Seit Wochen läuft eine künstlich angeheizte Kampagne gegen »linke Gewalt«. Berlins Innensenator Ehrhart Körting (SPD) hetzte gegen Autonome als »rotlackierte Faschisten« . Er berief sich auf eine Aussage des früheren SPD-Vorsitzenden Kurt Schumacher, um – so Körting – darzulegen, daß sich ein Teil der linksextremen Szene in ihrer »menschenverachtenden Gewalt« nicht von den Neonazis unterscheide. Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) verfügte einen »Paradigmenwechsel« und gab Anweisung, sich verstärkt um die »linksextremistische Szene« zu kümmern. Die Springer-Presse spricht vom »Netzwerk des Terrors« und nennt Organisationen wie die Antifaschistische Linke Berlin. Es scheint nur noch eine Frage der Zeit, daß statt faschistischer Kameradschaften antifaschistische Gruppierungen verboten werden. Die Diffamierung von Linken geht einher mit der Forderung nach weiteren Gesetzesverschärfungen.
Die Kampagne zeigt Wirkung. In der Online-Ausgabe der Welt wurde am 27. Dezember die Frage gestellt: »Welche Form der Gewalt macht Ihnen am meisten Angst?« 64 Prozent der Leser nannten »linksextreme Gewalt«, nur zwölf Prozent sahen die Gefahr rechts.
Das stellt die Tatsachen auf den Kopf. Neonazis sind in Deutschland verantwortlich für über 140 Tote in den vergangenen 20 Jahren. Körtings Vergleich ist zudem eine Verharmlosung des historischen Faschismus. Spekulationen in der Springer-Presse über das Entstehen einer neuen RAF folgen der kruden Logik, das Werfen von Farbeiern führe automatisch zu Mord.
Selbst die Polizei nennt verschiedenste Motive bei Pkw-Brandstiftungen: Versicherungsbetrug, Eifersucht, Suff. Nur bei einem geschätzten Anteil von 20 bis 40 Prozent soll eine politische Motivation vorliegen. Bekennerschreiben gibt es kaum, Täter wurden fast nicht überführt. Somit existieren keine gesicherten Erkenntnisse. Es ist also unzulässig, die 300 angezündeten Autos in Berlin pauschal als Ausdruck »linker Gewalt« einzuordnen.
Eine Studie des Berliner Verfassungsschutzes zeigt deutlich, daß sich 86 Prozent rechter Gewalttaten gegen Menschen richtet. Linke wenden sich dagegen laut dieser Studie vorwiegend gegen Institutionen. Zudem werden als linke »Gewalttaten« Widerstandshandlungen im Zusammenhang mit Neonaziaufmärschen gewertet. Wenn Antifaschisten mit passivem Widerstand rechtsextreme Aktivitäten blockieren und der Volksverhetzung entgegentreten, schlägt sich dies in der Statistik zu Lasten der Linken nieder. Manches wird auch als »linke Gewalt« eingestuft, was von der Polizei selbst provoziert wurde.
Daran zeigt sich: Statistiken sind sehr differenziert zu betrachten. Wer diese Fakten nicht erkennen will und diese Unterschiede mit gewagten Nazi-Vergleichen mißachtet, betreibt wissentlich oder unwissentlich das Geschäft der politischen Rechten.