Gegen die schleichende Militarisierung der Innenpolitik

Gegen die schleichende Militarisierung in der deutschen Innenpolitik
Vortrag vor dem Rosa-Luxemburg-Club Oberhausen, 18. 5. 2011
(verschriftlichte Fassung)

Verteidigungsminister de Maizière hat heute die neue Wehrkonzeption vorgestellt. Darum wird es heute weniger gehen: Der Fokus liegt nicht auf dem Engagement gegen die Kriegspolitik der Bundesregierung nach außen, sondern auf Entwicklungen im Inland. Dies vor allem deswegen, weil hier m. E. zu wenig Aufmerksamkeit herrscht. Denn es gibt, auch wenn die Forderung nach Panzern im Straßenbild aktuell niemand erhebt, weiterhin Tendenzen, die Bundeswehr als Akteur in der Innenpolitik zu etablieren. Es gilt weiterhin, was Angela Merkel vor einigen Jahren auf der Münchner Sicherheitskonferenz gesagt hat: Der militärische Einsatz im Ausland – und den fordert natürlich auch das neue Papier von de Maizière – und der Einsatz im Inland sind zwei Seiten der gleichen Medaille.

Außerdem hat die Union die Pläne keineswegs grundsätzlich aufgegeben, und steht die Forderung nach einer „Ausweitung der verfassungsrechtlichen Rahmenbedingungen“, also nach Inlandseinsätzen, weiterhin im Weißbuch der Bundeswehr.
Zudem können wir beobachten, dass sich die Bundeswehr seit einigen Jahren auf dem Vormarsch befindet, um in der Gesellschaft eine immer wichtigere Rolle einzunehmen, und knapp unterhalb der Schwelle zur Verfassungsänderung sich immer mehr in die Innenpolitik einmischt. Die Stichworte heißen hier Zivil-Militärische Zusammenarbeit, Amtshilfe und Bundeswehr an der Schule.
Das Thema ist also weiterhin aktuell, und ich freue mich, dass der Rosa-Luxemburg-Club diesen Schwerpunkt für die heutige Veranstaltung gesetzt hat.

Bundeswehr im Inneren:

Ich will anfangs einen kurzen Rückblick auf die bisherigen Versuche von Inlandseinsätzen werfen, weil man sowas nach einigen Jahren allzu schnell wieder vergisst.
Der Aufhänger für entsprechende Forderungen waren die Anschläge vom 11. September 2001 in den USA. Es war ausgerechnet die SPD-Grünen-Regierung, die 2005 das sogenannte Luftsicherheitsgesetz eingeführt hat. Ich habe das immer „Flugzeugabschussgesetz“ genannt, weil es vorsah, dass ein Flugzeug, das im Verdacht stand, zum Instrument eines Terroranschlages zu werden, von der Bundeswehr abgeschossen werden könnte. Die Regelungen waren dabei sehr weitgehend und vage: Die Frage, wie man vom Boden aus eindeutig feststellen will, ob ein Flugzeug wirklich entführt wurde oder bloß der Funkkontakt ausfällt, blieb unentschieden, auch die Frage, wie man wirklich die Vorgänge im Flugzeug und die Absicht etwaiger Entführer feststellen will. Ein Jahr später hat das Bundesverfassungsgericht diese Abschussermächtigung aufgehoben und als Verstoß gegen das Menschenwürde-Gebot im Grundgesetz bezeichnet. Dabei hat es zum Teil sehr starke Worte gewählt, ich zitiere mal einen der stärksten Sätze: Es könne, (- Zitat Anfang) „anders als gelegentlich argumentiert wird – nicht angenommen werden, dass derjenige, der als Besatzungsmitglied oder Passagier ein Luftfahrzeug besteigt, mutmaßlich in dessen Abschuss und damit in die eigene Tötung einwilligt.“
Es heißt meiner Meinung nach schon einiges, wenn das Bundesverfassungsgericht der Bundesregierung in solchen Worten Bescheid stoßen muss; das verrät einiges über das Rechtsbewusstsein und das Menschenbild in der Regierung. Und das war, wie gesagt, damals eine „rot-grüne“ Regierung.
Die Große Koalition hat sofort gegen dieses Urteil rebelliert. Sowohl SPD als auch CDU/CSU fingen an, darüber nachzudenken, wie sie das Urteil umgehen und doch irgendwie die Bundeswehr im Inland scharf machen können. Insbesondere Wolfgang Schäuble, der damalige Innenminister, hat beinahe im Wochenabstand gefordert, dass Soldaten im Inland als Hilfspolizisten eingesetzt werden müssten – bei der Fußball-Weltmeisterschaft, zur Personen- und Gepäckkontrolle an Bahnhöfen und öffentlichen Plätzen usw. Die SPD hat sich bedeckt gehalten, aber Ende 2008 haben dann die damalige SPD-Justizministerin Brigitte Zypries und Schäuble einen gemeinsamen Entwurf für die Änderung des Grundgesetzes vorgestellt: Die Bundeswehr solle militärische Mittel einsetzen können, wenn es zur Abwehr eines „besonders schweren Unglücksfalls“ diene. Das ist im Rechtsbereich eine sehr unscharfe Formulierung: Normalerweise muss, bevor geschossen wird, wenigstens ein „unmittelbar bevorstehender“ Unglücksfall, also ein akuter Notfall, gegeben sein. Zudem sollte den Bundesländern, die eigentlich bei Maßnahmen der Amtshilfe oder Katastrophenabwehr das letzte Wort hatten, hier einfach eine Weisung erteilt werden, den Militäreinsatz zu unterstützen. Das hat dann allerdings den vereinten Widerstand der Länder hervorgerufen, weder CDU- noch SPD-regierte Länder wollten sich vom Militär in ihre Angelegenheiten hineinschießen lassen.

Seitdem ist das Projekt Verfassungsänderung auf die lange Bank geschoben worden.
Stattdessen, und das wird weithin unterschätzt, versucht die Bundeswehr, sich ohne Verfassungsänderung Schritt für Schritt als Ordnungsmacht im Inneren zu etablieren.
Sie schießt noch nicht, aber sie besetzt schon einmal die Positionen. Deutlich wird das vor allem bei der Zivil-Militärischen Zusammenarbeit. Ich will kurz erläutern, was ZMZ heißt:
Unter der Maßgabe, den Katastrophenschutz zu verbessern, hat die Bundeswehr in sämtlichen Regierungspräsidien, Landkreisen und kreisfreien Städten Deutschlands kleine Reservistenkommandos etabliert.
Das heißt: In jedem Bundesland gibt es ein sogenanntes Landeskommando, in dem einige Dutzend Soldaten arbeiten, um den Kontakt zu den zivilen Behörden aufrechtzuerhalten. Dazu kommen 31 Bezirksverbindungskommandos, die auf der Ebene der Regierungsbezirke eingerichtet sind. Auf der untersten Ebene, kreisfreie Städte oder Landkreise, gibt es insgesamt 410 Kreisverbindungskommandos. Darin wirken jeweils 12 Reservisten. Das sind also Freiwillige, die das praktisch nebenbei machen, ehrenamtlich, wenn man so will. Ihr Anführer, in der Militärsprache der „Beauftragte der Bundeswehr für Zivil-Militärische Zusammenarbeit“, sitzt im Katastrophenschutzstab der Kommunalverwaltung und ist gehalten, auch über Sitzungen und Übungen hinaus den engen Kontakt zu den zivilen Behörden zu halten. Tritt der Katastrophenfall ein, werden die Reservisten aktiviert.
Sinn der Sache soll sein, den Bedarf der zivilen Rettungskräfte nach Amtshilfe durch die Bundeswehr schneller zu bewältigen, also rascher abchecken zu können, wie viele Bergepanzer, Zelte, Decken usw. die Bundeswehr bereitstellen kann. Das hört sich unverdächtig an. Aber es drängen sich kritische Fragen auf:
– welchen Bedarf gibt es für diese neue Struktur überhaupt? War der Katastrophenschutz früher so ineffizient, dass es diese ZMZ wirklich braucht?
– und wer definiert den Begriff Katastrophe? Wir wissen ja, dass die Bundesregierung ausdrücklich auch die Abwehr von Terroranschlägen für eine Aufgabe des KatSchutzes hält.
DIE LINKE hat im Bundestag eine Menge Fragen dazu gestellt, und die Antworten waren alles andere als beruhigend. Zunächst heißt es, beim bisherigen KatSchutz seien keine gravierenden Mängel bekannt gewesen. Außerdem seien die alte und die neue Struktur des KatSchutzes nicht vergleichbar – die Frage, warum dann jetzt alles umgekrempelt werden muss, bleibt damit völlig offen.

Wichtig ist vor allem zu wissen: Anders als es in den Verlautbarungen meist heißt, geht es eben nicht nur um Katastrophenschutz. Erst diese Woche hat die Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage noch einmal bestätigt: der Rahmen, in dem die ZMZ sich bewegt, (- Zitat-) „begrenzt mögliche Hilfe- und Unterstützungsleistungen nicht auf den Bereich der Katastrophenhilfe, sondern gilt ebenso für Hilfeleistungen der Bundeswehr im Wege der Amtshilfe für die jeweils zuständigen Polizeibehörden, z. B. anlässlich von Großveranstaltungen.“
Und das ist sehr interessant: Hilfeleistungen der Bundeswehr für die Polizei – das heißt, Soldaten schwingen nicht selbst den Knüppel, aber sie tun alles, um der Polizei das Knüppelschwingen zu erleichtern. Und das heißt auch, dass sowohl Soldaten als auch Polizisten sich langsam an den Gedanken gewöhnen können, dass die Bundeswehr auch für die innere Sicherheit verantwortlich sei.

Welcher Art kann nun genau die „Hilfe“ durch die Bundeswehr sein?
Wir haben zum Beispiel gefragt, wie es eigentlich mit Demonstrationen aussieht, ob das auch Anlässe für die ZMZ sein können. Antwort: die Entscheidung, ob die Katastrophenschutzbehörden und damit die Bundeswehr bei Demonstrationen tätig würden, obliege den zuständigen Landesbehörden.
Weiter wollten wir wissen, wie es mit Streiks aussieht. Wir wissen ja alle, dass ein Streik für Kapitalisten grundsätzlich eine Katastrophe darstellt. ZMZ-Tätigkeiten bei Streiks im Transport-, Energie- oder Sanitätssektor sowie bei der Müllabfuhr seien, so hat die Bundesregierung geantwortet, dem „jeweiligen konkreten Einzelfall vorbehalten“.
Mit anderen Worten: Die Bundesregierung behält sich vor, Soldaten anlässlich von Demonstrationen, Streiks oder anderen Unruhen als eine Art Polizeireserve einzusetzen.
Was das bedeuten kann, das hatten wir ja beim G8-Gipfel im Jahr 2007 gesehen, als die Bundeswehr mit Kampfflugzeugen und Spähpanzern Demonstranten beobachtet hat. Diese Daten wurden dann an die Polizei gegeben, die auf dieser Grundlage ihre Einsatzplanung perfektionieren konnte. Damit war die Bundeswehr ganz klar als zusätzliche Ordnungsmacht im Inneren eingesetzt gewesen.

Ich will so kurz wie möglich die Knackpunkte zusammenfassen:
1. die Platzierung von Offizieren in zivilen Behörden bedeutet, dass die Bundeswehr regulär in den Rathäusern am Tisch sitzt. Wenn es bislang wirklich einen Katastrophenfall wie etwa Hochwasser gegeben hat, konnten auch schon Soldaten etwa zum Sandsackfüllen abkommandiert werden. Aber das haben die zivilen Behörden ad hoc entschieden. Was jetzt passiert, ist, dass die Mitsprache des Militärs in inneren Angelegenheiten regelrecht institutionalisiert wird. Damit wird die bisherige Ausnahme zur Regel gemacht. .
2. in den KatSchutz-Stäben sitzen Vertreter und Behörden, deren Kenntnisse unverzichtbar sind für den Fall, dass tatsächlich im Inland scharf geschossen wird. Denn in einem solchen Ernstfall ist die Bundeswehr darauf angewiesen, genau zu wissen, wie es um die Kapazitäten von Rettungsdiensten und Feuerwehr steht. Dann muss sie auch wissen, welche Kraftwerke und Fabriken in der Nähe sind, das gilt erst recht, wenn Streiks und Blockaden bekämpft werden sollen. Nicht zuletzt ist ja auch die Polizei im Katastrophenstab vertreten und kann dem Militär auf dem kurzen Dienstweg Informationen übermitteln – zum Beispiel über politisch besonders „verdächtige“ Personen, wenn etwa Demonstrationen usw. anstehen. Das meinte ich vorher mit dem Hinweis, die Bundeswehr beziehe schon mal die Positionen und fängt an, die nötigen Kontakte zu knüpfen.
3. Wie berechtigt unser Misstrauen ist, zeigt die konkrete Arbeit der ZMZ-Kommandos. Nur ungefähr die Hälfte ihrer Einsätze ist wirklich katastrophenbezogen, z. B. Vogelgrippe auf Rügen oder Schneeräumen in Bayern oder Hochwasserbekämpfung an Elbe und Oder. Es gibt wie gesagt keinen Hinweis, dass dies nicht auch möglich gewesen wäre ohne die ZMZ-Kommandos. Die andere Hälfte der Einsätze bezog sich auf sogenannte Großereignisse: Veranstaltungen wie die Love-Parade, Länderfestivals, NRW-Tag, aber natürlich auch der G8-Gipfel 2007 in Heiligendamm, der NATO-Gipfel 2009 und die Castor-Transporte. Da haben die ZMZ-Einheiten, Zitat Bundesregierung, „im Rahmen ihrer Beraterfunktion Hinweise auf die vorhandenen Potentiale der Bundeswehr gegeben“, und zwar auch der Polizei. Der gemeinsame Nenner lautet: zu üben, wie große Menschenmengen, ob Demonstranten oder unpolitische Festivalbesucher, mit Hilfe des Militärs unter Kontrolle gehalten werden können.
4. langfristig droht die Verschärfung dieser Repressionsberatung. Alle ZMZ-Tätigkeiten, so heißt es, geschähen „im Rahmen der verfassungsrechtlichen Vorgaben“. Aber das kann nicht beruhigen: denn das Weißbuch der Bundeswehr fordert nach wie vor die „Erweiterung“ der Verfassung in Richtung Inlandseinsätze. Das Thema ist ja nicht abgehakt.
5. Zum Lernziel der Kurse, die zivile KatSchutzkräfte an der bundeseigenen Akademie für Krisenmanagement, Notfallplanung und Zivilschutz (AKNZ) besuchen, gehört es, sicherzustellen (zitat) „dass die Teilnehmer die Grundlagen der weltpolitischen Veränderungen der neunziger Jahre und die darauf basierende Sicherheitsstrategie Deutschlands kennen lernen.“ Das hat mit Problemen, auf die sich Kommunen vorbereiten müssen – Industrieunfälle, Hochwasser usw. – nichts zu tun. Es geht hier erkennbar darum, die zivilen Kräfte in den Katastrophenschutzstäben an das militärische Denken und militärische Bedrohungsanalysen zu gewöhnen und sie auf die Militarisierung der Innenpolitik einzuschwören.
6. Es gibt schließlich noch ein immanentes Argument gegen ZMZ: Es besteht die Gefahr, dass zivile Behörden angesichts der knappen Finanzen verlockt sind, an ihren eigenen Katastrophenschutz-Fähigkeiten zu sparen und sich darauf verlassen, dass im Notfall schon die Bundeswehr helfen wird. Für diese gilt allerdings die Priorität des Auslandseinsatzes, sie weigert sich konsequent, verlässliche, dauerhafte Zusagen zu machen.
In diesem Zusammenhang noch ein Hinweis: Die Erweiterung der Verfassung braucht nicht in jedem Fall eine Mehrheit im Bundestag. Manchmal reicht eine andere Interpretation. Ein Beispiel dafür war etwa der G8-Einsatz in Heiligendamm. Früher hätte kein Politiker gewagt, den Einsatz von Kampfflugzeugen als einfache Amtshilfe auszugeben.
Ein anderes Beispiel ist erneut das Luftsicherheitsgesetz. Ich hatte ja vorher erwähnt, dass das Bundesverfassungsgericht die Abschussermächtigung aufgehoben hat. Andere Teile des Gesetzes sind aber immer noch in Kraft. Das betrifft zum Beispiel, mittels Kampfflugzeugen ein „verdächtiges“ Flugzeug abzudrängen, oder Warnschüsse abzugeben. Im Allgemeinen geht es darum: Darf die Bundeswehr zur Abwendung von Unglücksfällen – und dazu wird heutzutage auch ein Terroranschlag gezählt – militärische Mittel einsetzen? Das Bundesverfassungsgericht wird dieses Jahr noch eine Entscheidung darüber treffen. Stimmt es zu, dann wird damit zweifellos eine weitere Militarisierung des Katastrophenschutzes eingeleitet. Wir dürfen nicht vergessen, dass die Kardinalfrage immer lautet: Wer definiert, was genau eine Katastrophe ist? Die Definitionsmacht ist entscheidend, und sie liegt nicht bei uns…
Wie schon gesagt: Unter „Katastrophen“ versteht die Regierung auch geplante Terroranschläge, manche auch einen großen Streik, und ganz bestimmt gehören soziale Unruhen dazu.

Wer über die schrittweise Gewöhnung an Inlandseinsätze spricht, muss auch über Amtshilfe reden.
Das Grundgesetz sieht vor, dass sich die Behörden von Bund, Ländern und Kommunen gegenseitig Amtshilfe leisten. Das Verteidigungsministerium als Behörde tut dies auch. Beim G8-Gipfel 2007 haben wir allerdings gesehen, dass Amtshilfe ein großer Graubereich ist: Faktisch war das ein Militäreinsatz, bei dem mit Tornado-Flugzeugen, Spähpanzern und Hunderten von Feldjägern die Polizei gegen Demonstranten unterstützt wurde.
DIE LINKE hat nach dem G8-Gipfel angefangen, die Amtshilfemaßnahmen genauer zu erfassen, durch regelmäßige Kleine Anfragen. Das Ergebnis ist wie befürchtet: Es gab einen massiven Anstieg. Ende der 1990er Jahre hat es noch eine einzige Amtshilfe pro Jahr gegeben, 2008 waren es dann schon 31, 2009 44, und 2010 71 solcher Einsätze. Das ist zweifellos auch ein Ergebnis der ZMZ-Struktur, die ja gerade darauf ausgelegt ist, ich hatte es schon erwähnt, die Ausnahme zur Regel zu machen.
Die meisten Einsätze sind für sich genommen harmlos, etwa Streckenposten bei Sportveranstaltungen oder Sanitäter usw.
Aber wir müssen eine politische Bewertung vornehmen: Es ist ja klar, dass es keinen unabweisbaren Sachzwang dafür gibt, die Bundeswehr verstärkt in Anspruch zu nehmen. Dahinter stecken ein politischer Wille und eine politische Strategie: Die Bundeswehr schickt Soldaten als vermeintliche Freunde und Helfer in die Öffentlichkeit und setzt auf den Gewöhnungseffekt. Das ist eine psychologische Vorbereitung auf weitere Einsätze.

Linke und antimilitaristische Kräfte in den Kommunen sollten die Stadt- oder Kreisverwaltung auffordern, die ZMZ aufzukündigen (die Bundeswehr kann nur anbieten, nicht darauf bestehen, in den Kat-Stab aufgenommen zu werden!). Man muss immer die Frage stellen, welchen Nutzen die ZMZ denn bringen soll, und auf die Gefahren hinweisen. Ich habe dazu eine Musteranfrage vorbereitet, die von Linken-Abgeordneten in die Kommunalparlamente eingebracht werden kann, wer sie haben will, wendet sich am besten mit einer kurzen E-Mail an mein Büro.

Zweck

Ich will noch kurz einen Aspekt erwähnen, bei dem ich in diesem Kreis hier wahrscheinlich offene Türen einrenne, aber es muss auch mal erwähnt werden: Ich bin dagegen, die Debatte über Bundeswehreinsätze im Inland nur nach der Fragestellung zu diskutieren, ob sie wirklich mehr Sicherheit bringen würden. Sondern wir als LINKE müssen die Frage aufwerfen: Um wessen Sicherheit geht es hier eigentlich?
Einen Teil der Antwort haben wir schon, wenn wir uns in Erinnerung rufen, dass Einsätze anlässlich von Demonstrationen oder Streiks mit zum Programm gehören.
Einen anderen Teil können wir aus der Geschichte beziehen. Als allererste deutsche Verfassung können wir die Wiener Schlussakte von 1820 betrachten, dessen Artikel 26 auch Inlandseinsätze regelte. Es lohnt sich, den Wortlaut zu zitieren:
Wenn „in einem Bundesstaate durch Widersetzlichkeit der Unterthanen gegen die Obrigkeit die innere Ruhe unmittelbar gefährdet, und eine Verbreitung aufrührerischer Bewegungen zu fürchten, oder ein wirklicher Aufruhr zum Ausbruch gekommen“ sein sollte dann sollte das Militär zuschlagen.
Widersetzlichkeit der Unterthanen gegen die Obrigkeit, das ist eine schnörkellose Beschreibung des Einsatzzwecks. Die Geschichte von Inlandseinsätzen in Deutschland ist eine Geschichte des Niederschlagens von Demokratiebewegungen und revolutionären Ansätzen. Die 1848er Revolution, zahlreiche Streiks im Kaiserreich und der Weimarer Republik, die Revolution 1918/19, der hochgradig militarisierte Faschismus – es gibt keinen einzigen Inlandseinsatz, der sich etwa gegen eine Bedrohung des Staates von rechts gewandt hätte, es gab immer nur Einsätze gegen Demokraten und Linke, und immer im Interesse des Kapitals.
Das sollte uns bewusst sein, wenn die Herrschenden heute wieder anfangen, das Militär als „Hilfe“ zu rufen.

Militärreklame

Zu den größten Problemen der Bundeswehr gehört heute die Nachwuchswerbung. Zwar sinkt der Umfang der Bundeswehr, aber durch den Wegfall der Wehrpflicht ist die Truppe ganz und gar auf freiwillige Bewerbungen angewiesen. Wie viele das pro Jahr genau sein werden, ist noch nicht ganz klar, die Zahlen bewegen sich aber bei ungefähr 25.000 bis 35.000, das sind dann sowohl Zeitsoldaten als auch Freiwillig Grundwehrdienstleistende.
Der Verteidigungsminister hat erst vor wenigen Tagen wieder gesagt, er sehe große Probleme darin, diese Freiwilligen tatsächlich anzuwerben. Das war ja schon mit Wehrpflicht nicht einfach.
Um das Ziel halbwegs zu erreichen, führt die Bundeswehr jedes Jahr Tausende von Werbemaßnahmen in der Öffentlichkeit durch, angefangen von Heeresmusikkorps bis hin zu Werbeständen auf Messen und Ausstellungen. Dabei vermischt sie generell ihre Rekrutierungsarbeit, also das Werben um Nachwuchs, mit allgemeiner Öffentlichkeitsarbeit. Die Auslandseinsätze werden dabei gutgeheißen und die Kriegspolitik als alternativlos verkauft.
Um das Ausmaß anzudeuten: Die sog. Zentren für Nachwuchsgewinnung hatten sich für 2010 die Teilnahme an 684 Messen und Veranstaltungen vorgenommen, darunter Volksfeste und Ausbildungsmessen, aber auch zahlreiche Werbeauftritte auf Schulhöfen. 2009 waren es noch 547 solcher Messeauftritte. Es ist also innerhalb eines Jahres ein Anstieg um über 20 Prozent.
In diesem Jahr werden sich die Zahlen auf ähnlichem Niveau bewegen, es gibt allerdings eine große Unsicherheit bei den Werbern, weil sie gar nicht genau wissen, wofür sie werben sollen. Denn die neue Struktur der Bundeswehr steht noch gar nicht fest, das Gesetzgebungsverfahren läuft noch.
Was wir bereits jetzt registrieren können, ist ein starker Anstieg des Budgets für Anzeigen und ähnliche Reklame. Im Vergleich zu 2009 wird im aktuellen Jahr fast 50 Prozent mehr ausgegeben, d. h. 5,7 Millionen Euro. Ein Großteil davon hat die Springer-Presse kassiert, wo ganzseitige Anzeigen geschaltet wurden (eine davon habe ich mal mitgebracht). Auch für Werbespots im Fernsehen und Radio wird erheblich mehr Geld ausgegeben
Aus linker Sicht würde ich hier vor allem kritisieren, dass die Spots inhaltlich allesamt darauf zielen, die Bundeswehr als tollen Arbeitgeber darzustellen, der Jugendlichen Sport, Technik, Kameradschaft und Karrierechancen verspricht. Von den Gefahren ist dabei praktisch gar nicht die Rede – immerhin ist eine freiwillige Bewerbung damit verbunden, dass man sich zu Auslandseinsätzen bereit erklärt.
Besonders perfide funktioniert diese Taktik im Bereich des sog. Jugendmarketing: Die Bundeswehr veranstaltet eine Menge von „Events“, die sportlicher Natur sind, wie Bw-Beachen oder die Schul-Liga, ein Hallenfußball-Turnier, bei dem die Bundeswehr Hauptsponsor war. Daran beteiligen sich insgesamt mehrere Tausend Jugendliche, die teilweise auf Kosten des Militärs Reisekosten und Unterkunft erhalten. Den Jugendlichen wird Sport und Spaß geboten, aber im Hintergrund läuft die ganze Zeit Militärpropaganda. Bei der Schulliga etwa waren Wehrdienstberater im Einsatz, haben Bundeswehr-T-Shirts verteilt und Anwerbungsgespräche geführt, sich gemeinsam mit den Siegermannschaften ablichten lassen usw.

Wer einen vollständigen Überblick über die verschiedenen Reklame-Formate haben will, dem kann ich das Buch von Michael Schulze von Glasser empfehlen, „An der Heimatfront“.

Bei solchen Reklamemaßnahmen geht es immer um zwei Sachen: zum einen direkt Nachwuchs anzuwerben, zum anderen „das Bewusstsein für die gesellschaftliche Notwendigkeit des Dienens schaffen“, wie ich das erst gestern in einer Bundeswehr-Zeitschrift gelesen habe („aktuell“, 16. 5. 2011).

Nach jüngeren Studien sind Jugendliche allenfalls im einstelligen Prozentbereich „unter Umständen“ an einer Laufbahn in der Bundeswehr interessiert. Ich finde das einerseits positiv, weil es zeigt, dass selbst angesichts des Drucks von Hartz IV und Jugendarbeitslosigkeit die allermeisten Jugendlichen es ablehnen, sich beim Militär zu verdingen.
Andererseits, und da sind wir als LINKE gefordert: Es ist nun einmal eine Tatsache, dass sich beim Bund fast nur Jugendliche bewerben, die sonst nirgends eine Chance haben. Nicht umsonst gibt es heute an fast jedem Arbeitsamt auch Informationsveranstaltungen bzw. Sprechstunden von Wehrdienstberatern. Der Zusammenhang zwischen Arbeitslosigkeit und Bewerbungen zeigt sich etwa darin, dass Ostdeutsche überproportional beim Bund vertreten sind (ein Drittel der Soldaten, obwohl nur ein Fünftel der Gesamtbevölkerung). Um das mal zugespitzt auszudrücken: Die Bundeswehr wird zu einer Armee der Proletarier, die für die Kapitalisten ihr Leben einsetzen und andere Proletarier umbringen sollen.
Ich würde es gut und wichtig finden, wenn unsere Antirekrutierungs-Arbeit diesen Zusammenhang stärker beleuchten würde.

Militär raus aus Schulen!

Zentral für die Werbung sind die Schulen, an die Jugendoffiziere und Wehrdienstberater entsandt werden.
Es heißt immer wieder, es gebe dabei keine direkte Werbung fürs Militär. Das ist falsch.
Man muss unterscheiden: Es gibt Jugendoffiziere, und es gibt Wehrdienstberater.
Die 94 hauptamtlichen Jugendoffiziere sind dabei eher für die politische Überzeugungsarbeit zuständig. Sie bieten sich gegenüber den Schulen als Referenten an, wenn auf dem Lehrplan zwei Stunden Sicherheitspolitik stehen. Das Motto lautet: Man soll sich einen „Experten vom Fach“ einladen. Die Jugendoffiziere stellen die offiziellen Sichtweisen – und nur diese – der Bundeswehr dar, der deutschen Sicherheitspolitik, der NATO, auch des Afghanistan-Krieges. Letzes Jahr wurden 142.000 Jungen und Mädchen von einem Offizier auf diese Weise „unterrichtet“.

Zu den Jugendoffizieren kommen dann noch die Wehrdienstberater. Diese betreiben ausschließlich Nachwuchswerbung und stellen den „Arbeitgeber“ Bundeswehr dar. Knapp 200.000 Jugendliche wurden in Vorträgen in Klassenzimmern erreicht, hinzu kommen Werbemaßnahmen auf Schulhöfen, wenn die Bundeswehr sich etwa an Projekttagen usw. beteiligt oder mit ihrem Info-Truck vorfährt.
Man muss dazu wissen: Der Vortrag des Jugendoffiziers gilt als regulärer Unterricht, mit Anwesenheitspflicht. Freiwillig ist nur die Entscheidung des Lehrers, auf das Angebot der Bundeswehr einzugehen. Und da gibt es zunehmend Druck von oben, denn die Bundeswehr hat vor zwei Jahren damit begonnen, mit den Bundesländern Kooperationsabkommen zu vereinbaren. Diese signalisieren den Lehrern vor Ort eindeutig: Sowohl Bundeswehr als auch Bildungsministerium halten es für richtig, dass Lehrer die Jugendoffiziere einladen. In NRW hat der hiesige Jugendoffizier schon festgestellt, dass dieses politische Signal zu einem messbaren Anstieg der Einladungen an Schulen geführt habe, die genauen Zahlen werden wir noch abfragen. 2009 haben sie jedenfalls in NRW über 33.000 Schüler erreicht.

Zur Rechtslage gibt es ein Gutachten vom Wissenschaftlichen Dienst des Bundestages, das im Wesentlichen besagt: Schulunterricht muss politisch neutral sein. Dabei gelten die bildungspolitischen Grundsätze, wie sie im sog. Beutelsbacher Konsens festgelegt sind: In diesem Zusammenhang vor allem das Kontroversitätsgebot. Das bedeutet: Was in der Gesellschaft als umstritten gilt, muss auch im Unterricht als strittig dargestellt werden. Das muss also auch für Bundeswehreinsätze gelten, zumal ja die Mehrheit der Bevölkerung etwa gegen den Afghanistan-Einsatz ist. Doch diese kontroverse Darstellung können Jugendoffiziere nicht leisten. Sie dürfen es nicht einmal: Ihre Dienstanweisung, das „Handbuch der Jugendoffiziere“, schreibt ihnen ausdrücklich vor: „Für die Arbeit müssen Sie sich immer an politische Grundsatzaussagen, Analysen und Hintergrundinformationen aus den Bereichen der Sicherheits- und Verteidigungspolitik des BMVg« (des Verteidigungsministeriums) bzw. anderer vorgesetzter Dienststellen halten.“
Ein Jugendoffizier ist demnach kein „Experte“, sondern eine Art PR-Agent. Um das mal zu vergleichen: Das wäre so, als würde man den Pressesprecher eines Energiekonzerns als „Experte“ in Sachen Atomkraft einladen.

Wichtig ist noch der Hinweis auf einen Aspekt, der häufig zu kurz kommt: Der Einsatz uniformierter Soldaten an den Schulen ist schon schlimm genug. Aber es gibt auch eine Form der militärpolitischen Indoktrination, die das „Einbetten“ von Lehrern betreibt: Die Zahl der Referendare, die Ausbildungsangebote der Bundeswehr nutzen, ist seit dem Jahr 2003 von 50 auf nunmehr 1.073 hochgeschnellt. Weitere 3.266 Lehrer haben 2009 Fortbildungen beim Militär besucht. Sie lernen dort die Sicht auf die Militärpolitik, die sie den Schülern vermitteln sollen.

Hier in NRW gab es ja vor kurzem eine Anhörung im Landtag, Anlass war ein Antrag der Linken, das Kooperationsabkommen zu kündigen. Dabei gab es verschiedene Ansichten, ob man den Auftritt der Jugendoffiziere an Schulen komplett verbieten sollte, oder man ihn dann zulässt, wenn auch Friedensbewegte dort auftreten. Nach meinem Dafürhalten sind Bundeswehr und Friedensbewegung nicht vergleichbar, weil letztere ganz einfach nicht das Personal und die Finanzen hat wie das Militär. Zudem würde ein scheinbar konkurrierender Auftritt von Seiten der Friedensbewegung den Militäreinsatz als legitim darstellen. Ich kann aber nicht einsehen, welchen pädagogisch wertvollen Beitrag Offiziere an Schulen zu leisten hätten, deshalb plädiere ich für ihren Ausschluss von dort.

Das Thema Militär an Schulen wird von immer mehr Organisationen weit über die klassische Friedensbewegung hinaus als wichtig erkannt. Der GEW-Bundesvorstand hat sich ebenfalls gegen die einseitige Beeinflussung von Kindern ausgesprochen. Auch die Kinderschutzbewegung terre des hommes, die darauf hinweist, man könne nicht woanders gegen Kindersoldaten sein, und zugleich hier Militärreklame vor Kindern durchführen. Die Linksjugend „solid“ hat jetzt ebenfalls beschlossen, die Anti-Rekrutierungsarbeit zum Schwerpunkt zu machen.

Sich dagegen zu wehren, kann heißen: konkrete Protestaktionen von Schülern unterstützen, es auf ein Gerichtsverfahren wegen vermeintlichen Schwänzens ankommen lassen. Möglich ist aber auch, sich in den Schulgremien, Elternräten usw. zu engagieren. Ich selbst stelle regelmäßig Anfragen zu den bevorstehenden Terminen der Bundeswehr-Werber, was Protestaktionen erleichtert.

Es gibt nun bundesweit schon einige Schulen, deren Schulkonferenzen sich auf Initiative von Gewerkschaftern oder Eltern für bundeswehrfrei erklärt haben. Dort werden weder Wehrdienstberater noch Jugendoffiziere eingeladen. Der Bayerische Elternverband hat ein Musterformular erarbeitet, mit dem die Eltern unter Hinweis auf ihr Erziehungsrecht die Beurlaubung ihrer Kinder fordern, wenn Militärs an die Schule kommen.
Wobei ich sagen möchte, dass ich es besser finde, wenn kritische Schüler nicht einfach wegbleiben, sondern sich gemeinsam wehren.
Generell gilt: Wenn Soldaten in die Öffentlichkeit drängen, sollte die Friedensbewegung sie mit Protest konfrontieren. Erfahrungsgemäß reagieren die Militärs sehr empfindlich, wenn ihre Reklameauftritte durch Gegenaktionen konterkariert werden. Sie will ja Beliebtheitspunkte sammeln, und schon die Ankündigung von Protest genügt häufig, das Militär zu einer Absage von Schulbesuchen oder öffentlichen Auftritten zu bewegen.

Dieser Kampf bietet gute Möglichkeiten, die Sorge von Eltern um einseitige Beeinflussung ihrer Kindern mit grundsätzlicher Militarismuskritik zu verknüpfen. Diese Chance sollten wir als linke Kraft unbedingt nutzen und uns in diese Kämpfe einbringen. Indem wir der Bundeswehr den Nachwuchs streitig machen, gefährden wir damit direkt ihre Kriegführungsfähigkeit.