as Urteil des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte (EGMR) zur Sicherheitsverwahrung in der BRD hat am Wochenende heftige Debatten ausgelöst. Nachdem das Gericht Teile dieser Regelung als menschenrechtswidrig verworfen hatte, forderte der Anwalt des seit 18 Jahren in Hessen inhaftierten Beschwerdeführers dessen sofortige Freilassung. Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) kündigte unterdessen ein neues »schlüssiges Konzept« zur Sicherungsverwahrung an. Die Bundesregierung werde schnell entscheiden, ob sie bei der Großen Strafkammer des EGMR Berufung einlegt.
Berlin will damit wohl erst einmal Zeit gewinnen. Vor allem die CDU/CSU machte am Wochenende Druck, es bei der bisherigen Regelung zu belassen. Der Vorsitzende des Bundestagsinnenausschusses, Wolfgang Bosbach (CDU), nannte die Sicherungsverwahrung »unverzichtbar zum Schutz vor unverbesserlich gefährlichen Gewalttätern«. Der CSU-Innenpolitiker Hans-Peter Uhl beklagte, das Vertrauen der Bürger auf Schutz durch den Staat werde durch das Urteil »zerstört«.
An die Spitze der Hardliner-Kampagne setzte sich die Bild-Zeitung, die von einem »Skandalurteil« sprach, wonach »Täterschutz vor Opferschutz« gehe: »Wer schützt uns vor diesen Richtern?« titelte Bild am Samstag. Dieses »Fehlurteil« dürfe keinen Bestand haben. In höhnischer Weise – »Macht hoch die Tür, die Tor macht weit!« – empörte sich das Blatt darüber, daß nun 70 der »gefährlichsten Verbrecher« in Freiheit kommen könnten.
Tatsächlich setzte die Entscheidung aus Strasbourg einen Kontrapunkt zu einer Reihe von Gesetzesverschärfungen bei der Sicherungsverwahrung. Das ist eine schallende Ohrfeige für die konservative deutsche Rechtspolitik, die bisher in der Sicherungsverwahrung eine Maßnahme der »Prävention« sah, wofür das Rückwirkungsverbot nicht gelte.
Eingeführt wurde die Sicherungsverwahrung in der Nazizeit durch das »Gesetz gegen gefährliche Gewohnheitsverbrecher« vom 24. November 1933. Es handelt sich um eine rechtsstaatlich äußerst problematische zusätzliche Inhaftierung nach einer Strafverbüßung, also um eine Doppelbestrafung. Hierfür müßte allerdings auch der Artikel 103 des Grundgesetzes gelten, nachdem eine Tat nur nach einem zur Tatzeit geltenden Gesetz bestraft werden kann. Der EGMR hat sich klar für diese Auffassung entschieden und damit Deutschland Nachhilfeunterricht bei der Beachtung der Grundrechte erteilt.
Sicherungsverwahrung bedeutet im Extremfall lebenslangen Freiheitsentzug. Bis 1998 galt aber, daß diese bei der erstmaligen Anordnung auf zehn Jahre begrenzt war. Der Gefangene, der jetzt in Strasbourg geklagt hat, war schon 1986 wegen eines Raubdelikts zu fünf Jahren Haft verurteilt worden. Anschließend hätte er also höchstens noch zehn Jahre Sicherungsverwahrung bis zum Jahr 2001 zu verbüßen gehabt. Diese Zehn-Jahres-Frist wurde 1998 rückwirkend aufgehoben. Der Beschwerdeführer wurde daher über das Jahr 2001 hinaus dauerhaft inhaftiert.
Die europäischen Richter sahen darin einen klaren Verstoß gegen den Grundsatz, daß es keine rückwirkende Änderung von Strafen geben dürfe. In Deutschland sind nach Angaben des Gerichtshofes etwa 70 Häftlinge in einer ähnlichen Situation. Die Bundesregierung verwies darauf, daß das Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil vom 5. Februar 2004 die Aufhebung der Höchstfrist für »Altfälle« akzeptiert habe. Sie wird aber um eine grundsätzliche Debatte über die Sicherungsverwahrung nicht herumkommen.