Der ehemalige Bundesinnenminister und spätere Präsident des Bundesverfassungsgerichts Ernst Benda (CDU) hat am Montag die Einführung des Mehrheitswahlrechts gefordert. Demnach würde aus jedem Wahlkreis die Kandidatin oder der Kandidat ins Parlament einziehen, der dort die meisten Stimmen erhält. Die absolute Mehrheit wäre nach Bendas Vorschlag nicht erforderlich. Es gäbe keine Abgeordneten mehr, die über eine Parteienliste gewählt werden könnten. Auslöser für Bendas Vorstoß ist das derzeitige politische Patt nach der Landtagswahl in Hessen.
Die praktischen Folgen des Mehrheitswahlrechts wären klar. Im Bundestag gäbe es fast ausschließlich Abgeordnete von CDU/CSU und SPD. Die Linkspartei könnte immerhin noch auf einige Mandate hoffen, da seit 1990 die PDS und zuletzt die Linkspartei bei jeder Bundestagswahl mehrere Wahlkreise direkt gewonnen haben. Von den Grünen ist derzeit nur Hans-Christian Ströbele Gewinner eines Wahlkreises in Berlin, während alle anderen Mitglieder der grünen Bundestagsfraktion über die Liste ins Parlament gekommen sind. Die FDP hat nur ganz selten Direktmandate erzielt und hätte bei der Einführung des Mehrheitswahlrechts keine Chance auf Wiederwahl in den Bundestag.
Somit würde ein Mehrheitswahlrecht die Herausbildung eines Zwei-Parteien-Systems mit einigen wenigen zusätzlichen Abgeordneten aus anderen Fraktionen begünstigen. Genau dies ist die Absicht, die Exverfassungsrichter Benda verfolgt. »Dadurch entstehen klare Mehrheiten in den Parlamenten, die sichere und stabile Regierungen stützen«, erklärte er in der Bild-Zeitung. Der CDU-Politiker machte auch keinen Hehl daraus, daß es ihm vor allem darum geht, die Linkspartei zu schwächen. »Wir sind durch den Erfolg der Linkspartei bundesweit auf dem Kurs zu einer Fünf-Parteien-Demokratie, mit immer größerem Zwang zu Koalitionen mit immer mehr Parteien«, so Benda. Das führe zu endlosen Kompromissen und verhindere eine klare, eindeutige und sinnvolle Politik. »Dies ist ein großer Schaden für Deutschland«, behauptete der Innenminister der großen Koalition von 1966 bis 1969, in dessen Amtszeit die Verabschiedung der berüchtigten Notstandsgesetze fiel.
Der Augsburger Politikwissenschaftler Rainer-Olaf Schultze machte darauf aufmerksam, daß das Mehrheitswahlrecht »unerwünschte Nebenwirkungen« habe. Im bayerischen Landtag gäbe es dann zum Beispiel ausschließlich CSU-Abgeordnete und keine nennenswerte Opposition mehr. Dagegen schlug der Politikwissenschaftler Gerd Strohmeier die Einführung eines »gemäßigten Mehrheitswahlrechts« vor. Laut Strohmeier sollte künftig 499 Bundestagsabgeordnete direkt über die Wahlkreise bestimmt werden. Ein Rest von 100 Sitzen würde über die Parteilisten vergeben. Dieser modifizierte Plan ließe es zwar zu, daß kleinere Parteien im Bundestag vertreten wären, würde aber ebenfalls das Machtkartell von CDU/CSU und SPD zementieren.