Fremdkörper in Berlin
Beschlossen wurde die Verlagerung des BND schon 2003 von der damaligen SPD/Grünen-Bundesregierung. Dies führte zu erheblichem Ärger im Dienst, denn unter den BND-Mitarbeitern sorgte der drohende Umzug begreiflicherweise für große Unruhe, der Personalrat setzte sich zur Wehr. Hinzu kam, daß finanzielle Anreize, wie sie für die Mitarbeiter der Ministerien nach dem Bonn-Berlin-Gesetz beim Umzug der Bundesregierung gewährt worden waren, ab 2006 nicht mehr vorgesehen sind und daher den Bediensteten des BND nicht zugute kommen (wogegen Betroffene mittlerweile in erster Instanz erfolgreich geklagt haben).
Trotz aller Proteste beschloß die nunmehr amtierende große Koalition aus CDU/CSU und SPD am 9. Mai 2006, die Umzugsentscheidung der Vorgängerregierung durchzuziehen. Die Abteilungen für Auswertung sowie für Internationalen Terrorismus und Organisierte Kriminalität waren schon zuvor nach Berlin geholt worden, der Großteil der 6000 BND-Bediensteten soll ab 2012 in der neuen Zentrale in der Berliner Chausseestraße arbeiten. Als Zugeständnis an den Freistaat Bayern und die Personalvertretung werden zunächst tausend BND-Arbeitsplätze in Pullach belassen. Im Kern blieb die große Koalition aber bei dem von der Vorgängerregierung eingeleiteten Umzug.
Der Aufwand ist gewaltig. Insgesamt soll nach dem Entwurf des Berliner Architekten Jan Kleihues auf einem zehn Hektar großen Gelände zwischen den Stadtteilen Mitte und Wedding ein Hochsicherheitskomplex mit 100000 Quadratmetern Nutzfläche entstehen. Man rechnet mit Gesamtkosten in Höhe von mehr als einer Milliarde Euro; Skeptiker gehen sogar von 1,8 Milliarden Euro aus. Zu der ursprünglichen Planung kam noch eine gemeinsame Schule für BND und Verfassungsschutz hinzu, ein »Kompetenzzentrum Islamischer Terrorismus« eingeschlossen. Die Baustelle auf dem Areal des ehemaligen »Stadions der Weltjugend« ist hermetisch abgeriegelt. An einem mannshohen Zaun patrouillieren Wachleute. Verbotsschilder machen klar, daß Fotografieren nicht erlaubt ist. Videokameras überwachen jede Ecke, nachts wird das Gelände grell ausgeleuchtet. Aus »Sicherheitsgründen« dürfen nur deutsche Arbeiter auf dieser Baustelle tätig sein, auch die Architekten aus Kleihues‘ Team mußten sich besonderen Checks unterziehen. Kontrollen über Kontrollen – nur der BND selbst ist und bleibt unkontrollierbar. Schon jetzt ist seine neue Zentrale ein Fremdkörper in Berlin.
Im Dienste der Kriegspolitik
Vorläufer des BND war die Organisation Gehlen, benannt nach dem ehemaligen Nazigeneral und Leiter des Wehrmachtsgeheimdienstes »Fremde Heere Ost« Reinhard Gehlen (1902-1979). Deren Sitz war die frühere »Rudolf-Heß-Siedlung«, die 1936/37 für die Angehörigen des Stabes von Hitlers Stellvertreter in Pullach bei München errichtet worden war. Eingestellt wurden zu einem großen Teil ehemalige SS-, SD- und Gestapo-Angehörige. Ab 1. April 1956 wurde die Organisation Gehlen als »Bundesnachrichtendienst« fortgeführt. Basis seiner Arbeit war der Antikommunismus in der BRD.
Nach Ende des Kalten Krieges kamen dem BND die Feindbilder Sowjetunion und DDR und damit ein Teil seiner Existenzberechtigung abhanden. Auch mit dem professionellen Ansehen stand es nicht zum Besten. Spiegel online berichtete am 25. September 2007, die Agenten müßten sich immer wieder mit der Kritik auseinandersetzen, sie seien »schlecht informiert, zu spät informiert, gar nicht informiert«. Ihre obersten Chefs, die jeweiligen Bundeskanzler, straften sie oft mit Desinteresse ab. Helmut Schmidt (SPD) habe den BND gar einen »Dilettantenverein« genannt. Von Bundeskanzler Helmut Kohl (CDU) wird kolportiert, er habe sich aus der Zeitung besser informiert gefühlt. Kohl ignorierte den BND; der Spiegel hob in einem Artikel am 19. August 1996 »das offen gezeigte Desinteresse des Bundeskanzlers an der Arbeit des Dienstes« hervor. Dieser ließ die Pullacher im Oberbayrischen, weit ab vom Schuß, vor sich hinwerkeln. Aufsehen erregte seinerzeit hauptsächlich der Transport von 363 Gramm hochgiftigen Plutoniums am 10.August 1994 in einer Lufthansa-Passagiermaschine von Moskau nach München. Diese aktive Gefährdung von Menschenleben ereignete sich unter den Augen des BND, der den Flug nicht verhinderte. Ein Untersuchungsausschuß des Bundestages mußte sich mit dem Verdacht befassen, der BND habe den Plutonium-Schmuggel sogar gezielt inszeniert, um vor den Wahlen zum Bundestag und zum bayerischen Landtag 1994 einen Fahndungserfolg durch die Verhaftung der Täter am Münchner Flughafen vorweisen zu können.
In der Regierungszeit Gerhard Schröders vollzog der BND jedoch einen Paradigmenwechsel – was auch durch den Umzug nach Berlin deutlich wird.
Die Grünen hatten ursprünglich die Forderung nach Abschaffung der Geheimdienste auf ihre Fahnen geschrieben. Davon wollten sie aber nichts mehr wissen, als sie ab 1998 mit der SPD im Bund eine Koalition bildeten. Im Gegenteil: Gerade die Regierung von Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) und Außenminister Joseph Fischer (Bündnis 90/Die Grünen) führte die Bundeswehr in ihre ersten Kriegseinsätze. Das hatte Auswirkungen auf ihr Verhältnis zum Geheimdienst.
Krieg wurde zu einem festen Bestandteil der Außenpolitik; offen rühmte sich Schröder, »die Tabuisierung des Militärischen in Deutschland aufgebrochen« zu haben.¹ Durch die von ihm und Fischer betriebene Militarisierung der Außenpolitik gelten in Deutschland Kampfeinsätze wie zunächst in Jugoslawien und heute in Afghanistan und vielen anderen Teilen der Welt als völlig »normal«. Für einen solchen Kurs braucht man einen effektiven Auslandsgeheimdienst.
Der BND-Einsatz vor und während des Irak-Kriegs war eine heimliche »Waffenbrüderschaft« der SPD-Grünen-Regierung mit den USA und wurde zum Muster für die Aufwertung des Nachrichtendienstes. Ausgerechnet eine Bundesregierung unter Beteiligung der Grünen hat den BND nicht etwa abgeschafft, sondern im Gegenteil sogar in besonderem Maße für die eigenen Regierungsinteressen instrumentalisiert.
Zunächst hatte der BND von einem dubiosen Agenten mit dem Decknamen »Curveball« Erkenntnisse über angeblich mobile Biowaffenlabore im Irak erlangt. Die SPD/Grünen-Bundesregierung beschloß, diese Informationen den USA zur Verfügung zu stellen. Mittlerweile geht aber selbst die CIA davon aus, daß es sich hierbei um Fälschungen handelte und daß »Curveball« ein Betrüger war. Der damalige BND-Präsident August Hanning versuchte, sich durch einen Brief vom 20. Dezember 2002 an CIA-Chef George Tenet abzusichern. Laut Spiegel vom 22.3.2008 schrieb er darin, die »Curveball«-Erkenntnisse »wurden im Kern als plausibel und glaubhaft beurteilt, können jedoch nicht bestätigt werden«. Dieser halbe Vorbehalt hinderte die USA nicht daran, die unbewiesenen »Curveball«-Anschuldigungen öffentlich als Vorwand für den Krieg gegen den Irak zu verwenden. US-Außenminister Colin Powell blamierte sich vor der Weltöffentlichkeit, als er diese BND-Information in seiner Kriegsrede vor der UN-Vollversammlung im Februar 2003 als zentralen Vorwurf gegen Saddam Hussein einbrachte. Die Bundesregierung wäscht ihre Hände zwar in Unschuld – anders sieht das Powells damaliger Stabschef Larry Wilkerson: »Ihr Deutschen tragt zumindest eine Mitschuld«, wurde er im Spiegel vom 22. März 2008 zitiert.
SPD und Grüne hatten sich vor der Bundestagswahl 2002 wählerwirksam gegen den Irak-Krieg ausgesprochen. Tatsächlich war Deutschland jedoch an der Aggression beteiligt, was nicht nur das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig, sondern jüngst auch das Bundesverfassungsgericht in seinem AWACS-Urteil bescheinigte. Hinzu kommt, daß Berlin zwei BND-Agenten in Bagdad plaziert hatte, so daß Pullach im März und April 2003 den USA Informationen über die Lage in der irakischen Hauptstadt liefern konnte. Im BND-Untersuchungsausschuß wird es demnächst (voraussichtlich noch im September) vor allem um den Vorwurf gehen, der BND habe den USA die Zielkoordinaten von Objekten in Bagdad genannt, die sodann bombardiert worden seien. Peinlich für Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD). Dem möglichen SPD-Kanzlerkandidaten hängt seine Vergangenheit als Leiter des Kanzleramtes an – er führte die Aufsicht über den BND, ist also für all dessen Skandale mitverantwortlich.
Neue Machtfülle für den Bund
Basierend auf den Erfahrungen mit dem deutschen Faschismus war das Grundgesetz der BRD gerade im Polizeibereich föderalistisch ausgerichtet worden. Die Militärgouverneure der westlichen Siegermächte USA, Großbritannien und Frankreich drängten schon im November 1948 darauf, die Kompetenzen des Bundes einzuschränken. Nie wieder sollte es ein »Reichssicherheitshauptamt« geben. Als eine der Lehren aus der Nazivergangenheit sollten Zentralisierung und Ballung von Macht vermieden werden. Der Staatsrechtler Helmut Ridder etwa sah im Föderalismus »eine neue Version von Gewaltenteilung« (Presseveröffentlichungen über den Bundesrat, Nr. 148, Bonn 1964). Die Zuständigkeit für die Polizei wurde als bewußte Reaktion auf den Faschismus den Bundesländern übertragen, also dezentralisiert. Die jetzige Bundesregierung hat genau den entgegengesetzten Weg eingeschlagen. CDU/CSU und SPD haben mit der Föderalismusreform einer Ausweitung der Kompetenzen für das Bundeskriminalamt den Boden bereitet. Schäuble nutzte dies in seinem BKA-Gesetzentwurf für den Versuch, dem Bund neue polizeiliche Machtfülle zuzuzschanzen. Auch die Übersiedlung des BND nach Berlin ist in diesem Kontext zu sehen. Die Idee der Machtentflechtung durch Dezentralisierung wird von der Bundesregierung als veraltet betrachtet.
Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble ist besessen von der Idee, daß die herkömmlichen rechtlichen Regelungen und die traditionellen Organisationsstrukturen nach dem 11. September 2001 überholt seien. Deswegen wendet er sich gegen »Denkverbote« und stellt sogar die Normen des Völkerrechts in Frage. Am 3. Juli 2007 verstieg er sich auf einer Sicherheitskonferenz in Berlin zu der Formulierung: »Die Unterscheidung zwischen Völkerrecht im Frieden und Völkerrecht im Krieg paßt nicht mehr auf die neuen Bedrohungen.« Vor allem wirbt Schäuble auch für den Einsatz der Bundeswehr im Inneren.
Trennungsgebot mißachtet
Zuletzt brachte der Bundesinnenminister seine Grundposition am 27. Juni 2008 in einer Rede vor der Bundesakademie für Sicherheitspolitik zum Ausdruck: »Wenn wir den Gedanken, daß innere und äußere Sicherheit nicht mehr zu trennen sind, ernst nehmen, müssen wir auch die Voraussetzungen schaffen, daß alle Kräfte der inneren und äußeren Sicherheit in Deutschland effizient zusammenarbeiten können. Hier lohnt es sich, über eine Aufwertung des Bundessicherheitsrats nachzudenken, wie sie die CDU/CSU-Bundestagsfraktion kürzlich vorgeschlagen hat.« Schäuble zieht aus seiner Analyse den Schluß, der Staat müsse ständig bereit sein, die rechtlichen Grundlagen seines Handelns zu verändern. Daran arbeitet er unablässig und setzt damit die Politik seines Amtsvorgängers Otto Schily fort. Aus dem ehemaligen Bundesgrenzschutz wurde eine echte Polizei mit Machtbefugnissen nicht nur an der Grenze, sondern auch im Inneren. Beispielsweise darf diese »Bundespolizei« »verdachtsunabhängige Kontrollen« in Zügen und auf Autobahnen durchführen. Die Umbenennung war natürlich kein Zufall, sondern ein bewußter Schritt, um zusätzliche Aufgabenzuweisungen zu ermöglichen.
Der nächste Schritt ist Schäubles Versuch, aus dem Bundeskriminalamt eine Mischung aus FBI und CIA zu machen. Das BKA soll ein weit im Vorfeld von Gefährdungen agierendes Konglomerat von Polizei und Geheimdienst mit umfassenden Befugnissen wie Spähangriff und heimlichen Online-Durchsuchungen werden. Weiterhin plant Schäuble ein riesiges gemeinsames Abhörzentrum aller Sicherheitsbehörden von Bund und Ländern beim Bundesverwaltungsamt. Das gemeinsame »Terrorismusabwehrzentrum« (GTAZ) in Berlin war noch unter Otto Schily am 14. Dezember 2004 am Treptower Park in Berlin installiert worden. 39 Polizeibehörden und Nachrichtendienste tauschen hier ihre Erkenntnisse aus und koordinieren ihre Arbeit: BND, Bundesamt für Verfassungsschutz, Militärischer Abschirmdienst, Bundeskriminalamt, Bundespolizei, Zollkriminalamt, Landeskriminalämter und Landesämter für Verfassungsschutz und sogar das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge. Von der verfassungsrechtlich vorgeschriebenen Trennung von Polizei- und nachrichtendienstlicher Arbeit ist in Treptow nichts übriggeblieben. Mit Beschluß des Bundestags vom 1. Dezember 2006 bekam das GTAZ auch noch die »gemeinsame Anti-Terror-Datei«.
Die Juristin Rosemarie Will kommentierte das »Gemeinsame-Dateien-Gesetz« in Nr. 195 der Mitteilungen der Humanistischen Union (HU): »Dieses Gesetz wird die Sicherheitsarchitektur der Bundesrepublik nachhaltig verändern. Zum ersten Mal wird durch ein Gesetz das bisher in der Bundesrepublik geltende Trennungsgebot zwischen Polizei und Nachrichtendiensten aufgehoben.« Aus Anlaß der aktuellen Debatte über Schäubles Entwurf für ein BKA-Gesetz griff Die Linke in einer Pressemitteilung vom 23. Juni 2008 diesen Gedankengang der HU auf und stellte fest, daß die Bundesregierung in Sicherheitsfragen seit Jahren die wichtigsten Lehren aus der deutschen Geschichte ignoriere.
Daß der BND durch örtliche Nähe zur Regierung kontrollierbarer würde, ist ein vorgeschobenes Argument. Den Beweis lieferte der BND selbst. Der ehemalige Bundesrichter Gerhard Schäfer untersuchte im Auftrag des Parlamentarischen Kontrollgremiums (PKGr) des Bundestages den Vorwurf, der BND habe Journalisten observiert. Schäfer kam zu dem Ergebnis, daß wiederholt illegal Journalisten überwacht wurden, u.a. die Redaktion des Spiegel. Im Mai 2006 wurde der Schäfer-Bericht veröffentlicht. Kanzleramtsminister Thomas de Maizière beteuerte am 19. Mai 2006 im Bundestag: »Die Bundesregierung bedauert diese Vorfälle. Sie hat nach Bekanntwerden der Fälle Maßnahmen zur Verhinderung ähnlicher Fälle in der Zukunft eingeleitet.«
Nur zwei Wochen später kam heraus, daß der BND zwischen Juni und November 2006 den E-Mail-Verkehr der Spiegel-Journalistin Susanne Koelbl mit dem afghanischen Handelsminister Amin Frahang durchschnüffelt hatte – ein neuerlicher Eingriff in die Pressefreiheit und in die Persönlichkeitssphäre. Die Führungsspitze des BND will davon erst im Dezember 2007 erfahren haben. Ob diese Ausrede zutrifft, wird im Herbst im BND-Untersuchungsausschuß überprüft werden. Wenn es aber tatsächlich so war, dann hatten sich Teile des Dienstes bei der Bespitzelung von Susanne Koelbl wieder einmal verselbständigt. Das zeigte erst recht, wie unkontrollierbar der BND ist, dies wird sich auch in Berlin nicht ändern.
Im rechtsfreien Raum
Zudem eignet sich die Bundesregierung ohnehin nicht als Kontrollinstanz für den BND, denn sie hat selbst oft genug rechtsstaatswidrige Entscheidungen getroffen. Beispielsweise wurde der Wunsch des BND, den von den US-Amerikanern unschuldig nach Guantánamo verschleppten Bremer Murat Kurnaz im Oktober 2002 in diesem Foltergefängnis zu vernehmen, von Kanzleramtschef Steinmeier ausdrücklich gebilligt. Ein Jahr zuvor, kurz nach dem 11. September 2001, hatten sich zwei Beamte des Bundeskriminalamts noch geweigert, den von der CIA ins bosnische Tuzla verschleppten Münchner Abdel-Halim Khafagy zu befragen, nachdem sie gesehen hatten, unter welch menschenrechtswidrigen Umständen der heute 74jährige Buchhändler gefangengehalten wurde. Solche Skrupel waren der Bundesregierung im Falle Murat Kurnaz fremd. Die Frage, ob man damit in moralisch unzulässiger Weise an der von den Amerikanern verübten Folter partizipierte, war für die Geheimdienstbesprechung im Bundeskanzleramt (»Präsidentenrunde«) nachrangig.
Die SPD/Grünen-Bundesregierung versagte auch bezüglich der Gefangenentransporte nach Guantánamo. Die Bush-Regierung verkündete offen ihre Absicht, »Terrorismusverdächtige«, an »sichere Orte« zu verschleppen (»extraordinary renditions«, wörtlich: außerordentliche Überstellungen). Als Instrument dafür dienten CIA-Flugzeuge. Die Gefangenenflüge wurden von EUCOM, dem US-Oberkommando für die Streitkräfte in Europa mit Sitz in Stuttgart-Vaihingen, koordiniert und führten zum Teil über deutsches Hoheitsgebiet. All das waren und sind nach deutschem Recht strafbare Handlungen und eine Verletzung der Souveränität der BRD.
Über »extraordinary renditions« wurde schon 2002 in der US-Presse berichtet, ebenso im Stern, der Frankfurter Allgemeinen und der Süddeutschen Zeitung. Undenkbar also, daß der BND davon nichts gewußt haben sollte. Dennoch behaupteten Außenminister Steinmeier und BND-Chef Ernst Uhrlau im Untersuchungsausschuß, die Regierung habe erstmals im Januar 2005 durch einen Artikel in der Washington Post von den Renditions erfahren. Die Folgerung liegt daher nahe, daß man davon nichts wissen wollte, um nicht öffentlich gegen diese Praxis der Amerikaner protestieren zu müssen. Hätte der BND Informationen über diese Aktivitäten der CIA gesammelt, wäre dies für die Bundesregierung störend gewesen. Prof. Norman Paech, Obmann der Linken im BND-Untersuchungsausschuß, kam in einer Pressemitteilung vom 26. Juni 2008 zu dem vernichtenden Urteil: »Durch die fortwährende Untätigkeit macht sich die Bundesregierung mitschuldig durch Unterlassen am völker- und menschenrechtswidrigen Renditions-Programm der USA.«
Am 7. Mai 2008 wurde feierlich der Grundstein für den Neubau des BND gelegt. Dabei faselte Kanzleramtsminister Thomas de Maizière (CDU) von einem »Reformprozeß«, für den die baulichen Voraussetzungen geschaffen würden. BND-Präsident Uhrlau bezeichnete die Verlagerung nach Berlin als »Element eines tiefgreifenden Transformationsprozesses«. Dieser beinhalte auch eine im nächsten Jahr abzuschließende Organisationsreform, die zu »größerer Effizienz« und zu schnelleren Erkenntnissen über »Fehlentwicklungen« führen solle. Dabei würden Abteilungen neu zugeschnitten und eine ganze Hierarchieebene abgeschafft.
Das Konzept sieht drei Bereiche mit der Betriebswirtschaftslehre entlehnten modischen Bezeichnungen vor: »Produktion«, »Produktionsunterstützung« und »Service«. Jeder dieser Bereiche wird von einem Vizepräsidenten geleitet, statt acht soll es künftig zwölf Abteilungen geben. Darunter gibt es jedoch keine Unterabteilungen mehr, sondern nur noch Referate. Die bislang strikt getrennten Bereiche Beschaffung und Auswertung werden enger miteinander verbunden.
Solche Änderungen in der Organisationsstruktur können aber nicht darüber hinwegtäuschen, daß der BND letztlich ohne ausreichende parlamentarische Kontrolle in einem nahezu rechtsfreien Raum agiert. Die Tätigkeit von Geheimdiensten und Polizeien wird durch die große Koalition immer mehr verzahnt. Das Bundeskriminalamt arbeitet künftig mit geheimdienstlichen Mitteln, umgekehrt überläßt der BND – ebenso wie die anderen bundesdeutschen Geheimdienste in gemeinsamen Lagezentren wie dem GTAZ und im Wege der internationalen Zusammenarbeit – deutschen Polizeibehörden und ausländischen (namentlich US-amerikanischen!) Sicherheitsdiensten seine Informationen. Faktisch gibt es keine Trennung von Polizei und Geheimdiensten mehr und keinen Datenschutz gegenüber den Begehrlichkeiten von CIA und Heimatschutzministerium (Homeland Security) der USA. Geht es nach Schäuble, kommt bald auch noch die in Heiligendamm beim G-8-Gipfel 2007 erprobte Militarisierung der Innenpolitik durch Bundeswehreinsätze im Innern dazu. Die Bürger sehen sich einem undurchschaubaren und unentwirrbaren Konglomerat an Sicherheitsbehörden gegenüber, das zu Recht Assoziationen zu George Orwells Schreckbild vom totalen Überwachungsstaat weckt. Der Umzug des BND nach Berlin ist jedenfalls ein weiterer deutlicher Schritt in diese Richtung.
1 siehe Interview mit Gerhard Schröder in Die Zeit 34/2002; darin heißt es ferner: »Die Tatsache, daß wir es waren, die als erste gesagt haben, wir müssen an diesem Punkt unsere traditionelle Tabuisierung des Militärischen durchbrechen, hat dazu geführt, daß wir uns damit gegenüber den Amerikanern auch mehr Recht erworben haben, konsultiert zu werden – nicht nur über das Wie und Wann, auch über das Ob.« www.zeit.de/2002/34/Am_Ende_der_ersten_Halbzeit