Artikel: Nazis blockieren!

Blockade ist eine Form von Gewalt und damit eine Straftat, egal, wer sie begeht«, erklärte Berlins Innensenator Ehrhart Körting (SPD) bezüglich der geplanten Proteste gegen einen Neonaziaufmarsch am 1.Mai 2010 im Berliner Bezirk Prenzlauer Berg. Dem widersprach Jan Landers, Pressesprecher des Bündnisses »1.Mai – Nazifrei«: »Sitzblockaden sind kein Akt der Gewalt, sondern legitimes Mittel einer aktiven Zivilgesellschaft.« Damit wiederholt sich eine Auseinandersetzung wie vor kurzem in Dresden. Auch dort hatte die Staatsanwaltschaft im Vorfeld der erfolgreichen Massenblockade von über 10000 Antifaschisten gegen den großen Neonaziaufmarsch Mitte Februar Plakate mit einem Blockadeaufruf kriminalisieren lassen. Tatsächlich ist es umstritten, inwieweit deratige Aktionen rechtlich zulässig sind.

Entzündet hatte sich die Debatte in den achtziger Jahren anläßlich der Proteste gegen die »Nachrüstung« der ­NATO mit Pershing-II-Raketen. Zahlreiche auch prominenter Rüstungsgegner wie Walter Jens wurden nach gewaltfreien Sitzblockaden vor dem NATO-Atomwaffendepot Mutlangen wegen Nötigung gemäß Paragraph 240 Strafgesetzbuch verurteilt. Zwar setzt dieser Tatbestand voraus, daß ein anderer gewaltsam zu einem Handeln oder Unterlassen veranlaßt wird. Doch nach damaliger Rechtsauffassung wurde schon das passive Sitzen auf der Straße als »Gewalt« angesehen, weil bei dem Fahrzeuglenker eine psychische Hemmung ausgelöst werde, den Blockierer zu überfahren und ersterem das Anhalten »aufgenötigt« wird.

Mit einer Grundsatzentscheidung trat das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) 1995 dieser weiten Auslegung des Gewaltbegriffs entgegen (AZ 1 BvR 718/89). Die Karlsruher Richter stellten fest, daß die Einordnung von psychischem Einwirken als »Gewalt« einen Verstoß gegen den Bestimmtheitsgrundsatz nach Artikel 103 Absatz2 des Grundgesetzes darstelle. Seither gilt, daß nur die Anwendung physischer Gewalt zu einer Strafbarkeit wegen Nötigung führt.

Der Bundesgerichtshof (BGH) hat die Vorgabe des BVerfG und damit die nötige Klarheit wieder unterlaufen, indem er zu dem eigenartigen Ergebnis kam, daß bei der Blockade mehrerer Fahrzeuge doch eine Nötigung vorliege. In einem solchen Fall wirke zwar auf den Fahrer des ersten Fahrzeugs nur psychische Gewalt ein, was straflos sei. Aber die nachfolgenden Fahrzeuge würden von dem blockierten ersten Fahrzeug am Weiterfahren gehinderten werden. Darin liege, so der BGH, eine physische Gewalteinwirkung und somit eine strafbare Nötigung.

In einem Beschluß des Bundesverfassungsgerichts vom 24. Oktober 2001 wurde eine Verfassungsbeschwerde von Teilnehmern einer Blockade des Baugeländes der geplanten Wiederaufarbeitungsanlage (WAA) Wackersdorf zurückgewiesen. Die Blockierer waren wegen Nötigung verurteilt worden, nachdem sie sich mit Metallketten untereinander und an den Bauzaun angekettet und damit die auf der Baustelle Beschäftigten daran gehindert hatten, auf das Gelände zu fahren. Auch Sitzblockaden, verbunden mit Einhaken oder aktivem Widerstand gegen das Wegtragen, werden von den Gerichten immer noch als Nötigung angesehen.

Solange sie nicht verboten sind, können sich faschistische Parteien auf das Grundrecht auf Versammlungsfreiheit nach Artikel 5 Absatz 1 Grundgesetz berufen. Doch eine Partei wie die NPD müsse eine kritische Auseinandersetzung mit ihrem Agieren hinnehmen, meint der stellvertretende Landesvorsitzender der SPD in Mecklenburg-Vorpommern, Professor Bodo Wiegand-Hoffmeister, in einer vom Internetportal Endstation-rechts.de veröffentlichten Debatte über die Zulässigkeit von Blockaden gegen einen Neonaziaufmarsch am 1. Mai in Rostock. Einen »Aufruf zu einer passiven, friedlichen Blockade, die eine rechtsextremistische Versammlung behindert oder erschwert«, hält der Jurist nach Maßgabe von Artikel 5 Absatz1 Grundgesetz ausdrücklich für zulässig.

Unabhängig von der jeweiligen Rechtsprechung gibt es eine moralische Legitimität, den Feinden der Freiheit keinen Raum für ihre Aufmärsche zu gewähren. In Dresden zielte die Strategie der Antifaschisten nicht darauf, die Neonazis in der direkten physischen Konfrontation zu stoppen. Vielmehr wurde die Polizei durch die massenhafte Beteiligung an den antifaschistischen Blockaden dazu bewegt, ihrerseits den Demonstrationszug der Neofaschisten zu untersagen.