Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) wird am heutigen Dienstag erneut zum Kampf gegen »linken Extremismus« aufrufen. Anlaß ist die Polizeiliche Kriminalstatistik für das Jahr 2009, die auf einer Pressekonferenz vorgestellt wird. De Maizière werde »vor allem über die Linksextremen reden«, meldete das Magazin Spiegel bereits gestern. Die Zahlen, die der Minister vorlegt, sind schon vor zwei Monaten bekannt geworden. Dennoch werden konservative Medien und Politiker sie aufgreifen, um zum verstärkten Kampf gegen links zu rufen. Der Tenor des »politischen« Kapitels der Kriminalstatistik lautet: Die Linken werden immer gewalttätiger und sogar schlimmer als die Neonazis. Die Darlegungen feuerten die teils hysterische Berichterstattung über »linke Gewalt« vor dem 1. Mai kräftig an.
Zwar gehen die meisten, als politisch motiviert registrierten Straftaten weiterhin auf das Konto von Neonazis: Mit 19486 Delikten sank ihre Anzahl nur leicht. Als linksmotiviert gelten 9375 Straftaten, was einem Anstieg um rund 39 Prozent entspricht. Erstmals übersteigen aber die Linken zugeschriebenen Gewalttaten jene der Nazis: Hier ein Plus von 53 Prozent auf 1822, dort ein Minus von 14 Prozent auf 959.
Zu den linken Gewalttaten werden pauschal Angriffe auf Polizeibeamte gezählt, ohne zwischen passivem und aktivem Widerstand gegen eine Festnahme zu unterscheiden. Auch »Brandstiftungen« und Fälle von Landfriedensbruch werden aufgezählt, obwohl bei größeren Krawallen wie etwa am 1. Mai die meisten Tatverdächtigen nicht aus politischen Motiven heraus handeln, sondern betrunken auf »Erlebnissuche« sind. Was bei de Maizières Betrachtung ebenfalls herausfällt, ist der Umstand, daß antifaschistische Blockaden gegen Neonazis häufig als Straftat gewertet werden, und der Widerstand gegen die Räumung als Gewalttat.
Die wirkliche Sorge der Herrschenden hat der Innenminister schon bei der Erstvorstellung des Zahlenwerks formuliert: Daß »die gewaltbereite linke Szene ihre Aktionen mit Themen in einen Zusammenhang stellt, die auch Teile der friedliebenden Bevölkerung bewegen«. Der Spiegel zitiert einen Hamburger Verfassungsschützer mit den Worten, man hätte »angesichts der wirtschaftlichen und sozialen Probleme« schon vor fünf Jahren »mit mehr extremistischer Gewalt rechnen müssen.« Dahinter steht die Angst, die friedliche Bevölkerung könnte sich in Zukunft mit mehr Nachdruck als bisher dagegen wehren, daß sie für die Kosten der neoliberalen Politik aufkommen soll. Deswegen wird alles, was auch nur ansatzweise nach sozialen Unruhen aussieht, als »extremistisch« diffamiert. Protest gegen Mieterhöhungen, Kriegseinsätze und Verarmung wird mit Neonazi-Verbrechen in einen Topf geworfen. De Maizières Kriminalstatistik ist ein Baustein in diesem Diffamierungskonzept.