Auf Einladung des Harman-Instituts in Erbil, dass sich der Aufarbeitung des Genozids an den Kurden widmet, war ich vom 21. bis 28. August eine Woche lang in der Region Kurdistan-Irak. Im Unterschied zum übrigen Irak gilt die kurdische Autonomieregion im Nordirak heute als weitgehend sicher, die Wirtschaft entwickelt sich, überall wird gebaut. Doch angesichts ungelöster Grenzfragen zur erdölreichen Region um Kirkuk und weiteren mehrheitlich kurdisch besiedelten Landesteilen außerhalb der Autonomieregion, grenzüberschreitender Militäroperationen der Türkei und des Iran, aber auch einer allgegenwärtigen Korruption und Vetternwirtschaft ist auch hier die Zukunft ungewiss.
Gleichzeitig sind die Wunden der Vergangenheit noch lange nicht verheilt. 1988 griff die irakische Luftwaffe die kurdische Stadt Halabja mit Giftgas an. 5000 Menschen kamen damals qualvoll zu Tode. Mehr als 10.000 Menschen erlitten schwerste Verletzungen. Der Angriff auf Halabja war nur eines von vielen Verbrechen des Baath-Regimes unter Saddam Hussein an der kurdischen Bevölkerung. Im Rahmen der sogenannten Anfal-Operationen wurde nachweislich an 40 weiteren Orten Giftgas gegen die Zivilbevölkerung eingesetzt. Nach Schätzungen von Menschenrechtsorganisationen wurden damals etwa 180.000 Menschen ermordet oder verschwanden spurlos. Ich habe die damaligen Orte des Grauens besichtigt und mit Überlebenden der Massaker sowie Vertretern der kurdischen Regionalregierung gesprochen. In Halabja habe ich am Mahnmal der Opfer des Giftgasangriffs gedacht, der erst durch deutsche Technologie ermöglicht wurde.
In einer Dokumentationsstelle in Dohuk werden die Namen der für die Aufrüstung des Irak unter Saddam Hussein verantwortlichen europäischen Unternehmen detailliert aufgezählt. 70 Prozent der Giftgasproduktionsanlagen im Irak stammten von 60 westdeutschen Firmen. Zur Rechenschaft gezogen wurde bislang keiner der deutschen Händler des Todes. Zwar wurde gegen 22 Beschuldigte aus zehn Unternehmen ermittelt. Doch obwohl die Bundesregierung seit 1984 durch die USA und den Bundesnachrichtendienst über die Rolle deutscher Firmen beim Bau der irakischen Giftgaslabore informiert war, wurden die Ermittlungen so lange verschleppt, bis sie in mehreren Fällen wegen Verjährung eingestellt werden musste. Gerade einmal drei Verantwortliche erhielten Bewährungsstrafen.
Bis heute leiden viele Menschen unter den physischen und psychischen Folgen der Angriffe. Bis heute haben sie oft keine angemessenen Häuser und nur schlechte gesundheitliche Versorgung. Und bis heute wurde von den deutschen Firmen keinerlei Entschädigungen für die Opfer ihrer mörderischen Technologie gezahlt.
Die Überlebenden fordern von der deutschen Regierung eine Entschuldigung. Sie fordern, dass die Händler des Todes endlich dafür zur Rechenschaft gezogen werden, dass sie für ihre Profite buchstäblich über Leichen gingen. Doch bis heute leugnet die Bundesregierung jegliche deutsche Verantwortung an den Giftgasangriffen von Halabja und während der Anfal-Operationen. Die alleinige Schuld trage die irakische Regierung, heißt es in der Antwort auf eine Kleine Anfrage der Fraktion DIE LINKE aus diesem Jahr.
Immer wieder wurde der dringende Wunsch an mich herangetragen, dass die internationale Gemeinschaft den Giftgasangriff auf Halabja und die Anfal-Operationen endlich als Völkermord anerkennt.
Die Opfer von Halabja und Anfal haben Gerechtigkeit verdient. Unterstützten wir sie dabei.
Von Ulla Jelpke