Hat die Bundeswehr vorsätzlich Geheimunterlagen vernichtet, die Hinweise auf eine Mittäterschaft deutscher Soldaten bei der Verschleppung und Mißhandlung von Terrorverdächtigen durch die CIA geben?
Laut einem Bericht des ARD-Magazins »Report« vom Montag abend hat das Verteidigungsministerium gegenüber dem Verteidigungsausschuß des Bundestages eingestanden, daß die Geheimdienstinformationen über Auslandseinsätze der Bundeswehr aus den Jahren 1999 bis 2003 nicht mehr vorliegen. Es geht um die beim Zentrum für Nachrichtenwesen der Bundeswehr (ZNBw) gesammelten Berichte deutscher und ausländischer Geheimdienste und Militärattachés zur Lagebeurteilung in Einsatzländern wie Kosovo und Afghanistan.
Der Verteidigungsausschuß hatte sämtliche der Bundeswehr vorliegende Meldungen über den Einsatz im afghanischen Kandahar angefordert. So sollten die Vorwürfe des vom US-Geheimdienst verschleppten Bremers Murat Kurnaz aufgeklärt werden, er sei im Januar 2002 von Soldaten des Kommandos Spezialkräfte »KSK« der Bundeswehr mißhandelt worden.
»Der Datensicherungsroboter erlitt nach der Archivierung der Daten einen technischen Defekt und mußte Ende 2004 durch ein Austauschgerät ersetzt werden«, erklärte Verteidigungsstaatssekretär Peter Wichert gegenüber den Parlamentariern den angeblichen Datenverlust. Ein Teil der entsprechenden Bandkassetten sei nicht mehr lesbar gewesen. »Entsprechend der gültigen Vorschriften im Umgang mit Verschlußsachen wurden die nicht mehr lesbaren Kassetten am 4. Juli 2005 vernichtet.« Der Versuch sei gescheitert, die Daten wieder zugänglich zu machen.
»Das riecht nach Vorsatz«, meinte Geheimdienstexperte Erich Schmidt-Eenboom gegenüber der Berliner Zeitung(Dienstagausgabe). Das Bundeskriminalamt und spezialisierte Firmen seien seit langem in der Lage, beschädigte Datenträger zu rekonstruieren. Es sei seltsam, daß keine technische Hilfe in Anspruch genommen wurde.
Auch Hans-Christian Ströbele, Obmann der Grünen im BND-Untersuchungsausschuß, äußerte Zweifel. Er habe selbst mehrfach Anfragen über die Arbeit des Kommandos Spezialkräfte in Afghanistan gestellt, erklärte der Abgeordnete gestern in der Neuen Presse in Hannover. Ihm sei vom Verteidigungsministerium zwar ausweichend geantwortet worden, von einem Verlust der Unterlagen sei allerdings nie die Rede gewesen. Die Bundesregierung verfahre nach dem Grundsatz »tricksen, tarnen, täuschen«, verurteilte der verteidigungspolitische Sprecher der Linksfraktion, Paul Schäfer, am Dienstag die Datenvernichtung als klaren Rechtsbruch.
Kurnaz’ Anwalt Bernhard Docke befürchtet, daß Belastungsmaterial für das bei der Staatsanwaltschaft Tübingen anhängige Ermittlungsverfahren verschwunden ist. Obwohl Kurnaz zwei KSK-Soldaten als Peiniger identifiziert hatte, reichte dies der Staatsanwaltschaft nicht zur Anklageerhebung aus. Weitere entscheidende Beweise hätten sich möglicherweise in den vernichteten Akten befunden.
Verschwunden sind laut Schmidt-Eenboom auch Berichte über die Teilnahme von Bundeswehroffizieren am Verhör des im September 2001 von einem US-Kommando in Bosnien verschleppten Münchners Abdel-Halim Khafagy. Der gebürtige Ägypter wurde in einem US-Geheimgefängnis in Tuzla aufgrund eines falschen Terrorverdachts schwer mißhandelt. Die Fraktionen der Linken, Grünen und FDP wollen angesichts der Datenvernichtung beantragen, daß der Fall Khafagy so schnell wie möglich im BND-Untersuchungsausschuß behandelt wird.
zuerst erschienen in: junge Welt 27.Juni 2007