Die Regierungsfraktionen wollen noch in diesem Jahr die Vorratsspeicherung von Telekommunikationsdaten durchsetzen. Für den kommenden Samstag mobilisiert ein Bündnis aus Bürgerrechtlern, linken und liberalen Parteien sowie Berufsverbänden zu einer Demonstration in Berlin unter dem Motto »Freiheit statt Angst – Stoppt den Überwachungswahn!«
Bei der Vorratsdatenspeicherung geht es um die sogenannten Verkehrsdaten. Telefonfirmen und Provider müssen ein halbes Jahr lang speichern, wer wen zu welcher Uhrzeit anruft und wie lange das Gespräch dauert. Bei Handygesprächen wird zusätzlich die genutzte Funkzelle gespeichert, die den Standpunkt des Anrufers angibt. Bei E-Mails wird erfaßt, wer zu welcher Uhrzeit an welche E-Mail-Adresse schreibt, und, um Anonymisierungen zu verhindern, wer von wem E-Mails empfängt. Und schließlich wird erfaßt, wer wann und wie lange im Internet surft. Die Bundesregierung behauptet, sie setze lediglich eine EU-Richtlinie aus dem Jahr 2006 um. Hiergegen läuft allerdings noch eine Klage der irischen Regierung, die erst im kommenden Jahr entschieden wird.
Die Inhalte von Gesprächen und E-Mails werden – vorerst – noch nicht gespeichert. Doch das Mithören soll vereinfacht werden. Die Neufassung des Telekommunikationsgesetzes stellt das Zeugnisverweigerungsrecht von Rechtsanwälten, Notaren, Ärzten, Journalisten und anderen »Geheimnisträgern« unter den Vorbehalt einer »Prüfung der Verhältnismäßigkeit«.
Wird das Vorhaben umgesetzt, fallen mehrere Hundert Millionen Daten an – täglich. Allein die Telekom verzeichnet pro Tag rund 200 Millionen Datensätze. Alles wird, ohne jeden Verdacht, ein halbes Jahr lang gespeichert. Die Möglichkeiten für den Zugriff der Sicherheitsbehörden sind weit gefaßt: beispielsweise die »Verfolgung von Straftaten« – es müssen noch nicht einmal schwere Straftaten sein. Oder die »Erfüllung der gesetzlichen Aufgaben der Verfassungsschutzbehörden« und anderer Geheimdienste – auch das ist kaum zur Entwarnung geeignet.
Etliche Berufsgruppen fürchten um ihre Berufsfreiheit. So weisen Ärzte darauf hin, daß schon die Speicherung einer telefonischen Kontaktaufnahme das Patientengeheimnis verletzt. Das gleiche gilt für Anrufe bei Drogenberatungsstellen, Therapeuten, Seelsorgern – da kann nicht nur der Gesprächsinhalt, sondern schon die Kontaktaufnahme sensibel sein. Informanten, die sich an Journalisten wenden, können nicht mehr auf Anonymität vertrauen. Hinzu kommt, daß die Zehntausende von gespeicherten Terabyte, das Ziel von Hackerangriffen würden – zum Zwecke der Wirtschaftsspionage, der Ausforschung des Konsumverhaltens oder der Adreßgewinnung.
»Die verdachtslose Massenspeicherung von Kommunikationsdaten stellt im Kern einen Präzedenzfall einer verdachtsunabhängigen, flächendeckenden maschinellen Überwachung der Bevölkerung dar«, heißt es im Aufruf zur Demonstration. Anhand der »Sicherheitspolitik« der vergangenen Jahre und der Rufe von Innenminister Wolfgang Schäuble (CDU) nach weiteren Überwachungsmaßnahmen kann man leicht hochrechnen, daß es nicht bei der Speicherung der Verkehrsdaten bleiben wird. Ausweitungen etwa auf Betreffzeilen von E-Mails oder die Erstellung von Bewegungsbildern von Handynutzern sind früher oder später zu erwarten. Der Kampf gegen den Terror wird so zunehmend zum Kampf gegen den Bürger.