Den kommerziellen Medien spielten die heißersehnten Bilder von den Straßenschlachten ebenso in die Hände wie den staatlichen Repressionsorganen. Wolfgang Schäuble und die Innenminister der Länder können nun damit rechnen, daß ihre Forderungen nach noch härterem Durchgreifen der Polizei und nach noch mehr Demoverboten auf höhere Akzeptanz stoßen.
Was die vorangegangene Kriminalisierung der G-8-Proteste durch Verfassungsschutz und Bundeskriminalamt, die Paragraph-129-a-Razzien und die Medienhetze nicht geschafft haben, ist nun eingetreten: Die breite Protestbewegung gegen den G-8-Gipfel wurde an der Militanzfrage gespalten. ATTAC und andere Veranstalter der Großdemonstration haben sich von den Autonomen distanziert und diese für unerwünscht erklärt.
Für die nächsten Tage werden die Gewaltszenen demobilisierend wirken. Viele Protestteilnehmer sind verunsichert. Schon wird diskutiert, ob die geplanten Blockaden und Demonstrationen stattfinden sollen. Während das solidarische Zusammenstehen gegen Polizeiübergriffe auch pazifistisch orientierten Demonstranten einsichtig ist, lassen sich Steinwürfe, Molotowcocktails und brennende Autos nur schwer vermitteln. Vor diesen Bildern gingen zudem die Inhalte des Protestes unter – egal ob reformistisch oder revolutionär. Die meisten Medien konzentrierten sich auf die Zusammenstöße zwischen der Polizei und einer Minderheit der Demonstranten.
Diejenigen, die mit militanten Aktionen gegen den Sperrzaun anrennen wollten, haben nun ihr Pulver schon verschossen. Daß sich die Gewalt des »schwarzen Blocks« bereits Tage vor Beginn des G-8-Gipfels fernab von Heiligendamm entlud, lag allein im Interesse der Polizei. Die Autonomen müssen sich fragen lassen, wie weit sie einer gezielten Provokationsstrategie auf den Leim gingen.
Wir sollten aus den Vorfällen lernen, das Potential zivilen Ungehorsams richtig einzusetzen und sinnlose Gewaltausbrüche zu unterbinden. Pazifistisch orientierte Gruppierungen dürfen anderen Strömungen der Linken ihre Taktik nicht aufzwingen – ebensowenig aber sollte eine Minderheit selbsternannter Straßenkämpfer eine Großdemonstration von 80000 Menschen in Geiselhaft für ihre Aktionen nehmen. Die Autonomen sind aufgefordert, sich der Kritik und Debatte innerhalb der Linken zu stellen.
Festgestellt werden muß aber auch: Die größte Gewalt geht von Regierungen jener Staaten aus, die sich in Heiligendamm versammeln. Im Irak, in Afghanistan und vielen anderen Orten fallen der imperialistischen Kriegspolitik Tausende zum Opfer – mit deutscher Beteiligung oder Unterstützung.
Gegen diese globale Gewaltmaschine müssen die Proteste weitergeführt werden – in Rostock-Laage und Heiligendamm, aber auch weltweit durch den Aufbau der Antikriegsbewegung und den Kampf für eine antikapitalistische Alternative.
* Ulla Jelpke ist Bundestagsabgeordnete der Fraktion Die Linke.
Zuerst erschienen in: junge Welt 5.6.07