Rede zum TOP 16 der 49. Sitzung des 17. Deutschen Bundestages am 17. Juni 2010 – Beratung des Gesetzentwurfs der Fraktion Die Grünen zur Aufhebung des Asylbewerberleistungsgesetzes
Das Asylbewerberleistungsgesetz wurde 1993 beschlossen, um Asylbewerber von einer Flucht nach Deutschland abzuschrecken. Es war Teil des so genannten „Asyl-Kompromisses“, also der faktischen Abschaffung des Rechts auf Asyl in Deutschland. Dieses Gesetz arbeitet mit der Unterstellung, Asylbewerber kämen ohnehin nur wegen des Bezugs von Sozialleistungen nach Deutschland. Es bedient rassistische Vorstellungen von vermeintlichen Wirtschaftsflüchtlingen und Sozialschmarotzern, gegen die sich Deutschland endlich zur Wehr setzen müsse. Und es wurde noch ein weiteres Argument ins Feld geführt. Da die Betroffenen ja sowieso nur kurze Zeit in Deutschland bleiben würden, bräuchten sie auch nur das allernötigste zum Leben. Die verringerten Sozialleistungen sollen auch eine Integration in die Gesellschaft verhindern.
Dieses Gesetz ist nicht nur in seinen Grundannahmen rassistisch, es befördert auch Rassismus in der Gesellschaft. Denn in diesem Gesetz ist auch die Unterbringung von Asylbewerbern in Wohnheimen geregelt. Damit trägt dieses Gesetz zur Stigmatisierung von Asylsuchenden aktiv bei. Sie werden zum leichten Ziel für rassistische Attacken von Pöbeleien bis hin zu gewalttätigen Angriffen. Die Serie von Brandanschlägen auf Asylbewerberunterkünfte zu Beginn der neunziger Jahre hat dies auf erschreckende Art vor Augen geführt.
Der größte Skandal an diesem gesamten Gesetz ist aber, dass hier eine ganze Menschengruppe allein aufgrund ihrer Herkunft und ihres Aufenthaltsstatus weit unter dem Existenzminimum vegetieren muss. Sie erhalten nur 60% des Satzes, den Empfänger von Hartz IV-Empfänger erhalten. Zudem gilt das diskriminierende Sachleistungsprinzip, neben der Unterbringung in Wohnheimen bedeutet das Ausgabe von Kleidung und Nahrungsmittelpaketen oder Gutscheinen. Damit wird diesen Menschen jede Möglichkeit genommen, selbst zu bestimmen was sie essen und welche Kleidung sie tragen.
Und das nicht nur vorübergehend. Zuletzt hat die Koalition aus SPD und Union das Gesetz dahingehend geändert, dass die Betroffenen nun vier Jahre lang unter dieses Sonderregime fallen. Vier Jahre, in denen keine Integration dieser Menschen stattfinden soll. Vier Jahre, in denen sie übrigens auch nicht durch eigene Arbeitsleistung ihre Situation verbessern können, weil sie einem Arbeitsverbot unterliegen. Wir alle wissen, wie schwer es für Langzeitarbeitslose ist, wieder in das Berufsleben einzusteigen. Bei diesen Menschen kommen noch sprachliche Schwierigkeiten hinzu, Sprachkurse und ähnliches können sie ja nicht besuchen.
Dieses Gesetz dient also der systematischen Ausgrenzung von Asylsuchenden und geduldeten Flüchtlingen, so weit sie auch unter die Regelungen des Gesetzes fallen. Es zielt darauf, eine Integration dieser Menschen zu verhindern, und das Abschreckungspotential dieser Regelungen aufrechtzuerhalten.
Das Asylbewerberleistungsgesetz verletzt eklatant das Recht jedes Menschen auf ein Leben in Würde. Diese und alle vorhergehenden Bundesregierungen stellen dieses Menschenrecht unter einen Kostenvorbehalt. Der Parlamentarische Staatssekretär im Bundesinnenministerium, Ole Schröder, hat zu Beginn dieser Woche bei einem Symposium des UN-Flüchtlingshilfswerks weiteren Widerstand Deutschlands gegen neue EU-Regelungen angekündigt, Asylbewerber und Bezieher von Sozialleistungen gleichzustellen. Selbst Verbesserungen beim Zugang zum Arbeitsmarkt werden von dieser Bundesregierung abgelehnt.
Die Bundesregierung ignoriert dabei im Übrigen das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zur Festlegung der Hartz IV-Sätzen für Kinder. Das Gericht hat den Gesetzgeber aufgefordert, ein transparentes und sachgerechtes Verfahren zur realitätsgerechten Bedarfsermittlung zu wählen. Das betrifft Asylbewerber ganz offensichtlich genauso wie die Kinder von Hartz IV-Empfängern. Denn in diesem Fall hat der Gesetzgeber einfach mal vor 18 Jahren einen Regelsatz festgeschrieben. Der Bedarf wurde also nicht ermittelt, sondern schlicht politisch festgelegt. Und noch darüber hinaus wurde er niemals erhöht, sondern statt dessen die Bezugsdauer immer weiter ausgedehnt. Legt man die Maßstäbe des Bundesverfassungsgerichts in dem genannten Urteil an das Asylbewerberleistungsgesetz an, ist vollkommen klar: dieses Gesetz ist verfassungswidrig und muss endlich abgeschafft werden.
zu Protokoll gegebene Rede