Eine Sachverständigenanhörung des Innenausschusses des Deutschen Bundestags ergab am gestrigen Montag eindeutig, daß alle Argumente für die Einführung des Kommunalwahlrechts für Ausländer sprechen. Dennoch wehrt sich die CDU/CSU gegen eine entsprechende Verfassungsänderung. Die SPD will die überfällige Reform ohne die Stimmen der Union nicht anpacken.
6,7 Millionen Menschen nichtdeutscher Staatsangehörigkeit lebten Ende 2007 in Deutschland, achtzig Prozent davon seit mehr als sechs Jahren. Bisher sind nur EU-Bürger in den Kommunen wahlberechtigt. 4,6 Millionen Angehörige von »Drittstaaten« dürfen weder an Parlaments- noch an Kommunalwahlen teilnehmen. Diesem unhaltbaren Zustand will die Fraktion Die Linke mit einer Änderung des Artikels 28 des Grundgesetzes ein Ende bereiten. Voraussetzung für das Kommunalwahlrecht wäre demnach ein ständiger Wohnsitz im Bundesgebiet. Mit einem ähnlichen Antrag sind die Grünen nachgezogen. Die Linke strebt darüber hinaus langfristig für Nichtdeutsche auch ein allgemeines Wahlrecht auf Länder- und Bundesebene an. In Europa gilt bereits in 18 Ländern das kommunale Ausländerwahlrecht.
Dauerhaft draußen
In der Anhörung stellte der Sachverständige Felix Hanschmann klar, daß die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BverfG) dem kommunalen Ausländerwahlrecht nicht entgegenstehe. Derzeit werde jedoch die Vorenthaltung des Wahlrechts mit einer restriktiven Einbürgerungspolitik kombiniert. Dies führe zu einer »Inkongruenz zwischen Wahlberechtigten und Herrschaftsunterworfenen auf Dauer«. Laut Hanschmann erfordere das Demokratieprinzip des Grundgesetzes sogar zwingend die Einführung des Ausländerwahlrechts. Auf der kommunalen Ebene sei dies – anders als bei Bundes- und Landtagswahlen – sogar ohne Verfassungsänderung möglich. Das Grundgesetz enthalte einen »offenen Demokratiebegriff«. Daher sei die Forderung des BVerfG nach einer Verfassungsänderung vor Einführung des Kommunalwahlrechts auf »erhebliche Kritik« gestoßen.
Auch Klaus Sieveking meinte, der vollständige Ausschluß von politischen Beteiligungsrechten dauerhaft hier Lebender sei weder rechtlich noch politisch zu rechtfertigen. Bei Petitionen, Betriebswahlen und Wahlen der Sozialversicherungsträger sei schließlich eine Angleichung schon erfolgt. Sieveking verwies auf zwei Urteile des Europäischen Gerichtshofes (EuGH), nach denen eine Interpretation des »Volkes« über die Staatsangehörigen hinausgehend nicht gegen den EG-Vertrag verstoße. Dies spreche gegen das »Postulat von völkischer Identität und Wahlberechtigung«.
Zum Gegenargument, Einbürgerungen wären besser als das Wahlrecht, entgegnete Sieveking, daß es »eine beträchtliche Diskrepanz« zwischen »Einbürgerungspotential« und tatsächlichen Einbürgerungen gebe. Das kommunale Ausländerwahlrecht sei ein »Gebot der Gleichbehandlung« und würde »Integrationsbemühungen unterstützen«. Länder mit kommunalem Ausländerwahlrecht wie Dänemark, Schweden, Finnland oder Niederlande weisen zugleich deutlich höhere Einbürgerungsquoten auf als Deutschland. Während in der BRD die Einbürgerungsquote im Jahr 2006 1,7 Prozent betrug, lag sie in Schweden bei 10,7 Prozent.
Ewig deutschnational
Dennoch behauptete der von der CDU/CSU benannte Verwaltungsrichter Klaus Rennert, »Legitimationssubjekt der deutschen Staatsgewalt muß das deutsche Staatsvolk sein, und nur das deutsche Staatsvolk, ohne den Einfluß Fremder«. Matthias Pechstein ging sogar so weit, die angestrebte Verfassungsänderung würde »mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit« vom BVerfG als Verstoß gegen die ›Ewigkeitsgarantie‹ des Artikels 79 Absatz 3 des Grundgesetzes bewertet werden. Nach dieser Auffassung könnte der Souverän, von dem doch alle Staatsgewalt ausgeht, nicht frei entscheiden, daß auch dauerhaft hier lebende Menschen ohne deutsche Staatsangehörigkeit an politischen Entscheidungsprozessen mit Wahlrecht beteiligt werden.Dem widersprach der frühere FDP-Bundesjustizminister Edzard Schmidt-Jortzig. Aus der bisherigen Rechtsprechung ergäben sich eher Anhaltspunkte dafür, daß die Karlsruher Richter die Änderung passieren lassen würden. Daher sei es eine »verfassungspolitische Entscheidung«, ob man ein Ausländerwahlrecht einführe oder nicht.