Eigentlich müßte es um die innere Sicherheit so gut bestellt sein wie nie zuvor: Über 50 sogenannte Sicherheitsgesetze sind seit 2001 beschlossen worden. Kurz vor ihrer Abwahl hat die große Koalition noch eine Reihe weiterer Gesetzesverschärfungen durchs Parlament gejagt. Sie alle führen allerdings nicht zu mehr Sicherheit, sondern zu weniger Freiheit. Und weitere Regelungen sind abzusehen.
Ein Einstieg ins Feindstrafrecht sind die Änderungen im Strafgesetzbuch, die irreführend als »Verbot der Teilnahme an Terrorcamps« bezeichnet wurden. Es ist eine Erweiterung der bisherigen Antiterrorparagraphen, die das bisherige Strafrecht verlassen. Denn es geht darin nicht um konkrete Straftaten oder deren Versuch, sondern um sogenannte Vorbereitungshandlungen: Wer Gegenstände anschafft, aus denen Waffen für Terroranschläge hergestellt werden können, muß mit bis zu zehn Jahren Haft rechnen. Im Zweifelsfall würde dies schon den Kauf von Nägeln meinen, mit denen Bomben gefüllt werden könnten.
Bestraft wird künftig, wer Beziehungen knüpft »in der Absicht, sich in der Begehung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat unterweisen zu lassen« (Ausbildungslager). Bis zu drei Jahre kann kassieren, wer Schriften, die »geeignet sind«, als Terroranleitungen zu dienen, »anpreist oder einer anderen Person zugänglich macht, wenn die Umstände ihrer Verbreitung geeignet sind, die Bereitschaft anderer zu fördern oder zu wecken«, einen Anschlag zu begehen. All diese Formulierungen sind gewollt vage und unbestimmt. Der Unterschied zwischen einem »Terrorcamp« und dem Lager einer Befreiungsbewegung wird nach politischer Opportunität entschieden. Daß Straffreiheit für jene zugesichert wird, die sich aus legitimen Gründen für militante Gruppen interessieren (Wissenschaftler, Journalisten), kann niemanden beruhigen. Denn die Bestimmungen laufen auf eine Gesinnungsprüfung hinaus. Im Moment sind vor allem Islamisten im Visier, aber das Gesetz kann jederzeit gegen andere Spektren ausgelegt werden.
Diese Vorfeldkriminalisierung ist im Jahr 2009 von weiteren präventiven Datenerhebungen »auf Vorrat« begleitet worden. Im Frühsommer beschloß der Bundestag die Erweiterung des Vertrages von Prüm, so daß nun der EU-weite Austausch von DNA-Profilen, Fingerabdrücken und Fahrzeugregistereintragungen möglich ist. Ein Eingriff in den Datenschutz ist auch das Gesetz zur »Sicherheit in der Informationstechnik des Bundes«: Angeblich zur Abwehr von Hackerangriffen darf der Bund nun die IP-Kennungen all jener Nutzer speichern, die sich die Homepages von Ministerien oder anderen Bundeseinrichtungen ansehen. Dabei wird auch erfaßt, welche einzelnen Daten abgerufen werden.
Auf den Weg gebracht wurde bereits im Frühjahr eine Bundesabhörzentrale, beschönigend als »Servicecenter TKÜ« bezeichnet (wobei TKÜ Telekommunikationsüberwachung bedeutet). Der »Service« besteht darin, daß das Bundesverwaltungsamt künftig sämtliche Abhörmaßnahmen durchführt, zunächst nur von Bundeskriminalamt (BKA) und Bundespolizei, künftig aber auch vom Verfassungsschutz. Das Trennungsgebot zwischen Geheimdiensten und Polizei wird damit weiter unterlaufen.
Kurz vor der Sommerpause wurde die Wiedereinführung der Kronzeugenregelung beschlossen. Angeklagte werden nun dafür belohnt, wenn sie andere belasten. Warnungen, daß damit Falschbeschuldigungen geradezu provoziert würden, schlug die große Koalition in den Wind. Zugleich wurden Deals in Strafprozessen ausdrücklich zugelassen: Statt umfassender Beweiserhebung können Verfahren durch Geständnisse der Angeklagten abgekürzt werden, dafür gibt es Strafnachlaß. Eine ökonomische Variante ganz im Sinne des Neoliberalismus. Solche Konsensverfahren verzichten auf den Anspruch des Rechtsstaates, die Wahrheit zu ermitteln, und die in der Regel vereinbarten hohen Bußgelder können sich ohnehin nur Gutbetuchte leisten.
Die FDP, im Wahlkampf als Bürgerrechtspartei auftretend, rühmt sich, nun eine Wende herbeigeführt zu haben. Doch sie läßt den etablierten Überwachungsstaat einfach weiterbestehen. Und nicht nur das: Kaum im Amt, hat die Bundesregierung Ende November in der Europäischen Union das SWIFT-Abkommen passieren lassen, das den USA Einblick in Kontobewegungen der EU-Bürger gibt. Überhaupt werden die nächsten Angriffe auf die Grundrechte aus Brüssel kommen. Das Anfang Dezember vom Europäischen Rat verabschiedete »Stockholmer Programm« sieht vor, den EU-weiten Informationsaustausch, aber auch die operative Zusammenarbeit zwischen den Polizeibehörden zu optimieren. Das Bundesinnenministerium hat – auch unter Schwarz-Gelb – bis zuletzt und erfolgreich für eine Verschärfung des Programmentwurfs gefochten.
So ist nun ausdrücklich vorgesehen, Daten über »reisende Gewalttäter« EU-weit auszutauschen. Gemeint sind damit zum einen Fußball-Hooligans, aber auch politische Aktivisten. Geplant ist ein umfassendes Register, das Ein- und Ausreisen von Nicht-EU-Bürgern speichert, Visaantragsteller werden biometrisch erfaßt. Die Festung Europa wird durch weiteren Ausbau der »Grenzschutzagentur« Frontex noch abweisender. Erwogen wird, Asylanträge von Flüchtlingen künftig in Lagern in Nordafrika zu bearbeiten. All dies wird zunächst in EU-Ratsbeschlüsse münden und in etwa zwei Jahren dem Bundestag zur Umsetzung zugehen.