Glaubt man dem „Historiker“ Götz Aly, dann waren die Aktivistinnen und Aktivisten der Außerparlamentarischen Opposition eine mit den Nazis vergleichbare totalitäre Bewegung – Hitlers Kinder also. Die Frankfurter Rundschau garnierte einen Beitrag mit Alys absurden Thesen gar mit Fotos einer Nazidemo von 1933 und eine APO-Demo von 1968. Die Bildunterschrift lautete: „Ähnliche Ziele“.
Auch der heute neben Aly durch die Talkshows und Feuilletons tingelnde Politologe Wolfgang Kraushaar lässt kaum ein gutes Haar an der 68er-Protestbewegung, der er einst angehört hatte. Doch einen Verdienst gesteht selbst Kraushaar der Außerparlamentarischen Opposition zu: die APO habe 1969 den Einzug der neofaschistischen NPD in den Deutschen Bundestag verhindert und so erst die Bildung der linksliberalen Regierungskoalition ermöglicht. Daran möchte ich hier erinnern.
Bereits während der Zeit der tiefsten Adenauerreaktion Anfang der 60er Jahre gehörte der Sozialistische Deutsche Studentenbund als Keimzelle der späteren Außerparlamentarischen Opposition zu den wenigen, die sich weiterhin mit der faschistischen Vergangenheit Deutschlands auseinandersetzten. Doch die Beschäftigung mit dem Faschismus war in den 60er Jahren längst nicht mehr nur Aufarbeitung der Vergangenheit.
Im November 1964 hatte sich mit der Nationaldemokratischen Partei Deutschlands wieder eine faschistische Partei gegründet. Die NPD diente als Sammlungsbecken ehemaliger NSDAP-Mitglieder sowie von Mitgliedern der 1952 verbotenen Sozialistischen Reichspartei. Bereits im ersten Jahr hatte die Partei 13.700 Mitglieder und erzielte bei der Bundestagswahl 1965 aus dem Stand zwei Prozent. Zwischen 1966 und 1968 gelang der NPD der Einzug in sieben Landesparlamente. In Baden-Württemberg erreichte die NPD 1968 sogar 9,8 Prozent.
Gründe für die Wahlerfolge der NPD waren die nach der sogenannten Wirtschaftswunderzeit ab Mitte der 60er Jahre einsetzende wirtschaftliche Rezession. Erstmals in der Nachkriegszeit sank das Bruttosozialprodukt und die Arbeitslosenquote erreichte ein Niveau von 2,1 Prozent. Für uns ist das heute lächerlich, doch für viele Menschen damals war das ein regelrechter Schock. Am 1.Dezember 1966 hatte sich zudem in Bonn die große Koalition von Union und SPD gebildet. Weil die „etablierten“ Bonner Parteien „alle unter einer Decke stecken“ und keine Politik mehr für den „kleinen Mann“ machen, wandten sich viele Protestwähler der NPD zu.
Damals versuchte sich die NPD in der Öffentlichkeit als national-konservative, aber bürgerliche Partei und potentieller Koalitionspartner für die Unionsparteien zu etablieren. Auch die bürgerlichen Parteien verharmlosten die NPD. So bescheinigte der damalige Bundeskanzler Kurt Georg Kiesinger, selber ein ehemaliges NSDAP-Mitglied, der NPD, keine neofaschistische Partei zu sein. Doch auch die liberale Wochenzeitung „Die Zeit“ mahnte noch im Mai 1968, die „NPD nicht länger als Neo-Nazis zu verketzern.“
Schon damals gab es Überlegungen, die NPD verbieten zu lassen. 1968 ließ das Bundesinnenministerium Belastungsmaterial für einen Verbotsantrag sammelte. Es folgten heftige Diskussionen innerhalb der Regierungskoalition, bei denen die SPD den Verbotsantrag unterstützte, während CDU/CSU politische Auseinandersetzungen mit der NPD favorisierten. Zwar führte der Streit um ein NPD-Verbot auch zu Verunsicherung innerhalb der Partei und zu Parteiaustritten, doch am Ende verzichtete die Bundesregierung auf den Verbotsantrag. Ausschlaggebend waren zwei Gründe: zum einen hätte das Bundesverfassungsgericht nicht vor der Bundestagswahl im Herbst 1969 entscheiden können. Weiterhin erschien der Regierung das gesammelte Belastungsmaterial nicht stichhaltig genug, um ein Verbot zu garantieren. So blieb die Gefahr, dass die NPD aus dem Verfahren noch gestärkt und legitimiert hervorgehen würde.
Während die Bundesregierung in der Frage eines NPD-Verbots damals schon so herumeierte, wie heute 40 Jahre später wieder, war es das Verdienst der Außerparlamentarischen Opposition, der NPD die Maske einer respektablen rechtsbürgerlichen Partei zu entreißen und ihre faschistische Fratze deutlich zu machen. Dies geschah während des Bundestagswahlkampfes 1969.
Eine fünfwöchige Wahlkampftour des Parteivorsitzenden Adolf von Thadden genügte, um das bieder-konservative Image der NPD weitgehend zu zerstören. Denn überall, wo die Partei Wahlkampfkundgebungen plante, wurde sie mit antifaschistischen Protesten konfrontiert. Überall, wo Adolf von Thadden auftrat, wurde er mit Eiern und Tomaten beworfen und die Parole „Ein Adolf war genug“ ertönte. Auf einer zentralen NPD-Wahlkundgebung in Bonn waren die Parolen der Antifaschisten lauter als die Lautsprecher der Nazis.
Die NPD hatte damals einen SA-ähnlichen Ordnerdienst aus jungen Männern in weißen Hemden mit Helmen und Schlagstöcken. Diese Ordner prügelten am 28.Juli 1969 bei einer NPD-Versammlung in Frankfurt am Main Gegendemonstranten bis zur Bewusstlosigkeit. Auch Journalisten wurden von den Ordnern attackiert.
Wenig später schoss der Verantwortliche der NPD für den Ordnerdienst, Kolley, nach einer Pressekonferenz mit dem Parteivorsitzenden von Thadden in Kassel sogar scharf auf Gegendemonstranten. Zwei Antifaschisten wurden dabei verletzt. Der Versuch führender NPD-Funktionäre, Kolley vor polizeilicher Verfolgung zu schützen, fügte dem Image der NPD als respektabler bürgerlicher Partei noch mehr Schaden zu, als die Schüsse selber.
Nun war NPD entlarvt als eine offen faschistische Partei, die nicht vor Gewalt gegen politische Gegner zurückschreckte.
Die Bilder von den prügelnden NPD-Ordnern gingen damals durch die deutsche und internationale Presse. Die Gewerkschaften führten eine Anti-NPD-Kampagne. Am Abend vor der Bundestagswahl warnte sogar Bundestagspräsident Kai-Uwe von Hassel, ein CDU-Mann, ausdrücklich vor einer Wahl der NPD.
Bei der Bundestagswahl am 28. September 1969 scheiterte die NPD mit 4,3 Prozent an der Fünfprozenthürde. Das war zwar das bis heute beste Ergebnis einer rechtsextremen Partei in der Bundesrepublik nach 1945, dennoch leitete es den Niedergang der NPD ein. Der nach den vorangegangenen Landtagswahlerfolgen von vielen als sicher erachtete Einzug in den Bundestag war gescheitert. Der riesige Werbeaufwand hatte sich nicht ausgezahlt, sondern der Partei Parteischulden von 1,8 Millionen Mark verursacht.
Die vorangegangenen Aktionen der APO und die Reaktionen der NPD hatten den bei faschistischen Parteien vorhandenen Widerspruch zwischen interner Nazi-Indoktrination und äußerer bürgerlicher Fassade so weit verstärkt, dass die NPD Anfang der 70er Jahre in eine tiefe Krise stürzte. Es zeigte sich, dass die Mehrzahl der bisherigen NPD-Wähler überwiegend Protestwähler waren. Von ihrer Mentalität, Weltsicht und sozialen Situation nach waren diese Wähler angepasste Konservative. Unter stigmatisierten Außenseitern und Radaubrüdern fühlten sie sich auf Dauer nicht wohl. Selbst das nach wie vor zu hörende Argument, NPD-Wahlerfolge seien schädlich für das Ansehen Deutschlands in der Welt, mag so manchen Deutschnationalen beeindruckt haben.
Bei ihrem Parteitag im Februar 1970 verabschiedete die NPD ihr „Wertheimer Manifest“, in dem sie sich zur so genannten freiheitlich-demokratischen Grundordnung bekannte und Krieg als Mittel der Politik offiziell ablehnte. Doch dieser Kotau vor dem Grundgesetz konnte das angeschlagene Image der Partei in den Augen ihrer bisherigen Wähler nicht wieder aufbessern und schreckte die harten Nazis eher ab.
Zur Schwächung der NPD nach 1969 trugen noch weitere Elemente bei. Mit dem wiedereinsetzten wirtschaftlichen Aufschwung und der Bildung der sozialliberalen Koalition waren wichtige wirtschaftliche und politische Voraussetzungen für die Gewinnung von Protestwählern entfallen. Zudem machten die Unionsparteien einen Rechtsruck und bekämpfte offensiv die innenpolitischen Reformpläne von SPD und FDP und insbesondere deren Neue Ostpolitik. Die von der sozialliberalen Koalition betriebene neue Ostpolitik mit der Unterzeichnung von Gewaltverzichtsverträgen mit Warschau und Moskau als Grundlage von Zusammenarbeit und Frieden in Europa wurde von den Unionsparteien als „Ausverkauf deutscher Interessen“ attackiert.
Nach einer Reihe von Wahlniederlagen in Hamburg, Niedersachsen, Bayern, Hessen und Schleswig-Holstein zeigte die vorgezogene Bundestagswahl am 19. November 1972, dass der kurze Höhenflug der NPD endgültig zu Ende war. Nur noch 0,6 Prozent votierten für die Nazis. Die Masse rechtsextremer Wähler waren angesichts einer durch die Union zur „Schicksalswahl der deutschen Nation“ hochstilisierten Wahl unter der Losung zur CDU/CSU zurückgekehrt. Mit den Wahlniederlagen der NPD kamen die Parteiaustritte. Vom Mitgliederhöchststand von 28.000 im Jahr 1969 fiel die Mitgliedschaft 1970 bereits auf 21.000, 1972 auf 14.500 und 1976 auf 9.700. Anfang der 80er Jahre stagnierte die NPD dann bei 6000 Mitgliedern.
Und heute? Heute ist eine gründlich verjüngte und radikalisierte NPD bereits in die Landtage von Sachsen und Mecklenburg-Vorpommern eingezogen. Neofaschisten nisten sich in zivilgesellschaftlichen Strukturen ein, rechte Mode und Musik beherrscht die Jugendkultur in ganzen ostdeutschen Regionen. Zahlreiche Kleinstädte und Stadtteile sind regelrechte Angstzonen für Migranten, Antifaschisten, Punks und all diejenigen geworden, die nicht in das Weltbild der Neonazis passen.
Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble hat Material zur Prüfung eines neuen NPD-Verbotsverfahrens sammeln lassen. Im Unterschied zu 1968/69 verheimlicht die NPD ihre verfassungswidrigen Ziele heute nicht weiter sondern tritt offen als neofaschistische Kampfpartei auf. Doch wie 1968 lehnt die Union ein solches Verfahren als aussichtslos ab. Zu dieser Aussichtslosigkeit trägt die Union aktiv bei. Denn die Unionsinnenminister sind nicht bereit, auf die Spitzel des Verfassungsschutzes in den Gremien der NPD zu verzichten. Deren rechtzeitigen Abzug hatte das Bundesverfassungsgericht allerdings bereits beim letzten gescheiterten Verbotsverfahren 2003 als Voraussetzung für ein neues Verbotsverfahren genannt.
Offiziell stellt sich die SPD als Befürworterin eines NPD-Verbotsverfahrens hin. Doch auch die SPD ist nicht bereit, die V-Leute des Geheimdienstes innerhalb der NPD abzuschalten. Indem die SPD das verschweigt, betreibt sie Wählertäuschung.
Nur DIE LINKE im Bundestag bleibt bei ihrer Forderung: die V-Leute des Bundesamtes und der Landesämter für Verfassungsschutz müssen sofort aus der NPD abgezogen werden. Diese Spitzel tragen nichts zur Aufklärung bei. Sie sind im Gegenteil in der Mehrzahl nichts anderes als staatlich bezahlte Nazihetzer und ein Hindernis für ein erfolgreiches NPD-Verbotsverfahren.
Aber ein solches NPD-Verbot ist vorerst in weite Ferne gerückt. Doch wir können uns beim Widerstand gegen Neofaschismus weiterhin an der APO und ihrem Kampf gegen die NPD 1969 orientieren. Es gilt, die Faschisten überall dort mit unserem Widerstand zu konfrontieren, wo sie auftreten. Auf der Straße, in Jugendzentren und auch in Parlamenten. Auch heute gilt es die Nazis unter der Maske des Biedermanns zu entlarven. Es gilt zu zeigen, dass die Nazis eben nicht die Anwälte der so genannten „kleinen Leute“ sind, sondern deren Todfeinde.
Dafür brauchen wir wieder breite Bündnisse gegen Rechts, die Gewerkschaften ebenso einschließen wie die Autonome Antifa. Und wir brauchen eine schlagkräftige und glaubwürdige Linke, die den Menschen eine solidarische und sozialistische gesellschaftliche Alternative zum Kapitalismus und seinen Krisen aufzeigt.