Liebe Kolleginnen und Kollegen,
mit großer Sorge beobachte ich die Angriffe der türkischen Regierung auf die Arbeiter- und Gewerkschaftsbewegung des Landes. Ich habe im Fernsehen mitverfolgt, wie die türkische Polizei am 1.Mai mit Knüppeln und Tränengas gegen Arbeiterinnen und Arbeiter vorging, die ihre Maifeier auf dem Taksim-Platz abhalten wollten. Diese Angriffe glichen den Angriffen der Polizei Ende März auf Feiern der kurdischen Bevölkerung in der Osttürkei.
Nun sollen Funktionäre und Aktivisten der Transportarbeitergewerkschaft TÜMTIS zu langjährigen Haftstrafen verurteilt werden, weil sie sich für die Interessen der arbeitenden Menschen eingesetzt haben. Weil sie ihr Recht auf gewerkschaftliche Organisation und Aktion nutzten, werden sie von der türkischen Justiz als „kriminelle Vereinigung“ verfolgt. Es droht sogar ein Verbot der Gewerkschaft TÜMTIS. Ebenso wie TÜMTIS werden weitere Gewerkschaftsaktivistinnen und Aktivisten etwa von SES und Haber-Is verfolgt.
Ich weiß, dass viele Menschen in der Türkei die Hoffnung gehegt hatten, durch den Beitrittsprozess der EU würde sich die Menschenrechtslage verbessern. Inzwischen sehen wir deutlich, dass die Europäische Union zu schweren Menschenrechtsverletzungen etwa in den kurdischen Landesteilen aber auch zu den Angriffen auf die Arbeiterbewegung schweigt. Stattdessen verlangt die EU-Kommission von der Türkei weitere Privatisierungen zur Durchsetzung einer neoliberalen Wirtschaftspolitik. Dies bedeutet neue soziale Härten für die Werktätigen und Armen des Landes. Die islamisch-konservative Regierung von Ministerpräsident Erdogan meint, die Menschen mit religiösem Opium sättigen zu können, während sie gleichzeitig die neoliberalen Auflagen von EU, Weltbank und IWF im Land umsetzt. Dagegen wehren sich die Gewerkschaften in der Türkei zu Recht.
Die Arbeiterbewegung ist heute ein Dynamo bei der wirkliche Demokratisierung der Türkei und der Verteidigung sozialer Grundrechte der Bevölkerung.
Ich fordere von der türkischen Regierung, die Verfolgung der Gewerkschaftsbewegung sofort einzustellen und alle inhaftierten Gewerkschafter und Arbeiteraktivisten sofort frei zu lassen.
Leider ist es mir nicht möglich, persönlich an dem Gerichtsverfahren gegen die TÜMTIS-Kollegen in Ankara teilzunehmen. Ich drücke Euch meine Solidarität aus und bin zuversichtlich, dass die gerechte Sache der Werktätigen siegen wird.
Hoch die internationale Solidarität!
Mit freundlichen Grüßen,
Ulla Jelpke