Das sächsische Landeskriminalamt (LKA) ordnet das antifaschistische Bündnis »Dresden nazifrei« offenbar als »kriminelle Vereinigung« ein. Das geht aus einem Vermerk im Zusammenhang mit einer Hausdurchsuchung am Abend des 19. Februar im Pressezentrum des Bündnisses hervor. »Dresden nazifrei« hatte die erfolgreichen Proteste gegen einen der größten Neonaziaufmärsche Europas an diesem Tag koordiniert.
Im Beschlagnahmeprotokoll wird als Grund der Polizeiaktion der Paragraph 129 des Strafgesetzbuches genannt (»Bildung krimineller Vereinigungen«). Das bestätigte der Berliner Anwalt Sven Richwin am Mittwoch gegenüber junge Welt. Ermittlungen nach diesem Paragraphen ermächtigen die Polizei zu weitreichenden Überwachungsmaßnahmen wie Observation und Telekommunikationsüberwachung gegen sämtliche »Angehörige« der betroffenen Vereinigung. Individuelle Straftaten brauchen ihnen nicht nachgewiesen zu werden. Die bloße Mitgliedschaft gilt bereits als Delikt. Für gewöhnlich richtet sich der Paragraph gegen Schmugglerbanden oder Kinderpornoringe.
Richwin zufolge geht aus den Unterlagen nicht hervor, seit wann das LKA Sachsen die Paragraph-129-Ermittlungen führt. Das Aktenzeichen zumindest wurde bereits im Oktober 2010 angelegt. Auch die Anzahl der betroffenen Personen ist derzeit unklar. Bei der Durchsuchung hatte die Polizei sämtliche Namen der anwesenden Personen aufgenommen. »Namen in die Hand zu bekommen«, sei auch das eigentliche Ziel der Aktion gewesen, vermutet Richwin.
Bei »Dresden nazifrei« handelt es sich nicht um eine »klassische« Antifaorganisation, sondern um ein breit aufgestelltes Bündnis, dessen Blockadevorbereitungen Unterstützung bis hin zu SPD-Politikern erfahren haben. Lars Laumeyer von der Antifaschistischen Linken Berlin (ALB) wertet den Vorwurf der »kriminellen Organisation« als Zeichen dafür, daß im erzkonservativen Sachsen kein Bürgerprotest gewollt werde: »Geduldet wird nur der Protest, der von oben organisiert wird. Was von der Basis kommt, wird kriminalisiert«, so Laumeyer gegenüber jW.
Unterdessen ist ein weiteres Gerichtsurteil ergangen, das antifaschistische Blockaden erschweren könnte. Das Verwaltungsgericht Weimar veröffentlichte am Dienstag ein bereits am 17. Februar ergangenes Urteil, demzufolge die Verhinderung eines Neonaziaufmarsches am 1. Mai 2010 in Erfurt rechtswidrig war. Der Aufmarsch mußte damals nach wenigen hundert Menschen stoppen, weil Gegendemonstranten die Straßen blockiert hatten. Dagegen hatte die NPD geklagt. Das Gericht warf der Polizei vor, sich nicht genügend auf die angekündigten Blockaden vorbereitet und es »rechtswidrig unterlassen« zu haben, diese aufzulösen. Die Einsatzplanung müsse darauf angelegt sein, »vorhersehbare Störungen einer durch das Grundgesetz geschützten Versammlung« – womit der rechte Aufmarsch gemeint ist – »effektiv bis an die Grenze des Möglichen und des rechtlich Zulässigen abzuwehren«, so das Gericht. Es schränkte allerdings ein, daß Neonaziaufmärsche »geradezu eine Herausforderung zu Gegenaktionen« seien. Sie zu schützen sei »keine unbegrenzte staatliche Verpflichtung«. Gegebenenfalls müßten den Rechten Auflagen etwa zur Wegstrecke oder zur Dauer erteilt werden, die es der Polizei besser ermöglichten, Störungen abzuwehren.