Politiker der Union, insbesondere der CSU, weigern sich, entlassene Häftlinge aus dem US-Folterlager Guantánamo in Deutschland aufzunehmen. Der Vorsitzende des Bundestags-Innenausschusses, Wolfgang Bosbach (CDU), betonte in der Bild am Sonntag: »Ich habe grundsätzliche Sicherheitsbedenken.« Im Spiegel von gestern wird der innenpolitische Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Hans-Peter Uhl, mit der Forderung zitiert, zuerst müßten die US-Amerikaner die Frage beantworten, »warum sie die jeweiligen Gefangenen nicht selber nehmen«. Im Ergebnis sehe er »eher keine Aufnahme«. Noch deutlicher wurde Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU), der sich nicht scheute, barsch zu erklären: »Wir haben in Deutschland keinerlei Veranlassung, solche Leute aufzunehmen. Nach Bayern kommt mir keiner rein.« Herrmann zeigte sich über die neuerliche Debatte verwundert. »Ich dachte, mit dem Kapitel hätten wir abgeschlossen«, sagte der CSU-Politiker.
Dieses Schauspiel knüpft leider an die bisherige deutsche Guantánamo-Politik an. Als der in Bremen geborene türkische Staatsangehörige Murat Kurnaz 2002 unschuldig von den Amerikanern nach Guantánamo verschleppt und dort gefoltert wurde, setzte sich die SPD-Grünen-Bundesregierung keinswegs für seine Rückkehr nach Deutschland ein. Erst 2006 wurde Kurnaz freigelassen.
Auch später forderte der Bundestag zwar wiederholt die Schließung von Guantánamo, aber eine konkrete Bereitschaft zur Aufnahme von Inhaftierten ließ der Innenminister der großen Koalition, Wolfgang Schäuble (CDU), nicht erkennen. Immer wurde das an »Sippenhaft« grenzende Argument ins Feld geführt, jeder, der in diesem Lager inhaftiert gewesen sei, bilde eine Gefahr, und zwar schon deswegen, weil seine dortigen schlimmen Erlebnisse Rachegelüste hervorrufen könnten. Somit seien ehemalige Guantánamo-Gefangene quasi automatisch ein Sicherheitsrisiko. Folgte man dieser kruden Begründung, dürfte man praktisch niemand aus Guantánamo entlassen, selbst bei erwiesener Unschuld nicht.
Die CDU/CSU setzte sich mit ihrer inhumanen Abwehrhaltung bisher auch deswegen durch, weil US-Präsident Barack Obama sein Wahlversprechen, Guantánamo binnen eines Jahres nach seinem Amtsantritt im Januar 2009 aufzulösen, nicht eingehalten hat. Inzwischen haben jedoch mehrere europäische Staaten ehemalige Häftlinge aufgenommen. Seit Ende Februar kamen je ein bis drei ehemalige Guantánamo-Häftlinge nach Albanien, Spanien und Georgien.
Beim neuen Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) scheint nunmehr ein gewisses Umdenken einzusetzen. Eine Delegation seines Hauses führte, wie gestern im Spiegel berichtet wurde, in Abstimmung mit dem Bundeskanzleramt und dem Auswärtigen Amt Gespräche mit den USA zu dieser Frage. Dabei gehe es um »einzelfallbezogene Prüfungen«. Es handelt sich also nur um eine minimale Zahl von Personen. Möglicherweise könnten ein Palästinenser, ein Jordanier und ein Syrer in Deutschland Schutz finden.
Es bleibt aber der Fakt, daß sich die Bundesregierung in einer humanitären Frage nicht großzügiger verhält und daß die eigenen Parteifreunde de Maizière in den Rücken fallen. Der rechtspolitische Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion, Christian Ahrendt, sprach sich dagegen für die Aufnahme von Gefangenen aus Guantánamo aus. Unschuldige hätten Anspruch darauf, daß sie in Freiheit leben können, sagte Ahrendt am Montag im WDR Radio. Die Aufnahme von Guantánamo-Inhaftierten forderte gestern auch Die Linke und beantragte die Debatte darum für die nächste Innenausschußsitzung.
In Guantánamo Bay waren seit Anfang 2002 vor allem angebliche Taliban- oder El-Qaida-Anhänger ohne Anklage festgehalten worden. Von ursprünglich mehr als 600 Gefangenen befinden sich noch etwa zweihundert dort. Nach Einschätzung von Amnesty International ist mindestens ein Viertel von ihnen nachweislich unschuldig.