Linke Chaoten bedrohen Leib und Leben, gerade von Polizisten. Das ist der Tenor einer seit letztem Jahr von konservativen Innenpolitikern und Medien hochgeschaukelten Debatte mit dem Ziel drastischer Gesetzesverschärfungen. Die CDU/CSU fordert einen eigenen Straftatbestand »Angriffe auf Polizeibeamte«. Ihr Innenpolitiker Wolfgang Bosbach rief nach dem »Bölleranschlag« auf der Berliner Krisendemo am 12. Juni gar nach einer Überarbeitung des Landfriedensbruch-Paragraphen, damit künftig sämtliche Teilnehmer einer Protestaktion, aus der heraus eine Minderheit Straftaten begeht, bestraft werden können.
Die Linksfraktion im Bundestag wollte es genauer wissen und hat sich bei der Regierung in einer Kleinen Anfrage nach konkreten Zahlen erkundigt. Und siehe da: Trotz des Kampagnencharakters der Warnungen vor einem Anstieg »linker« Straftaten gibt es keinerlei verbindliche Statistik, die diesen Anstieg belegt. Statt dessen gibt es eine Vielzahl unterschiedlicher Statistiken, die miteinander nicht kombinierbar sind.
Da ist zum einen das Zahlenwerk zur »Politisch motivierten Kriminalität« (PMK). Sie erfaßt den ersten Anfangsverdacht einer politisch motivierten Straftat, und zwar unabhängig davon, ob sich der Verdacht später erhärtet oder nicht, und selbst dann, wenn die Ermittlungen gleich wieder eingestellt werden. Die Polizeiliche Kriminalstatistik (PKS) wiederum verzeichnet sämtliche, also auch »unpolitische«, Straftaten – aber erst nach Abschluß der Ermittlungen und nur, wenn die Akten tatsächlich an die Staatsanwaltschaft oder die Gerichte gehen. Angaben über Verurteilungen oder Strafbefehle sind darin nicht enthalten. Diese Angaben enthält die Strafverfolgungsstatistik des Statistischen Bundesamtes, die Verurteilungen nach dem Zeitpunkt des gerichtlichen Verfahrensabschlusses aufführt. Diese Statistiken könnte man theoretisch nebeneinander legen, um zu sinnvollen Aussagen zu kommen – aber nur, wenn sie auf gleichen Kriterien basieren würden, was aber nicht der Fall ist.
So gibt es bei der PKS keine einheitlichen Erfassungskriterien der Bundesländer etwa zu Widerstandshandlungen gegen Polizeibeamte. Erst ab dem Berichtsjahr 2010 sollen Erkenntnisse zu Tatumständen, Tatmitteln, Einsatzsituationen, Anlässen, Tatfolgen und Tatverdächtigen vereinheitlicht werden. Außerdem erfassen die polizeilichen Statistiken nur denjenigen Straftatbestand, der nach dem Gesetz die höchste Strafandrohung aufweist, auch wenn später vor Gericht möglicherweise ein Angeklagter statt für Körperverletzung nur wegen Widerstandes bestraft wird.
Brennende Autos
Als Beweis für die angeblich rapide ansteigende linke Gewalt müssen immer wieder brennende Pkw insbesondere in Berlin und Hamburg herhalten. Doch selbst die Polizei nennt verschiedenste Motive bei Pkw-Brandstiftungen: Versicherungsbetrug, Eifersucht, Trunkenheit. In diesem Jahr brannten in Berlin 97 Pkw, in nur 16 Fällen gehen die Sicherheitsbehörden von politisch motivierten Straftaten aus. 2008 wurden bundesweit 120 und 2009 232 Kfz-Brandstiftungen als politisch motiviert gewertet, davon die Mehrzahl als linksmotiviert. Wie die Länderpolizeien zu diesen Einstufungen kommen, ist unklar, denn Bekennerschreiben gibt es kaum, und statistisch erfaßt werden diese gar nicht.
Eine seriöse Analyse müßte zudem die »politischen« Autobrandstiftungen, wie sie in der PMK erfaßt werden, mit der Gesamtzahl vergleichen, also auch mit den »unpolitischen« Taten. Doch das geht nicht, weil die Polizeiliche Kriminalstatistik nur die Gesamtheit der Brandstiftungen aufzählt, dabei aber nicht nach Immobilien oder Autos unterscheidet.
Im Jahr 2008 wurden bundesweit gerade einmal sieben und im folgenden Jahr 17 Tatverdächtige (!) von Kfz-Brandstiftungen mit »linkem« Hintergrund ermittelt. Das sagt die PMK-Statistik, die aber keine Aussagen zu Verurteilungen enthält. Diese gäbe es in der Strafverfolgungsstatistik, die aber wiederum nicht nach den Zielen der Brandstiftung differenziert. »Valide Informationen zur Zahl der ›Verurteilungen von Autobrandstiftern‹ liegen daher nicht vor«, muß die Bundesregierung zugeben, und um Verwirrung vorzubeugen, sei hinzugefügt: Dies gilt für »politische« wie für »unpolitische« Autobrandstiftungen gleichermaßen.
So fand die von der Boulevardpresse als »Feuer-Chaotin« (BZ) vorverurteilte 21jährige Alexandra R. Eingang in die Statistik der Tatverdächtigen, obwohl sie nach fünfmonatiger Untersuchungshaft im Dezember 2009 in Berlin erstinstanzlich vom Vorwurf der Autobrandstiftung freigesprochen wurde. Ähnlich erging es anderen Verdächtigen, die nach mehrmonatiger Untersuchungshaft freigesprochen wurden. Die Staatsanwaltschaft steht unter hohem, zweifellos politisch motiviertem, Handlungsdruck, dennoch wurde 2009 und in der ersten Hälfte 2010 zumindest in Berlin kein einziger politisch links motivierter Autobrandstifter verurteilt.
Gewalt gegen Polizisten
Ende Mai 2010 hat der Direktor des Kriminologischen Forschungsinstituts Niedersachsen, Christian Pfeiffer, eine Studie zur Gewalt gegen Polizisten vorgelegt, mit der die Unionsseite ebenfalls ihre repressiven Forderungen begründen will. Allerdings hat die Studie gravierende Mängel, die Pfeiffer auch selbst benennt. So beruht sie auf der Auswertung eines Online-Fragebogens, der lediglich subjektive Selbstauskünfte abfragte. Beteiligt haben sich 21000 Polizisten, darunter überwiegend junge, im »Einsatz auf der Straße« stehende. Die Zahl von Beamten, die nach Angriffen mindestens eine Woche dienstunfähig gewesen sei, habe zwischen 2005 und 2009 um mindestens 60 Prozent zugenommen. Allerdings handelt es sich hier um einen Anstieg auf niedrigem Niveau von 203 auf 325 Fälle. Die Hauptbetroffenen von Gewalt sind nicht die gut ausgerüsteten Beamten der auch bei Demonstrationen eingesetzten Sondereinheiten, sondern normale Streifenpolizisten. Der Großteil dieser Angriffe ereignet sich laut Studie bei Festnahmen, Demonstrationen machen rund acht Prozent aus, drei Viertel davon wiederum gehen angeblich auf das Konto linker Demonstranten.
Zwar zeigt auch die PMK-links-Statistik einen Anstieg von Körperverletzungen an Polizeibeamten von 212 auf 440. Eingeschlossen sind darin Widerstandshandlungen, wenn diese geeignet waren, einen Beamten zu verletzen, etwa bei der Abwehr einer Festnahme. Eine tatsächliche Verletzung des Beamten muß nicht vorliegen. Daneben verzeichnet die Bundesregierung für das Jahr 2009 gerade einmal 259 Widerstandshandlungen gegen Vollzugsbeamte, die sie Linken zurechnet. Angesichts von insgesamt 25401 laut PKS angezeigten Verstößen zeigt dies keine besondere Gefährlichkeit der linken Szene. Ohnehin ist es gängige Praxis, daß die Polizei schon bei passiver Resistenz Anzeigen wegen Widerstands stellt. Was völlig fehlt, ist eine genauere Aufschlüsselung der Widerstandshandlungen: Ob sie bei Festnahmen erfolgten, oder im Zusammenhang mit Protesten gegen Naziaufmärsche. Denn wenn Antifaschisten mit passivem Widerstand faschistische Aufmärsche blockieren und sich der polizeilichen Räumung widersetzen, schlägt sich dies in der Statistik zu Lasten der Linken nieder. Von Widerstandshandlungen, die durch gewalttätige Polizisten erst provoziert werden, weiß die Statistik ohnehin nichts.
Aus all dem zeigt sich: Statistiken über einen Anstieg linker Gewalt sind sehr differenziert zu betrachten. Die Zielrichtung ist klar. Das von den Medien aufgebaute Gespenst des »Steine schmeißenden Autonomen« dient nur als Buhmann. Denn vor allem wollen die Staatsorgane gerüstet sein angesichts einer zunehmenden sozialen Polarisierung, wenn die Folgen der Wirtschaftskrise allgemein spürbar werden. Wenn sich Hartz-IV-Empfänger gegen Zwangsumzüge oder Arbeitspflicht wehren, Gewerkschafter gegen Massenentlassungen protestieren oder es tatsächlich einmal zu den vielbeschworenen »sozialen Unruhen« kommt, dann wollen die Herrschenden über das nötige gesetzliche Abschreckungsinstrumentarium verfügen.