Das Privatleben jedes Bürgers wird ab dem 1. Januar noch ein wenig durchsichtiger: Von diesem Datum an können Polizei und Geheimdienste genau rekonstruieren, wer im zurückliegenden halben Jahr mit wem telefoniert hat. Sie können auch nachverfolgen, welche E-Mails verschickt und welche Internetseiten besucht wurden. Das entsprechende Telekommunikationsüberwachungsgesetz (TKÜG), das Telefonfirmen und Internetprovider zur Speicherung und Herausgabe dieser Daten zwingt, nahm am Freitag im Bundesrat die letzte Hürde. Erst zwei Wochen zuvor hatte es der Bundestag gegen die Stimmen der Opposition verabschiedet. Linksfraktion, FDP und Grüne hatten in der Plenardebatte am 16. November gewarnt, dieses Gesetz zur angeblichen Terrorabwehr könne das Einfallstor für weitere Eingriffe in die Privatsphäre sein.
Die Befürchtung war berechtigt: Der Rechtsausschuß des Bundesrates verlangt jetzt, die Daten auch zivilrechtlich zu nutzen – etwa bei vermuteten Urheberrechtsverletzungen. Konkret: Privatfirmen könnten dann jede 13jährige verfolgen, die sich aus dem Internet den neuesten Hit einer Boygroup herunterlädt. Es ist zu erwarten, daß die unionsgeführten Bundesländer versuchen, das TKÜG dementsprechend nachzubessern.
Das allerdings stößt sogar in der Wirtschaft auf heftigen Widerstand. Oliver Süme, Vorstandsmitglied des Verbandes der deutschen Internetwirtschaft (eco) erklärte: »Nun tritt ein, wovor die Internetbranche von Anfang an gewarnt hat: Die Vorratsdaten wecken immer neue Begehrlichkeiten.« Süme betonte, der Vorschlag des Bundesratsausschusses sei ein »Quantensprung in der Ausweitung des Zugriffs«. Die Informationen, wer wann mit wem telefoniert, eine E-Mail geschickt hat oder welche Internetseiten er besucht hat, ließen weitreichende Schlüsse über persönliche Lebensumstände zu. Ihre Nutzung müsse deshalb auf die Aufklärung von gravierenden Straftaten beschränkt bleiben.
Von der ursprünglichen Begründung, das TKÜG diene der Bekämpfung von Terrorismus und organisierter Kriminalität, ist die Bundestagsmehrheit ohnehin schon abgegangen. Genutzt werden dürfen die Daten nun zusätzlich zur polizeilichen Gefahrenabwehr, für Zwecke der Nachrichtendienste und zur Aufklärung auch minderschwerer Straftaten. Eine noch größere Ausweitung der Nutzung der Daten durch Privatunternehmen, wie der Bundesrat sie jetzt zusätzlich fordert, wäre nach Auffassung von eco verfassungsrechtlich problematisch und würde einen explosionsartigen Anstieg von Auskunftsersuchen nach sich ziehen.
Bei dem ebenfalls umstrittenen Thema der heimlichen Onlinedurchsuchungen hatte Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble (CDU) am Donnerstag in der Haushaltsdebatte erklärt, daß die Bundesregierung vor einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts keinen Gesetzentwurf vorlegen will. Am Tag zuvor hatte aber SPD-Fraktionschef Peter Struck bereits zu erkennen gegeben, daß die Sozialdemokraten nach dem für Februar erwarteten Richterspruch eine Einführung der heimlichen Onlinedurchsuchungen unter bestimmten Voraussetzungen akzeptieren würden. Daher ist schon jetzt als sicher anzunehmen, daß Schäuble im Frühjahr in der großen Koalition eine Mehrheit für sein Vorhaben finden wird, heimlich auf private Computer zuzugreifen. Struck hat das Umfallen der SPD praktisch schon vorweggenommen.
aus: junge Welt 01.12.2007 / Inland / Seite 4