Unter der schwarz-gelben Bundesregierung ist die unwissenschaftliche Extremismusformel zum Programm geworden. Die bisherigen Projekte gegen rechts werden als Extremismusbekämpfungsprogramme fortgeführt, die sich auch gegen »Linksextremismus« einschließlich einer angeblichen Verklärung der DDR-Vergangenheit sowie »Islamismus« richten. Die mit dem Extremismusansatz betriebene Gleichsetzung von Neofaschisten, deren Gewaltakte in den letzten 20 Jahren rund 140 Menschenleben kosteten, mit Linken und Antifaschisten verharmlost Nazigewalt und ignoriert antidemokratisches, rassistisches Gedankengut in der selbsternannten Mitte der Gesellschaft. »Die normative Extremismusformel dient der gesellschaftlichen Isolierung abweichender Auffassungen«, heißt es im von Markus Mohr und Hartmut Rübner veröffentlichten Buch »Gegnerbestimmung – Sozialwissenschaft im Dienst der ›inneren Sicherheit‹«. »Es handelt sich um eine sowohl die Wissenschaft als auch die Medien einbeziehende ›Ausgrenzungsstrategie‹, die der sich in einer ›Schlüsselstellung‹ befindende VS [Verfassungsschutz] organisiert. Dafür will er möglichst breite Bevölkerungsbeteiligung gewinnen. Eine solche Ausgrenzungsstrategie durch öffentliche ›Ächtung‹ wird als ›erfolgreiche Alternative zum Parteienverbot‹ eingesetzt.« So dient der Extremismusvorwurf als wissenschaftlich verbrämte Argumentationshilfe zur Überwachung der Linkspartei, wie zuletzt das Bundesverwaltungsgericht im Falle von Bodo Ramelow deutlich machte. Schon die – vom Grundgesetz ausdrücklich gedeckte – Forderung nach Vergesellschaftung von Banken oder Energiekonzernen erhielt in Verfassungsschutzberichten den von Unions- und FDP-Politikern sowie der Presse bereitwillig aufgegriffenen Extremismusstempel.
Wie der Verfassungsschutz zur Verankerung des Extremismusansatzes als »diskursive Variante der streitbaren Demokratie« in der öffentlichen Meinung gezielt Wissenschaftler einbindet, zeigen Mohr und Rübner auf. Verfassungsschützer haben heute Lehraufträge an Universitäten, sie werden von Parteistiftungen als Experten zu Vorträgen geladen und treten an Schulen auf. So führt die Ruhr-Universität Bochum im Lebenslauf ihrer im Sommersemester 2010 zur »Geschichte des Anarchismus im 19.Jahrhundert« lehrenden Privatdozentin Tanja Puschnerat ganz offen deren Hauptberuf auf: »Seit Februar 2000 Referentin, seit November 2002 Referatsleiterin im Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) im Bereich ›Islamistischer Terrorismus und Islamismus‹. Seit Oktober 2007 Pressesprecherin des BfV.«
Eine nicht zu unterschätzende Rolle spielen die »inoffiziellen Mitarbeiter« des VS innerhalb der Extremismusforschung wie Eckhard Jesse und Uwe Backes vom Dresdner Hannah-Arendt-Institut für Totalitarismusforschung. Daß Backes kürzlich auf einer Tagung des »Bündnisses für Demokratie und Toleranz«, dessen Beirat er angehört, einen Vortrag über die angebliche Gefahr durch den Linksextremismus nahezu ausschließlich auf Angaben des Verfassungsschutzberichtes stützte, spricht nicht für einen wissenschaftlichen Anspruch, wohl aber für eine Nähe zu dieser Behörde, die mit großzügigen Abnahmen ihrerseits das von Jesse und Backes herausgegebene Jahrbuch »Extremismus und Demokratie« subventioniert.
Schon Kinder und Jugendliche werden von den Verfassungsschutzämtern zur Gegnerbestimmung geschult. Auf der Website des Bundesamtes für VS kann mit Leo Lupix, einem optisch eher an einen Sittenstrolch denn einen »Spezial-Agenten« erinnerndes Wesen auf Extremistenjagd im Berliner Untergrund gegangen werden, während der kleine Schulhofspießer »Andi« in einem Comic des NRW-VS tapfer die Freiheitlich Demokratische Grundordnung verteidigt. Der jugendliche Leser »lernt« darin, daß der Weg vom Punkkonzert im autonomen Zentrum zum brennenden Auto kurz ist und Neonazis und Autonome sich eigentlich gleichen.
»In den öffentlichen Meinungsdiskurs schaltet sich der VS ein, indem er eine gesellschaftliche Steuerungsfunktion an Schaltstellen staatlich-zivilgesellschaftlicher Kampagnenpolitik übernimmt. Er entscheidet im Auftrag der Innenministerien über die Ein- und Ausschlußkriterien für zivilgesellschaftliche Projekte«, so Mohr. Wie dies in der Praxis aussieht, zeigt das Beispiel der Antifaschistischen Informations-, Dokumentations- und Archivstelle a.i.d.a. aus München. Das mit Preisen ausgezeichnete und von der Stadt München unterstützte Projekt wurde im bayerischen Verfassungsschutzbericht 2008 ohne weiteren Beleg unter »sonstige Linksextremisten« aufgelistet. Anschließend erwirkte der Verfassungsschutz vom Bayerischen Jugendring die Aufkündigung der Zusammenarbeit mit der solchermaßen diffamierten Beratungsstelle. Nun ließ die Staatsregierung a.i.d.a. aus der Landeskoordinierungsstelle gegen Rechtsextremismus ausschließen, wodurch die Finanzierung einer Teilzeitstelle ausfiel. Schließlich entzog das Finanzamt dem Verein die Gemeinnützigkeit. Mit Verweis auf einige von der a.i.d.a.-Website gelegte Links zu Websites anderer, ebenfalls im Verfassungsschutzbericht gelisteter Gruppierungen erklärte das Verwaltungsgericht München im Juni dieses Jahres die Nennung von a.i.d.a. im Verfassungsschutzbericht für rechtens.
Schon als unkontrollierbare Spitzelbehörde, die auch vor kriminellen Aktionen nicht zurückschreckt und durch seine V-Leute maßgeblich für das Scheitern des NPD-Verbotsverfahrens zuständig ist, ist der Verfassungsschutz eine Gefahr für die Demokratie. Wenn ein Geheimdienst nun auch noch offen als Meinungsmacher- und Manipulator auftritt, sollten die Alarmglocken schrillen. Eine kritische Wissenschaft, die ihren Anspruch ernstnimmt, muß jede Zusammenarbeit mit den Schlapphüten ausschließen.
eschien in junge Welt 30.8.2010
Markus Mohr/Hartmut Rübner: Gegnerbestimmung – Sozialwissenschaft im Dienst der »inneren Sicherheit«. Unrast Verlag, Münster 2010, 288 Seiten, 16,80 Euro