Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble (CDU) geht jetzt zum Generalangriff auf die Verfassung über: Bis zum Herbst will er sogenannte Sicherheitspolitische Leitlinien vorlegen. Darin will er sämtliche Vorschläge bündeln, die er in der jüngsten Vergangenheit zur Überwachung der Bevölkerung von sich gegeben hat: Mithören in Wohnungen, heimliches Durchsuchen von Computern, Zugriff auf Kontodaten, erleichterte Überwachung der Telefongespräche, Speicherung buchstäblich aller Telekommunikationsverbindungen, Datenbanken mit Fingerabdrücken und Paßfotos aller hier lebenden oder mit Visum einreisenden Menschen.
Schäuble selbst zieht ausdrücklich den Vergleich mit dem »Weißbuch« der Bundeswehr, das voriges Jahr vom Kabinett beschlossen wurde, berichtete die Welt am Montag. Das Weißbuch erhebt den Anspruch, deutsche Soldaten prinzipiell in der ganzen Welt einsetzen zu können, um »deutsche Interessen« zu verteidigen. Ähnlich grenzenlos und ohne Rücksicht auf das Grundgesetz sollen nun die »Sicherheitspolitischen Leitlinien« ausfallen. Um deren »umfassenden Sicherheitsbegriff« anzuwenden, will Schäuble auch den Inlandseinsatz der Bundeswehr erlauben. Man werde »über die völlig überkommene Trennung von innerer und äußerer Sicherheit zu reden haben«, so der CDU-Politiker. Warnungen vor einem Überwachungsstaat will der Innenminister nicht hören: »Alles Unfug, diese Debatten«, erklärte er am Montag auf einem Symposium in Boppard am Rhein.
Schäuble zeigt sich bei alledem als Meister des Verharmlosens: Die von ihm geplante digitale Paßfoto-Datei sei im Kern nicht neu, behauptete er gestern. Schon bisher seien Paßfotos per Fax geschickt worden. Nun macht es aber einen elementaren Unterschied, ob ein Beamter von Hand Fotos vergleicht oder ob mit ein paar Computerbefehlen jeder, der zufällig irgendwo gefilmt wurde, mit den Melderegistern abgeglichen wird. Die online-Abfrage von Fotos wie auch von Fingerabdrücken macht aus der ganzen Bevölkerung ein Kollektiv von Verdächtigen. Doch das ist dem Innenminister zu hoch: »Ich verstehe von Technik nicht soviel wie von der Verfassung«, räumte er gestern ein. »Also noch weniger!«, konterte die stellvertretende Vorsitzende der Linksfraktion, Petra Pau, die Schäubles Pläne entschieden ablehnt.
Verschnupft reagierte die SPD auf Schäubles Vorstoß. »Schäuble ist gut beraten, rechtzeitig mit dem Koalitionspartner zu sprechen, sonst wird es bei einer bloßen Ankündigung von Leitlinien bleiben«, warnte der SPD-Innenpolitiker Dieter Wiefelspütz. Er halte es »nach wie für sachgerecht«, daß der Bundeswehr Inlandseinsätze verwehrt bleiben – mit »wenigen« Ausnahmen. Das Muster derartiger Vorbehalte ist allerdings bekannt: Die SPD nimmt die Rolle des kleineren Übels ein, um die allergröbsten Vorstöße Schäubles abzuwenden und weniger weitgehende durchzuwinken. So werden demokratische Grundrechte Stück für Stück abgebaut. Ziel ist der rundum mit Vollmachten ausgerüstete Sicherheitsstaat, der »präventiv« Straftaten verhindern will und dafür den Rechtsstaat auf den Kopf stellt.
Zuerst erschienen in: junge Welt vom 17.04.2007