Die Fraktion Die Linke im Bundestag hat sich in einer kleinen Anfrage nach der möglichen Aufstellung eines nationalen Integrationsplans für Roma und Sinti erkundigt, wie er jüngst von der EU-Kommission gefordert worden war. Aus der nun vorliegenden Antwort der Bundesregierung geht hervor, daß »eine spezielle Integrationsstrategie nicht erforderlich« sei. Die seit Generationen in Deutschland lebenden Roma und Sinti sähen sich selbst als gut integriert. Den in den vergangenen Jahrzehnten zugewanderten Roma stünden »dieselben Integrationsprogramme offen wie anderen Ausländern«. Auch im Bereich der Bekämpfung von Antiziganismus sieht die Bundesregierung keinen Handlungsbedarf. Sie verweist auf die bestehenden Förderprogramme für Toleranz, an denen sich vereinzelt auch Projekte mit einer spezifischen Ausrichtung auf Roma beteiligen.
Aus der Antwort der Bundesregierung spricht das pure Desinteresse, sich mit der Lage von Sinti und Roma in Deutschland überhaupt ernsthaft zu beschäftigen. Mangelnde Erkenntnisse lägen an fehlenden Daten – in Deutschland werde generell keine »Volkszugehörigkeit« statistisch erfaßt, redet sich die Bundesregierung raus. Im Rahmen soziologischer Studien ist es aber sehr wohl möglich, Problemfelder zu erfassen und Handlungsempfehlungen zu entwickeln – wenn es ein politisches Interesse daran gibt.
Das zeigt eine Studie, die Ende Mai in Berlin vorgestellt wurde und auch der Bundesregierung vorliegt. Im Auftrag einer Roma-Organisation (RomnoKher) und unterstützt durch die Stiftung »Erinnerung, Verantwortung und Zukunft« wurden 275 Sinti interviewt, um einen Einblick in ihre Bildungsbiographien zu gewinnen. Die »Studie zur aktuellen Bildungssituation deutscher Sinti und Roma« ist zwar nicht als repräsentativ zu bewerten, liefert aber dennoch einige interessante Hinweise.
Demnach ist ein wichtiger Faktor in der nach wie vor schlechten Bildungsbeteiligung von Roma und Sinti die Erfahrungen während des deutschen Faschismus. Roma und Sinti wurden systematisch entrechtet und waren an Schulen ihren faschistischen Lehrern und Mitschülern ausgeliefert. Viele verließen die Schule, 1941 wurden sie als »Fremdrassige« endgültig ausgeschlossen. Die fehlende schulische Bildung der Großeltern, die Traumatisierung durch KZ und Vernichtungslager und den Tod vieler Verwandter, nicht zuletzt die Skepsis gegenüber staatlichen Institutionen wirkt über die Eltern bis heute fort. 40 Prozent der Befragten über 51 Jahre gaben an, keine Grundschule besucht zu haben, selbst bei den 14- bis 25jährigen sind es immer noch 9,4 Prozent (im Bevölkerungsschnitt unter ein Prozent). Hinzu kommt, daß weiterhin Roma-Kinder als »sozial schwierig« abgestempelt und in Förderschulen abgeschoben werden, in der Studie immerhin 10,7 Prozent der Befragten. Ein Gymnasium besuchten oder besuchen dagegen nur sechs der Befragten (im Bevölkerungsschnitt: 24,4 Prozent). Dramatisch ist der Anteil derjenigen, die ohne Bildungsabschluß sind: 44 Prozent im Vergleich zu 3,9 Prozent im Bevölkerungsschnitt. Entsprechend schlecht sind ihre Aussichten, später einmal einer qualifizierten Beschäftigung nachgehen zu können. Die Studie kommt zu dem Ergebnis, daß es weiterhin eine massive Marginalisierung und Diskriminierung von Roma und Sinti in Deutschland gibt. Die Autoren empfehlen daher, »einen nationalen Aktionsplan für eine Generationen übergreifende Bildungsförderung für Sinti und Roma zu erstellen«.