Erklärung: Fabeln statt Fakten

Wenn der Spiegel meint, mir linksradikale Umtriebe vorwerfen zu müssen und auf
diese Weise einen Keil zwischen meine Fraktionskolleginnen und –kollegen und
mich zu treiben – geschenkt. Erschreckend ist vielmehr, dass Deutschlands
führendes Nachrichtenmagazin nicht in der Lage ist, seinen Vorwürfen etwas
Substanz beizufügen, und seinen Leserinnen und Lesern stattdessen eine wilde
Mischung aus Unwahrheiten, Halbwahrheiten und Unterstellungen zumutet.
So müsste ein Spiegel-Redakteur doch eigentlich in der Lage sein, das Protokoll
einer Bundestagssitzung zu lesen.
Markus Deggerich schreibt, es sei richtig laut im Bundestag geworden, als ich vor der
Umwandlung des Bundeskriminalamtes in eine „geheim ermittelnde Staatspolizei“
warnte. Ich hätte meine letzen Worte gegen die Entrüstung im Plenarsaal schreien
müssen. Ich lerne daraus: Der Spiegel bringt seinen Schreibern nicht bei, wie man
Protokolle von Bundestagssitzungen liest.
Denn tatsächlich vermerkt das Protokoll dieser 170. Sitzung vom 20.Juni 2008 Beifall
der LINKEN und einen (1!) Zwischenruf eines SPD-Abgeordneten. Unter Tumult und
Empörung stelle ich mir was anderes vor. Zum von Deggerich halluzinierten Skandal
kam es erst in verschiedenen Medien, nachdem eine Nachrichtenagentur behauptet
hatte, ich hätte das BKA mit der Gestapo verglichen. Das war eine Falschmeldung,
der der Spiegel noch eine eigene Erfindung hinterher schob.
In diesem Stil geht es weiter in Deggerichs Enthüllungsstory.
Dass ich nie im Leben an einem DKP-Parteitag teilgenommen habe – egal,
behauptet ist es ja schnell.
Dass ich angeblich nicht fest verankert auf dem Boden der freiheitlichdemokratischen
Grundordnung stünde und deswegen vom Verfassungsschutz
beobachtet würde – auch das ist ein Vorwurf, dem man mit wenig
Rechercheaufwand nachgehen könnte. Tipp: Ich habe vor einem Jahr meine
Verfassungsschutzakte ins Internet gestellt. – da dürfen sich gerne auch Spiegel-
Journalisten davon überzeugen, welche Erkenntnisse die Dienste über mich haben.
23.07.2008
Zu den gemeingefährlichen Bestrebungen, die mir da vorgeworfen werden, gehört
etwa die Tatsache, dass ich mich gegen Angriffskriege der Bundeswehr
ausgesprochen habe und die Bundesregierung auffordere, die Verfassung
einzuhalten – was man als „Linksextremistin“ halt so macht, wenn man grad keine
Bomben legt.
Dass ich es insgeheim mit Bombenlegern halte, hat der Spiegel messerscharf aus
meinem Engagement gegen das PKK-Verbot geschlussfolgert. Dass man dieses
Verbot als Hindernis für eine friedliche Lösung des Türkei-Kurdistan-Konfliktes
ansehen kann, ohne gleich „PKK-Sympathisantin“ zu sein – das ist für den Spiegel
wohl schon nicht mehr nachvollziehbar.
Überhaupt ist, wer mit Kurden spricht, dem Magazin offenbar suspekt. Bei meiner
kurzfristig angesetzten Türkei-Reise zum Parteitag der im türkischen Parlament
vertretenen „Partei für eine demokratische Gesellschaft“ DTP am vergangenen
Wochenende in Ankara kann es deswegen unmöglich mit rechten Dingen
zugegangen sein. Ahnungslos fabuliert der Spiegel, ich sei „unabgesprochen“, ja als
„linke Diplomatin in eigener Mission“ nach Ankara geflogen, um „den Druck in der
Geiselfrage zu erhöhen“.
Dass ich tatsächlich von Menschenrechtsaktivisten angefragt worden war, mich einer
Delegation anzuschließen, um die verschleppten deutschen Bergsteiger sicher nach
Deutschland zurückzubringen, das war schon wieder zu schwierig, als dass der
Spiegel es hätte herausfinden können. Dass meine Reise selbstverständlich mit dem
Fraktionsvorstand abgesprochen war, dass sogar das Auswärtige Amt informiert war
– das ist für den Spiegel nur ein lästiges Detail, ein Faktum, das man lieber durch
eine erfundene Behauptung ersetzt. So fragt man sich, was den Journalisten
eigentlich ärgert. Hätte ich meine Türkeireise vielleicht noch vom Spiegel absegnen
lassen müssen?
Nun beschränkt sich der Spiegel-Journalist nicht drauf, falsche Behauptungen zu
verbreiten, nein: Er liefert auch falsche Erklärungen dafür. Eine böse Kindheit muss
die Jelpke, das „Heimkind“, wohl gehabt haben.
Nun interessiert sich der, nach eigenen Internet-Angaben „im schönen
münsterländischen Dorf Elte“ aufgewachsene Deggerich überhaupt nicht dafür,
welche Zustände in den Kinderheimen der 1960er Jahre geherrscht haben.
Das muss er auch nicht. Aber wie abgehoben vom Elend in der Welt, wie gleichgültig
gegenüber den Verbrechen der selbsternannten Zivilisation und wie selbstzufrieden
muss man eigentlich sein, wenn man sich gar nicht mehr vorstellen kann, dass es
gute Gründe dafür gibt, den Kapitalismus überwinden zu wollen? Die Methode, derer
sich Deggerich bedient, hat einen Namen: Es ist die Psychiatrisierung politisch
Andersdenkender.
Wenn es den imaginierten tiefen Graben zwischen den Auffassungen der Fraktion
und meinen persönlichen Auffassungen gäbe, wäre unverständlich, warum ich
weiterhin innenpolitische Sprecherin der Fraktion bin und diese auch im
Innenausschuss des Bundestages vertrete.
Ich meine: Sommerloch hin oder her – einen Mindestanspruch an Qualität haben die
Leserinnen und Leser des Spiegel auch im Sommer verdient.