Ein Tiefpunkt des Parlamentarismus war in der vorletzten Sitzungswoche des Bundestages die Verabschiedung des Gesetzes zur »Stärkung der Sicherheit in der Informationstechnik des Bundes« (BSI-Gesetz). Mit den Stimmen der großen Koalition hat der Bundestag in der Nacht vom 18. zum 19. Juni 2009 diesen Gesetzesentwurf zur Kompetenzerweiterung des »Bundesamts für Sicherheit in der Informationstechnik« (BSI) verabschiedet. Neue, tiefe Eingriffe in die Bürgerrechte wurden quasi im Schutze der Dunkelheit, faktisch ohne Öffentlichkeit, noch eben vor Schluß der Legislaturperiode beschlossen. Dies ist exemplarisch für die Serie an Verschärfungen im Bereich der Innen- und Rechtspolitik, die CDU/CSU und SPD in den letzten vier Jahren auf den Weg gebracht haben.
Um Angriffe auf die IT-Infrastruktur des Bundes abzuwehren, darf das BSI künftig alle »Protokolldaten« einschließlich Nutzerinformationen wie IP-Adressen unbegrenzt speichern und automatisiert auswerten, die bei der Onlinekommunikation zwischen Bürgern und Behörden des Bundes anfallen. Der Opposition ging das allerdings zu weit. Die Linke bezeichnete die neuen Befugnisse als »Datenspeicherung ins Blaue, die jedes Datenschutzniveau unterläuft«. Der frühere Bundestagsvizepräsident (1994 bis 1998) Burkhard Hirsch (FDP) riet dem Bundespräsidenten, den Entwurf nicht zu unterzeichnen, da das »mißbräuchliche« Gesetzgebungsverfahren einer Überprüfung durch das Bundesverfassungsgericht wohl nicht standhalten würde. Nimmt man die um keinen Deut bessere Gesetzgebung durch die Vorgängerregierung von SPD und Grünen unter Innenminister Otto Schily (SPD) hinzu, kommt man in den letzten sieben Jahren auf über 50 »Sicherheits«-Gesetze mit Eingriffen in die Grund- und Bürgerrechte und damit auch in die Privatsphäre der Menschen.
Zugriff auf private Daten
Das markanteste Beispiel ist wohl das BKA-Gesetz, mit dem der geheime Onlinezugriff auf Privatcomputer, den der Verfassungsschutz zuvor schon rechtswidrig praktiziert hatte, durch den Bundestag legalisiert worden ist. Das Bundeskriminalamt wurde zu einer bereits im Vorfeld von Straftaten zuständigen Behörde umfunktioniert, die geheimdienstliche Methoden anwenden darf. Das entspräche einer Mischung aus FBI und CIA. Das Abkommen der BRD mit den USA über die Verarbeitung von Fluggastdaten steht exemplarisch für internationale Zusammenarbeit, bei der der Datenschutz völlig auf der Strecke bleibt. Ein ähnliches Abkommen mit den USA vom 1.Oktober 2008 »über die Vertiefung der Zusammenarbeit bei der Verhinderung und Bekämpfung schwerwiegender Kriminalität« ist sogar nach Auffassung des Hamburger Justizsenators Till Steffen so mangelhaft, daß Hamburg hiergegen in der »Ständigen Vertragskommission der Länder« ein Veto einlegen will. Auch mit dem neuen Abkommen könnten nach Steffens Auffassung die USA »ihr Zugriffsrecht auf deutsche Daten zu extensiv nutzen«.
Die Einführung des biometrischen Fingerabdrucks in Pässen und Personalausweisen, die verlängerte Gültigkeit des Terrorismusbekämpfungs-Ergänzungsgesetzes um weitere fünf Jahre mit einer Ausdehnung der Auskunftsbefugnisse der Nachrichtendienste und die Errichtung der sogenannten Antiterrordatei, mit der das Trennungsgebot zwischen Polizei und Geheimdiensten verletzt worden ist – alle diese Maßnahmen beweisen eins: Die große Koalition ist den von SPD und Grünen eingeschlagenen Weg in den Überwachungsstaat konsequent weitergegangen.
Das Justizressort hat Innenminister Wolfgang Schäuble (CDU) daran nicht gehindert. Im Gegenteil: Aus dem Hause von Brigitte Zypries (SPD) kam die Vorratsdatenspeicherung, eine gigantische Erfassung der Telekommunikationsdaten von Millionen unverdächtigen Bürgerinnen und Bürgern für polizeiliche Zwecke. Mit dem »Gesetz zur Verfolgung der Vorbereitung von schweren staatsgefährdenden Gewalttaten« (»Terrorcamps«) hat die Bundesjustizministerin einem Gesinnungs- und Verdachtsstrafrecht Tür und Tor geöffnet. Nicht mehr konkrete Taten werden unter Strafe gestellt, sondern schon Verhaltensweisen, die man allenfalls als (nach bisherigem Verständnis) straflose Vorbereitungshandlungen bezeichnen kann.
Zum Schluß der Legislaturperiode führte die Koalition mit dem neuen Waffengesetz, bei dem sie sich nicht getraut hat, die Lagerung von Pistolen und Gewehren in Privathaushalten zu verbieten, in verfassungsrechtlich bedenklicher Weise verdachtsunabhängige Kontrollen in Wohnungen ein. Weniger Beachtung in der Öffentlichkeit, aber eine umso schlimmere Wirkung hat die soeben verfügte Ausweitung des Vertrages von Prüm durch die Umsetzung eines entsprechenden EU-Ratsbeschlusses. Nun ist in der gesamten Europäischen Union die Datenübermittlung und der automatische Abgleich von DNA-Profilen, Fingerabdrücken und Fahrzeugregisterdaten möglich.
Die Grundtendenz der Gesetzgebung seit 2001 ist deutlich nachzuweisen: Statt die Unschuldsvermutung gelten zu lassen, werden alle Menschen prinzipiell als verdächtig eingestuft. Immer wieder werden dabei neue Regeln und Gesetze zunächst für besonders schutzlose Minderheiten ohne Lobby wie Flüchtlinge und Migranten eingeführt. Dieser Personenkreis dient als unfreiwilliges Testfeld. Dann folgt die schrittweise Ausweitung auf die ganze Bevölkerung. So wurden beispielsweise zu allererst im Ausländerrecht biometrische Daten von Migranten etwa beim Familiennachzug gefordert. Mittlerweile sind Pässe mit Merkmalen wie Fingerabdrücken allgemein eingeführt. Aus diesem Grund hat die Opposition sich so vehement am 18. Juni 2009 im Parlament gegen das Zugangserschwerungsgesetz gewehrt. Damit sollte durch vom Bundeskriminalamt verfügte »Sperren« von kinderpornographischen Seiten im Internet diesen abscheulichen Verbrechen ein Riegel vorgeschoben werden. Alle Fachleute halten diese Methode aber für wirkungslos, weil man statt dessen solche Seiten löschen müßte. Vor allem aber zeigen alle Erfahrungen: Ein solches Gesetz ist nur der Einstieg in weitere Maßnahmen. Die Internet-Community hat mit einer Onlinepetition, der sich 130000 Unterzeichner angeschlossen haben, zu Recht vor dem Beginn einer »Internet-Zensur« gewarnt.
CDU und CSU wollen mehr
Ein Blick in das Bundestagswahlprogramm der CDU/CSU zeigt, wohin die Reise geht. Festgeschrieben ist das Ziel, die Trennung von Polizei und Militär sowohl im Äußeren – Stichwort »Piratenbekämpfung« vor Somalia – als auch im Inneren aufzuheben.
Schließlich wird die Linke benutzt, um in Kalter-Kriegs-Manier noch ein paar rechte Wähler zu mobilisieren. Im CDU/CSU-Wahlprogramm heißt es dazu, unmittelbar an das Thema Rechtsextremismus anknüpfend: »Auch Linksextremisten sind erklärte Gegner unserer freiheitlich-demokratischen Staats- und Gesellschaftsordnung. (…) Wir halten an der Beobachtung der extremistischen Strukturen in der Partei ›Die Linke‹ durch den Verfassungsschutz fest.«
Der Ausgang der Bundestagswahl ist ungewiß. Sicher ist, daß die CDU/CSU alles daran setzen wird, ihre Politik der Repression fortzusetzen. Diese bürgerrechtsfeindliche Politik richtet sich gezielt gegen politische Gegner und gesellschaftliche Minderheiten, schließlich aber gegen die gesamte Bevölkerung.
(erschienen in der Beilage Anti-Repression der Tageszeitung junge Welt, 08.07.2009)