Eine Altlast der Regierung unter Helmut Kohl aus den 90er Jahren steht Donnerstag und Freitag im Bundestag und Bundesrat zur Debatte. Die Oppositionsparteien Die Linke, SPD und Grüne fordern endlich eine umfassende Umsetzung der Kinderrechtskonvention der Vereinten Nationen. Die Bundesrepublik hat 1992 bei der Ratifikation der Konvention eine Vorbehaltserklärung abgegeben. Demnach bleibt das sogenannte Aufenthaltsrecht unberührt, und ausländische Kinder werden deutschen Minderjährigen gegenüber deutlich schlechter gestellt.
Im deutschen Asyl- und Aufenthaltsrecht gelten Kinder bereits ab 16 Jahren als verfahrensmündig und werden rechtlich wie Erwachsene behandelt. Durch Zwangsunterbringung in Massenunterkünften, gekürzte Sozialhilfesätze, Sachleistungsprinzip und eingeschränkte medizinische Versorgung auch für minderjährige Flüchtlinge solle bewußt »kein Anreiz zur Einreise« geboten werden, so die oft wiederholte Begründung. Weil Altersangaben der jungen Flüchtlinge von den Ausländerbehörden regelmäßig angezweifelt werden, müssen die Kinder fragwürdige Röntgenuntersuchungen über sich ergehen lassen. Insbesondere aufgrund des Widerstandes aus den Bundesländern, die eine vermehrte Einreise unbegleiteter minderjähriger Flüchtlinge befürchteten, war weder die SPD-Grünen-Regierung noch die große Koalition in der Lage, die Vorbehaltserklärung gegenüber der UN-Kinderrechtskonvention zurückzunehmen.
In der Vereinbarung im Koalitionsvertrag von Union und FDP heißt es nun überraschend, »wir wollen die Vorbehaltserklärung zurücknehmen«. In den Medien wurde dies als Erfolg der FDP-Politikerin Miriam Gruß bei den Koalitionsverhandlungen präsentiert. Gruß hat jedoch mehrfach deutlich gemacht, daß die Rücknahme für sie rein kosmetischen Charakter hat, um keinen »Zweifel am Willen Deutschlands, die UN-Kinderrechtskonvention durchzusetzen«, aufkommen zu lassen.
»Wir schlagen zusätzlich vor, das Prinzip ›Vorrang des Kindeswohls‹ auch ausdrücklich im Asyl- und Aufenthaltsrecht zu verankern«, hält Michael Lindenbauer, Vertreter des UN-Flüchtlingskommissars UNHCR für Deutschland und Österreich, weitergehende Regelungen für erforderlich. So müsse die Verfahrensmündigkeit im Asylverfahren auf 18 Jahre heraufgesetzt werden, um internationalem Standard zu entsprechen. Zudem sollen asylsuchende Minderjährige auch aus dem sogenannten Flughafenverfahren herausgenommen werden. Verfahren zur Familienzusammenführung müßten mit Blick auf das Kindeswohl beschleunigt werden und es sollte einen Rechtsanspruch auf Familiennachzug auch für Bürgerkriegsflüchtlinge geben, die keinen Asylanspruch haben. Die im Koalitionsvertrag angekündigte Überprüfung des Abschiebehaftvollzugs geht dem UNHCR nicht weit genug. Lindenbauer stellte klar: »Minderjährige gehören grundsätzlich nicht in Abschiebehaft.«
Laut einer Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage der Linksfraktion wurde ein Drittel aller Asylerstanträge bis September dieses Jahres von Minderjährigen gestellt. Davon waren sechs Prozent bzw. 1228 Flüchtlingskinder zwischen 16 und 18 Jahren alt, von denen wiederum die Hälfte (616) ohne Begleitung eines vertretungsberechtigten Erwachsenen eingereist ist. Damit hat sich diese Zahl seit dem Vorjahr mehr als verdoppelt. Dazu kamen weitere 281 unbegleitete Minderjährige unter 16 Jahren.