Rede zu TOP 19 der 40. Sitzung des 17. Deutschen Bundestages, Beratung von Anträgen der LINKE (17/784) und der Grünen für einen Abschiebestop in den Kosovo
DIE LINKE hat sich bereits in der letzten Wahlperiode für einen Abschiebestopp und ein Bleiberecht insbesondere für die Roma aus dem Kosovo eingesetzt – und zwar noch bevor die Massenabschiebungen von Roma aufgenommen wurden. Leider vergeblich.
Inzwischen gibt es für das Thema eine weitaus größere und vor allem kritische Öffentlichkeit, so dass wir die Zeit gekommen sehen, die Forderung nach einem Bleiberecht für die Roma aus dem Kosovo erneut in den Bundestag einzubringen. Wir erhoffen uns zum jetzigen Zeitpunkt eine andere und ernsthafte Debatte zum Thema.
Am 12. April dieses Jahres besiegelten die Regierungen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Kosovo endgültig die Abschiebung von mindestens 10.000 Roma in den Kosovo. Weitere 4.000 Menschen, darunter viele Ashkali und auch Serben aus mehrheitlich von Albanern bewohnten Gebieten, müssen nun ebenfalls verstärkt mit ihrer Abschiebung rechnen.
Diese mehr als 14.000 Menschen werden nach langjährigem Aufenthalt in Deutschland aus ihren sozialen Beziehungen gerissen, die sie sich hier aufgebaut haben. Es werden Kinder abgeschoben, die in Deutschland geboren sind und dieses Land als ihre Heimat ansehen. Es werden Alte und Kranke in medizinische Unterversorgung und damit in den Tod abgeschoben. Für viele, die von ihrer erzwungenen Flucht vor zehn Jahren noch traumatisiert sind, bedeutet die Abschiebung eine Art zweiter Vertreibung, mit allen psychologischen Folgen. All dies ist hinlänglich bekannt. Es gibt eine Vielzahl von Studien und Berichten von Nichtregierungsorganisationen, der OSZE, dem UNHCR, dem Menschenrechtskommissar des Europarats usw. über die schlimme Situation gerade der Minderheitenangehörigen, der Roma, Ashkali und Ägypter, im Kosovo. Es gibt eine Legion an Berichten von engagierten Journalistinnen und Journalisten, die das unerträgliche Schicksal von Abgeschobenen für Zeitungen, Radio und Fernsehen dokumentiert haben. Als Teilnehmerin einer Delegation des Bundestagsinnenausschusses, die vom 12. bis 14. April im Kosovo war, konnte ich mich mit eigenen Augen von der völligen Perspektivlosigkeit überzeugen, in die Roma aus Deutschland abgeschoben werden. Die Wirtschaft des Landes liegt völlig am Boden und Roma sind von der allgemein immens hohen Arbeitslosigkeit durch rassistische Ausgrenzung in besonderem Maße betroffen.
Wir als Linke stehen mit unserer Forderung nach einem Bleiberecht für diese Menschen nicht allein. Die Migrationskommission der Deutschen Bischofskonferenz hat in einer Pressemitteilung davor gewarnt, Menschen in „unsichere und unwürdige Verhältnisse“ abzuschieben. Ich will an dieser Stelle auch gern auf den Osterappell 2010 verweisen, der vor Abschiebungen in den Kosovo warnt und eine humanitäre Aufenthaltsregelung für Roma aus dem Kosovo fordert. Wie bereits im Jahr 2000 haben sich unter anderem eine Reihe aktiver oder ehemaliger Abgeordneter fraktionenübergreifend gegen die Abschiebung von Roma gewendet, darunter Dr. Herrmann Otto Solms, Prof. Dr. Schwarz-Schilling, Claudia Roth, Barbara Lochbihler und viele andere (siehe http://www.proasyl.de/fileadmin/fm-dam/NEWS/2010/Oster-Appell_2010.pdf). Ich will daraus eine Passage zitieren, die mir besonders am Herzen liegt:
„Deutschlands historische Verantwortung gegenüber den Roma kann sich nicht allein in historischen Gedenkveranstaltungen erschöpfen. Deutschland hat sich zur historischen Verantwortung für den Holocaust an den Juden bekannt und praktische Maßnahmen wie ausländerrechtliche Sonderregelungen in diesem Zusammenhang ergriffen; siehe zum Beispiel die gesetzliche Regelung für jüdische Kontingentflüchtlinge. Gegenüber den Roma scheint die historische Verantwortung in der Praxis keinerlei Niederschlag zu finden. Wie anders lässt es sich erklären, dass routinemäßig Roma und darunter auch Alte, Kranke, Kinder und Jugendliche jetzt in den Kosovo abgeschoben werden, ohne dass politisch Verantwortliche gegenüber solchen Maßnahmen Einhalt gebieten und unserer Verantwortung gegenüber den Roma gerecht werden?“
Diese Frage kann ich nur an jene weiterreichen, die sich hier im parlamentarischen Raum verweigern, unverantwortlichen Abschiebungen Einhalt zu gebieten und jede humanitäre und historische Verantwortung von sich weisen. Ich bin auf Ihre Antworten in der weiteren parlamentarischen Beratung gespannt.
Wir sollen uns alle klar machen, welche vielleicht einmalige Chance sich uns als Bundestag bei diesem Thema bietet: Die Schuld, die Deutschland durch die systematische Ermordung von 500.000 Roma und Sinti auf sich geladen hat, ist niemals und durch nichts „wieder gut“ zu machen. Aber wir haben die Chance, und meines Erachtens nach auch die Verpflichtung, einigen Tausend Roma-Familien, die seit Jahren unter uns leben, die Perspektive einer sicheren Zukunft ohne Angst und eines gleichberechtigten Zugangs zu Bildung und Arbeit zu geben. Schieben wir sie jedoch ab, bringen wir diese Menschen sehenden Auges in eine ausweglose Notlage, in existenzielle Armut und systematische Diskriminierung. Wir zerstören die Zukunft dieser Menschen, insbesondere der Kinder.
Das wäre meines Erachtens unverantwortlich und historisch und moralisch gesehen ein großes Versagen des Deutschen Bundestages.