Rede von Ulla Jelpke, MdB, bei der Protestkundgebung gegen die NATO-Sicherheitskonferenz am 9.Februar 2008 in München
Liebe Kriegsgegnerinnen und Kriegsgegner,
Im Mai 1968 beschloß die damalige Große Koalition aus Unionsparteien und SPD die Einführung der Notstandsgesetze. Diese Notstandsgesetze gaben dem Staat außerordentliche Vollmachten im Fall von Kriegen und inneren Unruhen. Sie schränkten die demokratischen Grundrechte in einem solchen Fall massiv ein. Die Einführung einer solchen Bürgerkriegsverfassung war eine Ursache für die Bildung der Außerparlamentarische Opposition – der APO – von 1968.
Heute – 40 Jahre später – erleben wir eine erneute Attacke auf die demokratischen Grundrechte. Im Namen des „Krieges gegen den Terrorismus“ wird der Rechtsstaat zum präventiven Überwachungsstaat umgebaut. Am Ende dieser Regierungsperiode werden wir in einem anderen Staat leben – wenn wir die Große Koalition in ihrem Amoklauf gegen die Grundrechte nicht stoppen.
Liebe Kriegsgegnerinnen und Kriegsgegner,
Krieg nach außen – Repression nach innen – das sind zwei Seiten der selben Medaille.
Besonders deutlich sehen wir dies alljährlich im Februar hier in München während der NATO-Sicherheitskonferenz. Während Kriegsstrategen und Rüstungsprofiteure über laufende und zukünftige völkerrechtswidrige Kriege beraten, wird München zur demokratiefreien Zone für Kriegsgegner. Polizeiuniformen, Blaulichter und Sperrgitter beherrschen die Innenstadt. Soldaten üben das Hausrecht im Tagungshotel Bayerischer Hof aus. Demonstrationen werden verboten oder mit fadenscheinigen Argumenten nur außer Sichtweite der Kriegstreiber gestattet. In den vergangenen Jahren gab es zur Sicherheitskonferenz immer wieder Razzien in linken Zentren und zahlreiche Festnahmen von Demonstrierenden.
Bezeichnend war die Äußerung des Konferenzorganisators Horst Teltschik vor einem Jahr: Es sei die Tragik der Demokratie, dass hier jeder seine Meinung öffentlich vertreten darf. In Diktaturen würde so etwas nicht passieren.
Teltschik sprach hier nur deutlicher aus, was Politiker wie Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble auch meinen. Denn an der Spitze der laufenden Attacken gegen das Grundgesetz steht t der oberste Verfassungshüter. Öffentlich denkt Schäuble über extralegale Hinrichtungen von Terrorverdächtigen nach. Er will unter Folter zustande gekommene Aussagen nutzen und heißt das US-Gefangenenlager Guantanamo gut.
Für Schäuble und die Bundesregierung ist jeder Bürger und jede Bürgerin ein potentiell verdächtiges Sicherheitsrisiko. Mit dem im letzten Jahr beschlossenen Vorratsdatenspeicherungsgesetz bleiben alle Verbindungsdaten von Telefon und Internet für ein halbes Jahr gespeichert und stehen dem Zugriff von Polizei und Geheimdiensten zur Verfügung. Das Recht auf informationelle Selbstbestimmung ist damit abgeschafft.
Mit dem in Kürze kommenden BKA-Gesetz sollen die geheime Online-Durchsuchungen von Computern ermöglicht werden. Erlaubt wird auch das Abhören bislang geschützter Berufsgruppen wie Journalisten und Ärzte. Auf der Strecke bleiben dabei Patientengeheimnisse, das Zeugnisverweigerungsrecht, ein wirksamer Informantenschutz und die Pressefreiheit sowie die Privatsspähre der Bürgerinnen und Bürger.
Es hat nichts mit dem Kampf gegen den Terror zu tun, wenn der Datenschutz verletzt wird. Es dient nicht unserer Sicherheit, wenn der Staat sich in die ganz privaten Dinge der Bürgerinnen und Bürger einmischt! Im Gegenteil: wenn wir uns gegen diese Entwicklung nicht wehren, dann werden wir Freiheit und Sicherheit verlieren
Liebe Kriegsgegnerinnen und Kriegsgegner,
Eine Lehre aus dem Terrorapparat der Geheimen Staatspolizei unter dem Faschismus war das Trennungsgebot von Geheimdiensten und Polizei in der Bundesrepublik. Mit dem Terror-Abwehrzentrum und der Terrordatei, in denen die Erkenntnisse von Polizei, Verfassungsschutz und zahlreichen Bundesbehörden zusammenlaufen, wurde diese Lehre aus dem Faschismus über Bord geschmissen. Ein riesiger, demokratisch unkontrollierter Datenkoloss wurde geschaffen. Praktisch jeder kann durch Zufall selber einer Terrordatei laden. So, wie ein Berliner Sozialwissenschaftler nur deswegen als angeblicher Terrorist inhaftiert wurde, weil einige Begriffe seiner wissenschaftlichen Untersuchungen auch in den Bekennerbriefen eine militanten gruppe auftauchten und dieser Sozialwissenschaftler manchmal bei Besprechungen sein Handy ausschaltete.
Es ist offenbar nicht schwer, Terrorist zu werden. Zumindest sieht Generalbundesanwältin Monika Harms das so. Denn im vergangenen Jahr schwang die Generalbundesanwältin wieder willkürlich die Terrorismuskeule des Paragraphen 129a gegen Kritikerinnen und Kritiker der herrschenden Politik. Betroffen waren vor allem Antimilitaristen und Globalisierungskritiker sowie türkische und kurdische Linke.
Doch die Generalbundesanwältin erhielt mehrere schallende Ohrfeigen vom Bundesgerichtshof. Die Razzien gegen Globalisierungskritiker im Vorfeld des G8-Gipfels waren ebenso illegal wie die Einstufung von Brandanschlägen auf parkende Bundeswehrfahrzeuge als Terrorismus. Doch auch davor gelangten 90 Prozent der 129a-Ermittlungsverfahren niemals zu einer Anklage geschweige denn zu einer Verurteilung wegen Terrorismus. Schließlich liegt der Sinn des Paragraphen 129a in der Kriminalisierung und Einschüchterung oppositioneller Bewegungen sowie der umfassenden Datensammlung vor allem über linke Strukturen und Aktivisten.
Solange die Paragraphen 129, 129a und der neue 129b gegen ausländische terroristische Vereinigungen existieren, werden sie auch Anwendung finden. Spätere Rügen durch den Bundesgerichtshof ändern daran nichts. Die Konsequenz muss sein: Abschaffung der Terrorparagraphen!
Liebe Kriegsgegnerinnen und Kriegsgegner,
Während immer mehr deutsche Truppen zu Kriegseinsätzen ins Ausland geschickt werden, will die Bundesregierung die Soldaten auch im Inland einsetzen. Dies ist bislang durch das Grundgesetz verboten. Aus gutem Grund: Soldaten im Inland bedeuteten in der deutschen Geschichte stets Unterdrückung von Demokratie und Freiheit.
Eine neue Dimension der inneren Militarisierung erlebten wir bereits während des G8-Gipfels vergangenen Sommer in Heiligendamm. Spähpanzer haben die Verkehrsströme nach Demonstranten ausgeforscht. Tornados der Luftwaffe sind mehrfach über die Protestcamps gerast und haben dabei Hunderte von Bildern geschossen. Mit erlaubter „Amtshilfe“ für die Polizei hat das nichts mehr zu tun. Das war in meinen Augen ein klar verfassungswidriger Bundeswehreinsatz.
Verfassungswidrig war auch die Änderung des Luftsicherheitsgesetzes, das es der Bundeswehr erlaubten sollte, entführte Flugzeuge abzuschießen. Das Bundesverfassungsgericht hat hier deutlich gemacht, dass die Würde des Menschen unantastbar bleiben muss. Nun will Bundesinnenminister Schäuble mit einer Grundgesetzänderung solche Bundeswehreinsätze doch noch ermöglichen. Aber Menschenwürde gehört zum Garantiebestand des Grundgesetzes. Da hilft der Regierung also keine Verfassungsänderung. Wer trotzdem ein Flugzeug-Abschussgesetz einführen will, zeigt damit ganz deutlich, wie wenig er vom Grundgesetz und dem Grundrecht auf Leben und Menschenwürde hält. Das gilt auch für Verteidigungsminister Franz-Josef Jung, der schon jetzt Piloten für solche Abschüsse bereithält. Ihr seht – die Verfassungsfeinde sitzen im Bundeskabinett.
Um es noch mal deutlich zu sagen: Unsere Sicherheit wird weder am Hindukusch verteidigt, noch mit mehr Olivgrün auf deutschen Straßen.
Liebe Kriegsgegnerinnen und Kriegsgegner,
Man muss sich bei dieser ganzen Entwicklung fragen, was die Herrschenden eigentlich bezwecken. Es scheint ja im Moment überhaupt keine Notwendigkeit zu geben, die Opposition quasi unter Kriegsrechtsbedingungen zu stellen. Es gibt niemanden im Land, den die Herrschenden ernsthaft als „Gefährder“ einstufen müssten, es gibt nicht die Spur einer ernsthaft systemüberwindenden Opposition.
Aber gab es denn einen „richtigen“ Grund für die Einführung der Notstandsgesetze in den 1960er Jahren? Die Regierenden zögern nicht, die Basis ihrer Herrschaft zu verbreitern, wenn sie die Gelegenheit dazu sehen.
Das ist aus Herrschaftssicht, nur allzu verständlich. Wer will ausschließen, dass es auch in Deutschland in Zukunft größere soziale Kämpfe geben wird, in denen der Kapitalismus an sich in Frage gestellt wird? Die neoliberale Politik und die kommende Wirtschaftskrise erzwingen dies geradezu. Die Herrschenden denken bei der Vorbereitung der präventiven Konterrevolution weiter als viele der Beherrschten.
Im Unterschied zu 1968 haben wir heute mit der LINKEN eine Fraktion im Bundestag, die konsequent gegen die Angriffe der Großen Koalition auf das Grundgesetz eintritt. Eine Fraktion, die den Bundeswehreinsatz im Inland ebenso ablehnt, wie denjenigen am Hindukusch. Aber das Parlament kann nur eine Tribüne für unseren Widerstand sein. Im Bundestag alleine werden wir den Weg in den Überwachungsstaat nicht stoppen können. Notwendig ist eine neue außerparlamentarische Opposition zur Verteidigung unserer Grundrechte.