Der Präsident des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG), Prof. Dr. Hans-Jürgen Papier, hat vor einer Katastrophe im Datenschutz gewarnt. »Wir stellen nicht erst seit gestern fest, daß dem Grundrecht auf Datenschutz nicht nur von staatlicher, sondern auch von privater Seite Gefahren drohen können«, sagte er in einem Interview mit Bild am Sonntag. Der Staat müsse sich schützend vor die Freiheitsrechte seiner Bürger stellen, sonst drohe »aufgrund der modernen Technik und der weltweiten Verflechtungen ein Super-Gau.«
Bei seiner Wahl zum höchsten deutschen Richter galt Papier noch als Parteigänger der CSU. Mit dieser Äußerung hat er sich allerdings erneut mit dem für Datenschutz zuständigen Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble (CDU) angelegt. Aus Papiers Aussage läßt sich der Vorwurf herauslesen, daß die Bundesregierung ihre vom Grundgesetz vorgeschriebene Pflicht, die Bevölkerung zu schützen, nicht erfüllt hat.
Erst vor kurzem waren Schäuble und Papier öffentlich aneinander geraten. Schäuble hatte am 8. März in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung dem BVerfG vorgeworfen, sich zu sehr in die Politik einzumischen. Der Minister kritisierte vor allem die Eilentscheidung des Karlsruher Gerichts, mit der die umstrittene Vorratsdatenspeicherung weitgehend außer Kraft gesetzt wurde. Die Speicherung sämtlicher Telekommunikationsdaten auch aller unverdächtigen Bürger gilt Bürgerrechtlern als Musterbeispiel für die Datensammelwut des Staates.
Auch in dem von Papier in dem Interview angesprochenen Bereich des privaten Datenschutzes hat Schäuble bisher nichts zustande gebracht. Ein Entwurf zur Reform des Bundesdatenschutzgesetzes vom Dezember 2008 wird seit Monaten von den Koalitionsfraktionen CDU/CSU und SPD aus Angst vor Lobbyismus aus der Wirtschaft blockiert. Und das, obwohl auch der Bundesdatenschutzbeauftragte Peter Schaar in seinem Tätigkeitsbericht vom April 2009 eine Verbesserung des Datenschutzes gefordert hatte. Schaar hatte insbesondere verlangt, dem Datenmißbrauch in der Wirtschaft entgegenzutreten. Dabei spielte er auf die Ausforschung von Adreß- und Kontoverbindungsdaten und die Überwachung von Mitarbeitern an.
Die Vizepräsidentin des Bundestags, Petra Pau (Die Linke), nahm die Äußerungen des Verfassungsgerichtspräsidenten zum Anlaß, den Regierungsparteien CDU/CSU und SPD Versäumnisse beim Datenschutz vorzuwerfen. Diese seien nach den Datenskandalen »kleinlaut in Deckung gegangen«, erklärte Pau. Seit dem »Datenschutzgipfel« von Innenminister Schäuble im September sei nichts passiert. Auch die frühere Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) kritisierte im Tagesspiegel am Sonntag einen »dramatischen Bürgerrechtsabbau« durch die Regierung. Schäubles Bilanz bewertete sie als »vernichtend«.