Nach der Brüsseler EU-Innenministerkonferenz in der vergangenen Woche macht sich in Deutschland Enttäuschung über den Kurswechsel von Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble (CDU) breit. Im April hatte er eine gemeinsame Aktion der EU-Staaten für die Aufnahme christlicher Flüchtlinge aus dem Irak gefordert. Mehrere EU-Länder wollten dieses Vorhaben auf alle schutzbedürftigen Personen unabhängig von der Religionszugehörigkeit ausdehnen. Am Donnerstag sollte in Brüssel nach monatelanger Debatte dazu ein Beschluß gefaßt werden. Ein letzter Entwurf der französischen EU-Präsidentschaft sah nur noch einen unverbindlichen Appell an die Mitgliedsstaaten zur Aufnahme von Flüchtlingen vor. Doch selbst dieser Satz wurde auf Initiative Schäubles aus der Beschlußvorlage gestrichen.
Schäuble wurde nach der Sitzung die Hauptverantwortung für die abermalige Vertagung des Themas zugeschrieben, da er sich Bedenken der irakischen Regierung gebeugt habe. Gegenüber der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung (FAS) erklärte Schäuble, die Menschen, die eigentlich Zuflucht außer Landes suchen, seien beim Wiederaufbau ihres Landes gefragt. Erst zwei Wochen zuvor hatte er demselben Blatt gesagt: »Das Problem der Irak-Flüchtlinge ist so groß, daß wir es nicht der Region überlassen können.«
Tausende in Lebensgefahr
Als erste hatte am Donnerstag die Linksfraktion im Bundestag Schäubles Rückzieher kritisiert. Sie erklärte, die irakische Regierung rede die dortige Sicherheitslage schön. Die »fast täglichen Meldungen über Anschläge und Übergriffe« zeigten ein anderes Bild. Auch die Kirchen und die Menschenrechtsorganisation Amnesty International zweifelten in Berlin die Sicherheitszusage von Regierungschef Nuri Al-Malikis an. Die Verfolgung von Minderheiten dauere an, stellte der Leiter des Katholischen Büros bei der Bundesregierung, Prälat Karl Jüsten, klar. Für die Evangelische Kirche sprach Prälat Stephan Reimers von einer erbärmlichen Lage der geflohenen Nicht-Muslime, während Amnesty betonte, religiösen und ethnischen Minderheiten drohten Mord, Vertreibung und Entführungen. Allein im März und April dieses Jahres seien mehr als 2000 Iraker gewaltsam ums Leben gekommen.
Bündnis 90/Die Grünen sprach von einem Zickzackkurs und einem beschämenden Rückzieher Schäubles. Die Grünen-Vorsitzende Claudia Roth sagte der FAS, mit der Vetagung des Themas hätten »die EU-Innenminister die Grundwerte Europas ignoriert und zu den Akten gelegt«. Die frühere Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) bezeichnete das Scheitern der Initiative für die Flüchtlinge als »wenig verwunderlich«, nachdem im Vorfeld schon der bayrische Innenminister Joachim Herrmann (CSU) und sein niedersächsischer Kollege Uwe Schünemann (CDU) mit »populistischen und unverantwortlichen Einlassungen« in einer »dumpfen Form gegen Flüchtlingsgruppen polemisiert« hätten. Im übrigen habe Schäubles Ansatz ohnehin zu kurz gegriffen, denn die »UN-Flüchtlingskonvention kennt keine Unterscheidung nach Religion und Herkunft. Kinder, Kranke und Schutzbedürftige haben genauso einen Anspruch auf schnelle Hilfe wie Verfolgte religiöser Minderheiten.«
Datenschutz kein Thema
In einem anderen Tagesordnungspunkt setzten sich die EU-Innenminister über die Bedenken von Datenschützern hinweg und einigten sich grundsätzlich auf eine Speicherung von Flugpassagierdaten nach US-Vorbild. Das teilte die französische Innenministerin Michele Alliot-Marie am Donnerstag abend in Brüssel mit. Das System soll nach Angaben von EU-Innenkommissar Jacques Barrot bis Ende nächsten Jahres aufgebaut sein.
Italiens Innenminister Roberto Maroni verteidigte die umstrittene Erfassung von Fingerabdrücken in seinem Land lebender Roma. Kommissar Barrot erklärte am Donnerstag in Brüssel, Maroni habe ihm in einem Schreiben versichert, die Maßnahme stehe im Einklang mit den Menschenrechtsstandards der EU. Die EU erwarte bis Ende Juli einen umfassenden Bericht der italienischen Regierung über das Projekt, betonte Barrot. Amnesty International verurteilte die Erfassung der Fingerabdrücke erneut und forderte die EU-Innen- und Justizminister auf, sofort einzugreifen, um die rassistische Maßnahme der Regierung in Rom zu stoppen.