Die Antirassistische Initiative (ARI) Berlin hat ihre Dokumentation »Bundesdeutsche Flüchtlingspolitik und ihre tödlichen Folgen« in 17. Auflage vorgelegt. Aufgelistet werden Todesfälle und Verletzungen bei Grenzüberquerungen, Abschiebungen oder nach der Rückführung in das vermeintliche Heimatland bzw. in sogenannte sichere Drittstaaten. Dokumentiert sind auch Selbsttötungen und Suizidversuche sowie Anschläge auf Unterkünfte Asylsuchender. 5000 Fälle verdeutlichen Willkür und Konsequenzen der deutschen Flüchtlingspolitik.
Die Neuauflage der Dokumentation zeigt auch die dramatische Entwicklung bei den Asylwiderrufsverfahren. Während in den Jahren 2003 bis 2009 in insgesamt 38255 Fällen der Asyl- oder Flüchtlingsstatus gewährt wurde, kam es im gleichen Zeitraum zu 62385 Widerrufen der Aufenthaltsberechtigung. Die Autoren der ARI schlußfolgern: »Die Aberkennung des Status durch die tausendfachen Widerrufsverfahren wirft die Menschen nicht nur juristisch, sondern auch psychologisch auf Null zurück«.
Als verheerend für die Betroffenen wird das »Leben in der Warteschleife« beschrieben. Gemeint ist die Unterbringung in Lagern, das Verbot, zu arbeiten und ohne Genehmigung den zugewiesenen Landkreis zu verlassen. Jahrelange Perspektivlosigkeit und existentielle Angst vor Abschiebungen führten zu schweren Traumatisierungen, so die Autoren. Sogenannte »Fit-to-fly«-Ärzte würden nach Erkenntnissen der ARI aber selbst Schwerstkranke für flugtauglich erklären und damit zur Abschiebung freigeben. Dies überschreite bisweilen die Grenze zur Körperverletzung.
Als aktuelle Beispiele werden in der Dokumentation 25 Vorgänge aus dem vergangen Jahre aufgeführt. So wurde am 12. Januar 2009 in Bad Salzdetfurth der 27jährige Armenier Arkadin H. von der Polizei zur Abschiebung abgeholt. Aus Verzweiflung führte er ein Klappmesser an seine Halsschlagader. Nur mit Mühe konnte seine Selbsttötung verhindert werden. Am 15. März 2009 sollte in Frankfurt am Main eine 17jährige Asylbewerberin aus Kamerun abgeschoben werden, obwohl sie hochschwanger war. In Bremen eröffnete Mitte April eine Mitarbeiterin der Ausländerbehörde einem Kurden, daß er abgeschoben werde. Auf den Hinweis des Dolmetschers, der Kurde sei laut psychiatrischem Gutachten akut suizidgefährdet, erwiderte die Frau: »Dann ist er halt tot.«
Viele solcher Fälle werden in der Öffentlichkeit kaum wahrgenommen und bleiben ohne Konsequenzen. Anders war das, nachdem sich ein georgischer Abschiebehäftling in Hamburg am 7. März das Leben nahm. Es kam zu Demonstrationen und Protestaktionen. Am Montag hat der Flüchtlingsrat der Hansestadt Strafanzeige gegen Senatoren eingereicht. Man werfe ihnen Nötigung, Körperverletzung, unterlassene Hilfeleistung, Mißachtung aller gesetzlichen Regeln einer Gewahrsamsverwaltung und gegebenenfalls von Jugendhilfegesetzen vor, teilte der Flüchtlingsrat mit. Die Strafanzeige richtet sich gegen Innensenator Christoph Ahlhaus (CDU), Justizsenator Till Steffen (GAL) sowie gegen die Leitung der Untersuchungshaftanstalt.
Der junge Mann hatte sich nach einem Hungerstreik im Haftkrankenhaus erhängt. Gegen ihn war zuvor Abschiebehaft angeordnet worden. Er sollte nach Polen gebracht werden, von wo er illegal eingereist war. Der Mann hatte sein Alter mit 17 Jahren angegeben. Später erklärte die Botschaft Georgiens, daß er 25 Jahre alt war.