Teilerfolg in Bayern
Scharfe Auseinandersetzungen gab es bislang insbesondere um das im Juli 2008 kurz vor den Landtagswahlen von der damaligen CSU-Landtagsmehrheit beschlossene Versammlungsgesetz in Bayern. Gegen dieses Regelwerk, das massivste Einschränkungen der Versammlungsfreiheit enthielt, hatte sich ein breites Bündnis aus SPD, Grünen, FDP und Linkspartei, dem DGB, den Gewerkschaften GEW und ver.di, der Humanistischen Union, dem Bund Naturschutz, ATTAC und weiteren Verbänden gebildet, das mehrere Großdemonstrationen und eine Vielzahl von Aktivitäten durchführte. In einer einstweiligen Anordnung hatte das Bundesverfassungsgericht am 17. Februar 2009 bereits zahlreiche Vorschriften des neuen Gesetzes außer Kraft gesetzt, da sie gegen Artikel 8 (Versammlungsfreiheit) des Grundgesetzes verstießen. Unter dem Druck dieser Entscheidung konnte die FDP nach dem Eintritt in die bayerische Regierungskoalition 14 Regelungen aus dem ursprünglichen CSU-Versammlungsgesetz ganz streichen und 30 weitere ändern. Besonders schikanöse und unbestimmte Vorschriften des alten Textes wurden entschärft und der staatlichen Kontroll- und Datensammelwut gewisse Grenzen gesetzt.
Geist des Polizeirechts
Als das »freiheitlichste Versammlungsrecht auf deutschem Boden« und »Vorbild für andere Bundesländer« feierte die bayerische FDP das im Juni im Freistaat in Kraft getretene neue Versammlungsgesetz. SPD und Grüne stimmten im Landtag dennoch dagegen. Weiterhin atme das Gesetz »den Geist des Polizeirechts«, kritisierte SPD-Rechtsexperte Franz Schindler. Demonstrationen würden als »Gefahr« gesehen.
Wurde die Neufassung von der CSU-Alleinregierung noch mit dem Kampf gegen Neonazis gerechtfertigt, so laufen friedliche Bürger, die seit Jahren z.B. gegen die regelmäßigen Aufmärsche von Faschisten in der fränkischen Kleinstadt Gräfenberg auf die Straße gehen, jetzt eher Gefahr, sich strafbar zu machen. Schon bei Straftaten Einzelner droht früher als zuvor die Auflösung der Demo. Nun ohne die FDP hält das aus 13 Gewerkschaften, Parteien und Verbänden bestehende Bündnis an seiner Verfassungsbeschwerde gegen das Bayerische Versammlungsgesetz fest.
»Es geht um die Freiheit der selbstbewußten Bürger, die mehr denn je auf die ›Pressefreiheit des kleinen Mannes‹ angewiesen sind. Die in Artikel 8 des Grundgesetzes garantierte Versammlungsfreiheit ist für unsere Demokratie schlechthin konstituierend«, erklärten die Beschwerdeführer Klaus Hahnzog und Hartmut Wächtler. Auch das neue Gesetz regle viele Sachverhalte übermäßig und richte bürokratische Hürden für die Bürger bei der Ausübung ihres Grundrechts auf. Bereits ein Treffen von zwei Personen ist nun eine anzeige- und meldepflichtige Veranstaltung.
Die Anzeige- und Meldepflichten gelten auch für Arbeitskämpfe und Streikposten, soweit die Öffentlichkeit beispielsweise durch Flugblattverteilungen oder Transparente informiert werden soll. »Es besteht die Gefahr, daß der Staat in Tarifauseinandersetzungen hineingezogen und der notwendige Überraschungseffekt von Warnstreiks hinfällig wird«, warnen Hahnzog und Wächtler. Zwar darf der Staat nicht mehr heimlich mithören und filmen, aber weiterhin offen und damit die Versammlungsteilnehmer einschüchtern. Ausgedehnte Vorschriften gegen sogenannte »Schutzwaffen« und »Vermummung« ermöglichen bereits die Kriminalisierung von Schals und Sonnenbrillen. Weiterhin enthält das Gesetz zudem ein schwammig formuliertes »Militanzverbot«. Schon weil Länder wie Baden-Württemberg und Niedersachsen sich bei der Neufassung des Versammlungsgesetzes am bayerischen Beispiel orientieren, hoffen die Kläger auf eine Klärung durch das laufende Verfahren in Karlsruhe.
Gleichsetzung
In Sachsen legte die CDU-FDP-Landesregierung kein eigenes neues Gesetz vor, sondern erklärte das Bundesversammlungsgesetz zu Landesrecht, ergänzte diesen jedoch mit Regelungen zur Beschränkung oder mit dem Verbot von Versammlungen unter freiem Himmel. Paragraph 15 Abs. 2 des Sächsischen Versammlungsgesetzes erlaubt eine Einschränkung der Versammlungsfreiheit dann, wenn die angemeldete Aktion an einem »Ort von historisch herausragender Bedeutung« stattfindet und zu befürchten ist, daß die Versammlung die »Würde von Personen beeinträchtigt«. Als solche »Orte von historisch herausragender Bedeutung« werden Stellen definiert, »an denen Menschen unter nationalsozialistischer oder kommunistischer Herrschaft Opfer menschenunwürdiger Behandlung waren, an denen Menschen Widerstand gegen nationalsozialistische oder kommunistische Gewaltherrschaft geleistet haben«.
Eine Beeinträchtigung der Würde von Personen findet demnach auch statt, wenn eine Versammlung »Organe oder Vertreter der nationalsozialistischen oder kommunistischen Gewaltherrschaft als vorbildlich oder ehrenhaft darstellt«. Mit der faktischen Gleichsetzung von nationalsozialistischer Diktatur und »kommunistischer Gewaltherrschaft« würde die unter Wissenschaftlern heftig umstrittenen Thesen der Totalitarismustheorie praktisch zu gesetzlichen Eingriffsinstrumentarien im Versammlungsrecht erhoben, kritisiert der rechtspolitische Sprecher der Linksfraktion im sächsischen Landtag, Klaus Bartl.
Strafrechtsverschärfungen
Unter Verweis auf einen angeblich massiven Anstieg linksradikaler Gewalt, der sich durch die vorliegenden Kriminalitätsstatistiken keineswesg verifizieren läßt, fordern Unionspolitiker Strafrechtsverschärfungen bei Angriffen auf die Polizei.
In einer von den Regierungsfraktionen beantragten Aktuellen Stunde zur »linksextremen Gewalt« sprach sich der Vorsitzende des Bundestagsinnenausschusses, Wolfgang Bosbach (CDU), dafür aus, »den strafrechtlichen Schutz von Polizisten« zu verbessern. Dafür solle nicht nur– wie bereits durch die Koalition geplant– der Paragraph 113 des Strafgesetzbuches (Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte) durch härte Strafandrohungen verschärft werden, sondern auch über eine Änderung des Landfriedensbruchsrechts nachgedacht werden. »Die, die man als Haupttäter ergriffen hatte, konnten nicht angeklagt und verurteilt werden, weil der ganze konkrete jeweilige Tatbeitrag – von wem stammte nun der Pflasterstein aus der gewaltbereiten Menge? – nicht geführt werden konnte. Daß das für die ermittelnden Polizeibeamten und die Kollegen; die zum Teil schwer verletzt wurden, ein traumatisches Erlebnis ist, kann man verstehen.«
Wo Bosbach sich vorerst noch mit Andeutungen begnügt, spricht die Deutsche Polizeigewerkschaft Klartext. Nach den »verheerenden Anschlägen« – gemeint waren von der Springerpresse zu »Splitterbomben« hochgespielte Böller auf der Berliner Krisendemo am 12.Juni, durch die mehrere Polizeibeamte angeblich verletzt wurden– forderte ihr Bundesvorsitzender Rainer Wendt eine Verschärfung der Strafrechtsbestimmung zum Landfriedensbruch. Diese solle sich gegen diejenigen richten, »die sich selbst für unbeteiligt halten, in Wahrheit aber schwere Straftaten erst ermöglichen, weil sie durch ihre Anwesenheit Fluchträume für Krawallmacher bieten.« Auch gegen diejenigen, die sich aus einer gewalttätigen Versammlung trotz Aufforderung durch die Polizei nicht entfernen, fordert Wendt polizeiliche Maßnahmen und »spürbare Strafen«. Weiterhin will Wendt Menschen, »die bereits durch schwere Straftaten im Zusammenhang mit Demonstrationen aufgefallen sind, frühzeitig aus dem Verkehr« ziehen und schlägt dazu eine Verlängerung des Unterbindungsgewahrsams vor.
Es ist zu befürchten, daß Polizeikreise, Verfassungsschützer und Unionsinnenpolitiker weiter Stimmung machen. So soll ein Klima erzeugt werden, in der die FDP, die sich bislang als Hüterin über das Justizressort gegen all zu scharfe Einschnitte in die Versammlungsfreiheit stellt, einknicken muß. Um so notwendiger ist es für die linken und demokratischen Kräfte im Land, den Mythos von der »linksradikalen Gewalt« zu demontieren und deutlich zu machen, daß die wirkliche Bedrohung der Freiheit von staatlichen Restriktionen, dem massiven Sozialabbau und gewalttätigen Neofaschisten ausgeht.