Die Rote Hilfe unterstützt Menschen, die aufgrund ihrer linken politischen Aktivitäten polizeilich und juristisch verfolgt werden, sowie linke politische Gefangene. Eine solche – von anderen Antirepressionsgruppen nicht immer geteilte Eingrenzung auf „Politische“ macht schon Sinn, um die knappen Ressourcen der Solidaritätsarbeit zu konzentrieren. Auch gilt es zu unterscheiden zwischen denjenigen, die als soziale Gefangene zu Opfern des kapitalistischen Systems wurden (und dabei womöglich innerhalb dieses Systems gegenüber anderen Opfern als Täter auftraten) und denjenigen, die durch ihren bewussten politischen Einsatz gegen den Kapitalismus oder einzelne seiner Erscheinungsformen wie Militarismus und Rassismus ins Fadenkreuz der Justiz geraten sind. Doch bei aller Konzentration auf politische Gefangene dürfen wir das Knastsystem als ganzes nicht aus dem Blick verlieren.
Durch eine sichere Unterbringung soll der Strafvollzug den Schutz der Bürgerinnen und Bürger vor gefährlichen Straftätern gewährleisten. Ziel des Strafvollzuges ist es deshalb, durch gezielte Maßnahmen, die auf Delikt und Persönlichkeit des Gefangenen ausgerichtet sind, das Risiko einer erneuten Straffälligkeit zu senken. Der Strafvollzug leistet also durch sichere Unterbringung und sinnvolle Gestaltung des Strafvollzuges seinen Beitrag, zukünftige Straftaten zu verhüten. – Soweit die Theorie des bundesdeutschen Strafvollzugs. Die Praxis für die rund 75.000 Strafgefangenen in Deutschland sieht anders aus.
Verbunden mit der fehlenden Freizügigkeit ist die Unmöglichkeit von Ehe- und Familienleben während der Haftzeit eine der schwersten Einschränkungen für die Gefangenen. Entgegen einer weitverbreiteten Meinung sind Häftlinge aber nicht dazu verurteilt, ihre Zeit in Gefangenschaft unter menschenunwürdigen Zuständen zu verbringen. Im Strafvollzugsgesetz heißt es ausdrücklich, dass die Verhältnisse im Vollzug soweit wie möglich den allgemeinen Lebensverhältnissen angeglichen sein müssen. Doch die zum Teil aus dem 19.Jahrhundert stammenden Gebäude platzen aus allen Nähten. Viele Zellen sind völlig überbelegt. So haben laut dem Düsseldorfer Justizministerium in NRW als dem Bundesland mit den meisten Gefangenen 400 von 3450 Gemeinschaftszellen noch keine abgetrennte Toilette. Der Leiter des Strafvollzugsarchivs Bremen, Johannes Feest, hält unter Berufung auf das Bundeserfassungsgericht den Zwang zum gemeinsamen Essen in solchen Zellen für „menschenunwürdig, das heißt unterhalb unseres zivilisatorischen Standards.“
Die Mehrfachbelegung zwingt auch gegensätzliche Persönlichkeiten zum Zusammenleben auf engstem Raum, die sich so den Knastalltag zusätzlich zur Hölle machen. Im schlimmsten Fall kann dies zu offen ausgelebten Sadismus gegenüber schwächeren Mitgefangenen führen wie in Siegburg, wo ein junger Häftling zu Tode gefoltert wurde. Immer öfter dringen Meldungen über Schlägereien, Messerstechereien und Drogentote in JVAs an die Öffentlichkeit. Überbelegung und eine schlechte Personalquote verhindern ein rechtzeitiges Eingreifen des JVA-Personals zum Schutz der Betroffenen. „Bei solchen Mehrfachbelegungen können automatisch rechtsfreie Räume entstehen. Wie will man in der Nacht einen Acht-Mann-Saal oder auch eine Zwei-Mann-Zelle überwachen?“, fragt so etwa Anton Bachl, der Vorsitzende des Landesverbandes bayerischer Justizvollzugsbediensteter.
Die Gefangenen sind zur Arbeit verpflichtet. Arbeitsverweigerung wird disziplinarisch bestraft. Die Arbeiten müssen nicht nur in der Wäscherei oder der Küche der JVA abgeleistet werden, sondern durchaus auch in der JVA angeschlossenen Werkstätten, die für die freie Wirtschaft produzieren. Der durchschnittliche Stundenverdienst betrug 2005 ungefähr 1,35 € und lag damit weit unter Tarif.
Der Neoliberalismus macht auch vor dem Strafvollzug nicht halt. 2005 wurde in Hünfeld bei Fulda das erste deutsche teilprivatisierte Gefängnis eröffnet. Weitere teilprivatisierte JVA entstehen in Baden-Württemberg, Bayern und Sachsen-Anhalt. Betriebswirtschaftliche Untersuchungen in Hünfeld haben ergeben, dass die Teilprivatisierung keineswegs zur Kostenersparnis führt. Laut dem hessischen Justizministerium lagen die Kosten in der teilprivatisierten JVA Hünfeld pro Haftplatz im Jahr 2007 bei 83,18 Euro am Tag, in der vollständig staatlich betriebenen JVA Darmstadt hingegen nur bei 79,28 Euro. Eine Recherche der Süddeutschen Zeitung hat 2008 ergeben, dass in Hünfeld sogar Mehrkosten von rund 700.000€ pro Jahr im Vergleich zur JVA Darmstadt zu Buche schlagen. Das leichtfertige Abtreten hoheitlicher Aufgaben der staatlichen Justiz an private Dienstleister führt dagegen zu einer weiteren Entrechtung der Gefangenen durch das sich so ergebende Kompetenz-Gewirr. Auch sind private, rein profitorientierte Dienstleister noch weniger wie die staatlichen Stellen in der Lage, Beschäftigung von Gefangenen, vor allem aber Sozial- und psychologische Dienste, Arbeitstherapie sowie Freizeit- und Sportaktivitäten sachgerecht zu bewältigen. Experimentelle Maßnahmen eines betreuungsfernen Strafvollzuges, wie er in Hünfeld durch den Personal sparenden Einsatz von Videoüberwachung erprobt wurde, gefährden letztendlich auch die Sicherheit der Gefangenen in Extremsituationen.
Häufig erreichen mich Hilferufe aus dem Knast. Die Gefangenen nutzen die rechtliche Möglichkeit, ohne Kontrolle und Zensur durch die Anstaltsleitung mit Abgeordneten zu kommunizieren. Doch das ist auch nur die Theorie. Denn regelmäßig berichten Gefangene, dass auch diese Post geöffnet wurde. In einigen Fällen wurden mir solche unzulässigen Eingriffe in das Briefgeheimnis von Anstaltsleitungen als angebliche Versehen sogar nachträglich bestätigt.
Die Gefangenen haben rechtliche Fragen, die ihnen im Knast niemand beantwortet. Anwälte können sie sich oft keine mehr leisten, denn nach einer Verurteilung steht ihnen auch keine Prozesskostenhilfe zu. Darunter sind immer wieder ausländische Gefangene, die häufig keine Familienangehörigen in Deutschland haben und aufgrund von Sprachproblemen nicht in der Lage sind, ihre wenigen Rechte als Strafgefangene durchzusetzen. Andere Gefangene klagen über willkürliche Schikanen oder rassistische Beleidigungen durch das JVA-Personal.
In vielen Briefen geben Strafgefangene ihrer Hoffnung Ausdruck, dass die Partei DIE LINKE sich grundsätzlich der Problematik des Strafvollzugs annehmen würde. Eine Reihe von Gefangenen sind bereits Mitglieder der LINKEN geworden. Dort stößt das Ansinnen dieser Neumitglieder im besten Falle auf Hilflosigkeit, in der Regel aber auf Ablehnung. Vorherrschend ist die Sorge, sich gegenüber den Wählern zu diskreditieren, wenn man sich für die Rechte von Gefangenen einsetzt oder diese gar als aktive Mitglieder der Partei organisiert. Während bei der SPD und den bürgerlichen Parteien reiner Stammtischpopulismus nach dem Motto „Wegsperren und zwar für immer“ die Debatte dominiert, herrscht bei der Linken ein Geist vor, der sich am besten mit „Spiel nicht mit den Schmuddelkindern“ beschreiben lässt. Dass es auch anders geht, haben die Grünen in den 80er Jahren bewiesen. Damals stand das Thema Knast noch regelmäßig auf der Agenda der Partei. Es gab grüne Knastgruppen und Knastbetreuer von Seiten der Partei.
Die Partei Die Linke profiliert sich heute insbesondere mit den Themen „soziale Gerechtigkeit“ und „Bürgerrechte“. Dieser Anspruch darf vor Knastmauern nicht aus opportunistischen Gründen Halt machen. Die Linke – damit meine ich nicht nur die Partei – muss sich für eine Reform des Strafvollzugs stark machen, die den vom Gesetz geforderten Resozialisierungsanspruch absolut in den Fordergrund stellt.
Maßnahmen zur Haftvermeidung oder –verkürzung müssen durchgesetzt werden, z.B. eine weitgehende Entkriminalisierung im Bereich der Betäubungsmitteldelikte und der Verzicht auf Freiheitsstrafen bei Sachbeschädigungs- und einfachen Vermögensdelikten, bei denen die Täter nur ihre Geldstrafe nicht zahlen können. Im Strafvollzug muss Transparenz und Zielgerichtetheit der Vollzugsplanung, eine Verbesserung der Arbeitsbedingungen die Zahlung von Tariflöhnen für Knastarbeit gefordert werden.
Antikapitalistische Linke dürfen aber nicht bei solchen Reformforderungen stehen bleiben. Anstatt Menschen wegen Fehlverhaltens einfach wegzusperren, muss nach den sozialen Ursachen von Kriminalität gefragt werden. Gefängnisse sind einerseits die Folge menschenunwürdiger, unsozialer Zustände, die immer mehr Menschen „auf die schiefe Bahn“ geraten lassen. Andererseits erfüllen sie eine wichtige Funktion zur Aufrechterhaltung eben dieser Gesellschaftsordnung durch die Drohung des Staates, Regelverletzer wegzusperren. Das Gefängnissystem ist somit logischer Bestandteil der kapitalistischen Ordnung. Eine erstrebenswerte Gesellschaft (fast) ohne Knäste und Zwangsanstalten wird daher eine solidarische Gesellschaft jenseits des Kapitalismus sein, in der sozialen Ursachen eines Großteils der insbesondere auf Eigentumsdelikten beruhenden heutigen kriminellen Handlungen beseitigt wurden.
Ulla Jelpke
Die Autorin ist innenpolitische Sprecherin der Fraktion DIE LINKE im Deutschen Bundestag und hat jahrelang als ehrenamtliche Strafvollzugshelferin gearbeitet.
Aus Rote Hilfe Zeitung 3/09