Die innenpolitische Sprecherin der Grünen im Bundestag, Silke Stokar von Neuforn, fordert »intensivere« Videoüberwachungen. In der Westdeutschen Allgemeinen Zeitung (Montagausgabe) behauptet Stokar, es gäbe »Sicherheitslücken rund um die deutschen Bahnhöfe«. Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble (CDU) »vernachlässige sein Handwerk«. Stokar äußert zudem Zweifel an der Qualität der Videotechnik: Bei den vor genau einem Jahr fehlgeschlagenen »Kofferbombenattentaten« sei deutlich geworden, »daß mit sehr schlechten Kameras gearbeitet wird«, erklärte die Grünen-Abgeordnete. Es sei nicht möglich gewesen, innerhalb kurzer Zeit brauchbare Fahndungsfotos zu erstellen.
Die Linksfraktion im Bundestag kritisierte den Vorstoß der Grünen. In einer Presseerklärung hieß es: »Es ist entlarvend, daß nun auch die selbsternannte ›Bürgerrechtspartei‹ der Grünen auf den populistischen Zug von ›Big Brother‹-Schäuble aufspringt.« Terroranschläge könnten durch Videoüberwachung nicht verhindert werden. Videokameras an öffentlichen Plätzen seien ein massiver Eingriff in die Persönlichkeitsrechte und »Ausdruck einer allgemeinen Tendenz zum Generalverdacht. Jeder Fahrgast oder Passant gerät so ins Visier der Polizei und anderer Sicherheitsbehörden. Die Unschuldsvermutung als zentrales Element der rechtsstaatlichen Ordnung wird so ausgehebelt.«
Dagegen wird der Ruf der Grünen nach mehr Überwachung durch die Gewerkschaft der Polizei (GdP) unterstützt. Laut Vorstandsmitglied Josef Scheuring hat die Bahn ihre Sicherheitskräfte um 300 auf rund 3000 Mitarbeiter verstärkt. Doch dies sei »nicht einmal ein Tropfen auf den heißen Stein«, zumal auch die Bundespolizei personell »auf dem letzten Loch« pfeife.
Wie dicht das Ausmaß der Videoüberwachung bereits ist, wird vom Bundesinnenministerium nicht präzise mitgeteilt. Bundesweit sollen im Bereich der Bahn rund 3000 Kameras im Einsatz sein. Im Frankfurter Hauptbahnhof sind nach Schätzungen knapp 150 Kameras installiert, in Leipzig 130, am Berliner Ostbahnhof mehr als 80 und in Hamburg über 60. Dort werden seit Ende 2004 auch alle U-Bahn-Stationen überwacht.
Die Berliner Verkehrsbetriebe streben dies ebenfalls an. BVG-Betriebsvorstand Thomas Necker kündigte in der Berliner Morgenpost vom Montag an, daß bis Jahresende alle 170 U-Bahnhöfe für zwei Millionen Euro mit Videotechnik ausgestattet werden. Zudem wird die Polizei nach Plänen des Senats auch einen direkten Zugriff auf die Videoaufzeichnungen der BVG und anderer Veranstalter im öffentlichen Raum bekommen. Dabei soll eine verbindliche Löschung der Aufzeichnungen nach 24 Stunden festgeschrieben werden. Die von der CDU geforderte Ausdehnung der Videoüberwachung auf öffentliche Plätze wird von der SPD-Linke-Koalition in Berlin als »zu weitgehend« abgelehnt.
Zur Vorbereitung der Überwachung hatte der Senat in einem Pilotprojekt den Kameraeinsatz auf drei U-Bahn-Linien wissenschaftlich begleitet. Die Bürgerrechtsorganisation Humanistische Union (HU) verlangt Einsicht in die dazu erstellte Studie. Die BVG lehnte dies am 2. Juli ab. Dagegen hat die HU jetzt Widerspruch eingelegt.
Der Staatsrechtler Martin Kutscha von der Fachhochschule für Verwaltung und Rechtspflege in Lichtenberg bewertete schon am 27. Februar 2007 im Tagesspiegel den Nutzen von Kameraaufzeichnungen als »unsicher«. Entsprechende Erfahrungen aus Großbritannien seien »eher ernüchternd«.
Wenn die Grünen dennoch einer noch stärkeren Überwachung das Wort reden, so darf man das getrost im Zusammenhang mit den aktuellen Debatten über künftige schwarz-grüne Koalitionen sehen. Gerade Innenminister Schäuble, der sich als Scharfmacher beim Abbau von Bürgerrechten profiliert hat, gilt innerhalb der Union als Verfechter von Koalitionen mit den Grünen. Dazu paßt es gut, wenn aus deren Reihen nun das Signal kommt, daß sie bei der inneren Sicherheit dem Überwachungsfanatiker Schäuble keine Schwierigkeiten bereiten zu wollen.
veröffentlicht in: junge Welt 14.8.07