Der Landesvorstand »erwartet« von den Mitgliedern der Fraktion, daß sie der Beschlußlage der Mehrheitsfraktion » folgen« – koste es, was es wolle. In diesem Fall kostet es die Glaubwürdigkeit der Linkspartei, und zwar womöglich weit über den Tellerrand der »rot-roten« Koalition hinaus.
Der Ausbau des Überwachungsstaates wird von der Linkspartei überall dort kritisiert, wo sie in der Opposition ist. Sobald sie Regierungsverantwortung hat, wird er dagegen mitgetragen. So in Mecklenburg-Vorpommern, wo ein Jahr vor dem G-8-Gipfel ein antidemokratisches Sicherheits- und Ordnungsgesetz durchgedrückt wurde, das die weitreichende Überwachung der Globalisierungskritiker ermöglichte. Wer soll denn diese Partei als Verteidigerin von Grund- und Bürgerrechten noch ernst nehmen? Die mit der SPD vereinbarten zusätzlichen Kontrollbefugnisse für die Polizei sind klassische Präventivrechte. Sie sind so unpräzise formuliert, daß jeder Beamte sie so weit interpretieren kann, wie es ihm nützlich erscheint. Das betrifft die ausufernde Videoüberwachung ebenso wie die Erweiterung der Befugnisse bei DNS-Proben und Handy-Ortungen.
Die versuchsweise Installation von Videokameras in einigen Berliner U-Bahnhöfen ist negativ verlaufen, ein Rückgang der Kriminalität wurde nicht verzeichnet. Obendrein zeigen internationale Erfahrungen, daß derartige Maßnahmen eher zur Verlagerung als zur Eindämmung der Kriminalität führen. Auch sind keine sachlichen Gründe dafür zu erkennen, daß künftig »anlaßunabhängig« – also willkürlich! – Videoaufnahmen von Großveranstaltungen verwertet werden sollen.
Doch der Parteivorstand der Berliner Linkspartei erwartet blinden Gehorsam und tut so, als habe er einen geschickten Kuhhandel geschlossen: Im Gegenzug stimmt die SPD endlich der Kennzeichnungspflicht für Polizeibeamte zu –vielleicht. Vielleicht auch nicht. Denn verbindliche Absprachen wurden nicht getroffen. Unter diesen Umständen ist die Anwendung des Fraktionszwangs eine Zumutung für all jene, die es mit den Grund- und Freiheitsrechten ernst meinen. Sie ist eine Blamage für die Gesamtpartei.
Verantwortlich fühlt sich die Berliner Linksparteispitze offenbar nur dem Koalitionspartner SPD. Im Namen »parlamentarischer Handlungsfähigkeit« stellt sich der Landesverband bereitwillig gegen die bürgerrechtliche Arbeit der Bundestagsfraktion und gegen die Rechte der Bürgerinnen und Bürger. Anstatt diejenigen zur »Folgsamkeit« zu verdonnern, die auf das Risiko ausufernder Überwachungsmethoden hinweisen, sollte die Partei den Forderungen der SPD entgegentreten.
Wenn sich der Eindruck erst einmal verdichtet hat, daß die Partei jede Zumutung über sich ergehen läßt, nur um an den Fleischtöpfen der Macht zu bleiben, dann ist es um ihre Glaubwürdigkeit geschehen.
(junge Welt, 15. 11. 2007)