21.000 die niedrigste seit 1983. 30.756 Entscheidungen hat das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge getroffen, nur 251 Personen wurden dabei als Asylberechtigte
anerkannt (0,8 Prozent). Weitere 1.097 Menschen erhielten
Abschiebeschutz. Etwa 300.000 Menschen leben aufgrund der so genannten
Kettenduldungen oder mit Grenzübertrittsbescheinigungen in ständiger
Angst vor Abschiebung. Angesichts dieser Bedrohung werden viele
Betroffene gezwungen, in die Illegalität zu gehen.

Die Dokumentation beschreibt in fast 5000 Einzelgeschehnissen die
Auswirkungen dieses staatlichen und gesellschaftlichen Rassismus. Die
Zahlen sind auch im Jahre 2006 konstant geblieben, wobei von einer hohen
Dunkelziffer auszugehen ist. Seit 1993 starben 170 Flüchtlinge auf dem
Wege in die BRD oder an deren Grenzen. 470 erlitten beim Grenzübertritt
Verletzungen. 138 Flüchtlinge töteten sich angesichts ihrer drohenden
Abschiebung oder starben bei dem Versuch, vor der Abschiebung zu
fliehen, davon 50 Menschen in Abschiebehaft. Fünf Flüchtlinge starben
während der Abschiebung, 25 Personen kamen nach der Abschiebung in ihrem
Herkunftsland zu Tode, und mindestens 411 Flüchtlinge wurden im
Herkunftsland von Polizei oder Militär misshandelt und gefoltert
oder kamen aufgrund ihrer schweren Erkrankungen in Notsituationen. 67
Flüchtlinge verschwanden nach der Abschiebung spurlos. 67 Personen
starben bei Bränden oder Anschlägen auf Flüchtlingsunterkünfte, 13
Menschen wurden durch rassistische Angriffe auf der Straße getötet.

Einige Beispiele aus dem Jahr 2006: Nachdem im Abschiebegefängnis
Berlin-Köpenick am 13. Februar einem 63 Jahre alten Mazedonier die
Aufenthaltskosten im Gefängnis (62 Euro pro Tag) präsentiert worden waren, versuchte sich
der unter schweren Depressionen leidende Gefangene zu erhängen. Er
konnte noch rechtzeitig gerettet werden. Am 24. Februar kletterte der
32jährige Zarko Bardul, um seiner Abschiebung zu entgehen, in Panik aus
dem Fenster seiner im dritten Stock gelegenen Wohnung in Berlin-Wedding.
Als die Fensterbank wegbrach, stürzte Zarko Bardul 15 Meter in die
Tiefe. Er erlitt schwere Knochenbrüche an beiden Beinen und am rechten Arm.

Der seit 1999 in Frankfurt/Oder lebende kenianische Asylbewerber Joseph
M. hätte nach beabsichtigter Heirat einer deutschen Staatsangehörigen
längst einen sicheren Aufenthalt gehabt, wenn nicht immer wieder
bürokratische Hürden aufgebaut worden wären. Als ihm seine sofortige
Abschiebung eröffnet wurde, sprang er am 23. März durch ein
geschlossenes Fenster aus einer Toilette in der Ausländerbehörde. Durch
den Aufprall auf dem betonierten Boden zog er sich so schwere
Verletzungen zu, dass er seither querschnittsgelähmt ist.

Der kurdische Flüchtling und abgelehnte Asylbewerber M. Ö. wurde
zusammen mit seiner schwangeren Frau und zehn Kindern am 4.Mai in die
Türkei abgeschoben. Nach einem Verhör durch die Flughafenpolizei in
Istanbul wollte die Familie mit dem Bus in ihr Heimatdorf fahren. Mit
den Worten: „“ir sind mit Dir noch nicht fertig“ zerrten zwei Männer M. Ö.
aus dem Bus und verschleppten ihn. Seither gibt es keinerlei
Lebenszeichen von ihm.

Am 8.Mai erlag eine 57 Jahre alte Chinesin ihren Verletzungen. Sie hatte
sich einen Tag zuvor in der Abschiebehaftanstalt Neuss erhängt und war
von einem Notarzt reanimiert worden. Am 13.August rammte in der
Abschiebezelle des Flughafens München der 36-jährige Chinese Xiang Zhong
Chen mit voller Wucht seinen Kopf gegen die Wand, um sich umzubringen.
Er zog sich dadurch schwere Kopfverletzungen zu. Der Asylbewerber war
vor zwölf Jahren in die BRD gekommen. Seine Lebensgefährtin war im
sechsten Monat schwanger. Sie erklärte, Chen sei weiter bereit, sich lieber umzubringen als nach
China zurückzugehen.

Der anerkannte politische Flüchtling Yusuf Karaca wurde aufgrund eines
Auslieferungsbegehrens der Türkei am 2. Mai in deutsche
Auslieferungshaft genommen. Die zynische Begründung des
Oberlandesgerichts Frankfurt/Main lautete, die von Yusuf Karaca
angeführte Angst vor Folter, die er tatsächlich jahrelang erleiden
musste, sei ein Anreiz, sich einer Auslieferung durch Flucht zu
entziehen. Aufgrund eines durch Folter erpressten Geständnisses war Yusuf
Karaca in der Türkei wegen „Mitgliedschaft in einer Terror-Organisation“
zu 30 Jahren Gefängnis verurteilt worden. Yusuf Karaca begann einen
unbefristeten Hungerstreik. Nach 90 Tagen wurde er Ende August
freigelassen, stand aber vor dem sozialen Nichts. Die Behörden hatten
seine Wohnung und Krankenversicherung schon gekündigt; die Kosten der
medizinischen Versorgung wurden in Rechnung gestellt. Yusuf Karaca,
ohnehin durch die letzten Monate psychisch schwer angeschlagen, kam in
eine schwere depressive Krise.

Am 19. September sollte die togolesische Familie Kpakou aus Marburg nach
13-jährigem Deutschland-Aufenthalt abgeschoben werden. Bei dieser
Maßnahme wurde die Familie von der Behörde gewaltsam und beabsichtigt
getrennt. Während ein Arzt die Abschiebung des unter akutem
Bluthochdruck leidenden Vaters aus gesundheitlichen Gründen stoppte,
wurden sechs Kinder sofort von Hamburg nach Westafrika ausgeflogen. Der
Widerstand, den Frau Kpakou und ihre erwachsene Tochter am Flughafen
Frankfurt den Bundespolizisten entgegensetzen, führte dazu, dass deren
Abschiebung vorübergehend ausgesetzt wurde. Am 2. Oktober um 5.30 Uhr
wurden die beiden Frauen mit dem 6-jährigen Sohn von Frau Kpakou und der
2-jährigen Enkelin mit einer offenbar ausschließlich für die vier
Personen gecharterten Maschine nach Lomé gebracht. Herr Kpakou hatte in
seiner Verzweiflung am 26. September einen Selbsttötungsversuch
unternommen. Da er wegen dabei erlittener Verletzungen nicht reisefähig
ist, blieb er als einziger der Familie in der BRD.

Am 20. Dezember wurde die kurdische Seyyar aus Bad Pyrmont (Eltern und
sechs Kinder) nach elf Jahren Aufenthalt in einer brutalen Aktion
abgeschoben. Frau Seyya, die wegen der ständig drohenden Abschiebung zum
wiederholten Male versucht hatte, sich mit Tabletten zu töten, wurde im
Landeskrankenhaus Hildesheim vor die Entscheidung gestellt, von
ihrer Familie getrennt zu sein oder „freiwillig“ auszureisen. Sie wurde
für die Fahrt zum Flughafen mit Handschellen gefesselt. Nur der älteste
Sohn Hidir durfte in der BRD bleiben, während die anderen Familienmitglieder
nicht als „wirtschaftlich und sozial integriert“ galten – eine
Bewertung, der die Aussagen vom Leiter des Schulzentrums und einer
Mitarbeiterin des Kinderschutzbundes, die die Kinder und Eltern seit
Jahren kannten, diametral gegenüberstanden.

Die Dokumentation umfasst HEFT 1 (1993 – 1999, 174 Seiten für 6 Euro)
sowie HEFT 2 (2000 – 2006, 230 Seiten für 10 Euro) plus je 1,60 Euro
Porto und Verpackung. Im Internet ist noch die 13. Auflage zu finden
unter: www.ari-berlin.org/doku/titel.htm