Nach Zählung des Verfassungsschutzes gibt es erheblich mehr gewaltbereite Nazis als sogenannte »Linksextremisten«: Dem Amt zufolge beträgt das Verhältnis 9500 zu 6800. Für die linke Szene bedeute das einen leichten Anstieg um 200, bei der rechten Szene um 500 »Gewaltbereite«. Die Zahlen finden sich im Jahresbericht 2010 des Bundesamtes für Verfassungsschutz, den Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) am Freitag in Berlin vorstellte.
Friedrich beeilte sich, die Zahlen passend zu interpretieren: Betrachte man die Straftaten, »bei denen tatsächlich Gewalt angewandt wird, stellt man fest: Sie werden mehrheitlich von Linksextremisten verübt.« Zudem gebe es gegenwärtig »gigantisch anwachsende Zahlen«.
Mehr militante Nazis
In der Sichtweise des Verfassungsschutzes gilt als »linksextrem«, wer den Kapitalismus überwinden will. Dementsprechend wird der Partei Die Linke vorgeworfen, antikapitalistische Zusammenschlüsse zu tolerieren bzw. deren Vertreter gar in den Vorstand zu wählen. Genannt werden die Sozialistische und die Antikapitalistische Linke, die Kommunistische Plattform und der Geraer Dialog. Gemeint ist aber die ganze Partei: Als schwer belastendes Indiz vermerkt der Verfassungsschutz, daß im Entwurf des Parteiprogramms die »Überwindung der Dominanz kapitalistischen Eigentums in der Wirtschaft« gefordert wird. In der Partei sammelten sich Kräfte, die eine Veränderung der Staats- und Gesellschaftsform wollten, so Friedrich, der daraus folgerte, sie werde zu Recht beobachtet.
Insgesamt gibt es nach amtlicher Feststellung 32600 »Linksextremisten« und 25000 Rechtsextremisten. Bei letzteren handelt es sich u.a. um 6600 NPD-Mitglieder sowie 3000 Mitglieder der in Auflösung befindlichen Deutschen Volksunion. Damit hat die Anhängerschaft von Naziparteien deutlich abgenommen (2009 waren es noch 11300 Mitglieder). Zugelegt hat hingegen der harte Kern an Neonazis: Von 5000 auf 5600. Dabei seien die Autonomen Nationalisten »die am schnellsten wachsende Strömung« mit jetzt rund 1000 Angehörigen. Der Bericht vermerkt kontinuierliche Kooperationen auf internationaler Ebene und nennt die vor allem in Nordrhein-Westfalen tätigen »Pro-Bewegungen«, die mit Faschisten aus Österreich, Spanien und Belgien antimuslimische Kampagnen führen.
Neofaschisten schreibt der Verfassungsschutz insgesamt 16375 Straftaten zu, darunter 806 Gewalttaten, jeweils rund 15 Prozent weniger als im Vorjahr. Einen ähnlichen Rückgang gab es bei den Linken: Auf 6898 Straftaten und 1377 Gewalttaten. Dabei wird unterstellt, insbesondere Autonome und Antifaschisten griffen gezielt Polizeibeamte an. Inwiefern es sich dabei um die Abwehr polizeilicher Angriffe auf linke Demonstrationen handelt, wird nicht erfaßt. Der Verfassungsschutz registriert hierbei sogar das nächtliche Werfen von Farbeiern auf Gebäude. Es werden einige Brandstiftungen an Bundeswehrfahrzeugen aufgeführt, aber auch vermerkt, daß den Täten viel daran liege, keine Unbeteiligten zu schädigen. Dessen ungeachtet gab Niedersachsens Innenminister Uwe Schünemann (CDU) am Freitag den Oberscharfmacher und warf linken Gewalttätern vor, sie stünden »an der Schwelle zu einem neuen Linksterrorismus«. Initiativen wie der »Interventionistischen Linken« wird vorgeworfen, eine »Scharnierfunktion« zwischen gewaltbereiten und nicht-gewaltbereiten Linken zu erfüllen.
Antifaschismus illegitim
Auf der Pressekonferenz warnte Friedrich vor einer Gewaltspirale: Es gebe sowohl bei Linken als auch bei Rechten zunehmend Bereitschaft, die jeweiligen Gegner direkt anzugreifen. Der Minister ließ allerdings keinen Zweifel, daß er auch die nicht-militante Arbeit von Antifagruppen für illegitim hält: Diesen ginge es in Wahrheit gar nicht um den Kampf gegen die Nazis, sondern um einen Kampf gegen die Demokratie. Als »Beleg« muß wiederum linke Kritik am Kapitalismus herhalten.
Widersprüchlich zeigt sich der Bericht bei der Beschreibung der alljährlich im Februar stattfindenden Neonaziaufmärsche in Dresden: Einerseits betont der Verfassungsschutz, solche Aufmärsche hätten für die Rechten »hohe Signalwirkung«, umso schwerer wiege daher der Umstand, »daß die bisher größte derartige Veranstaltung, der … Trauermarsch« in Dresden … im Jahr 2010 durch Sitzblockaden, Straßensperrungen und Barrikadenbau verhindert werden konnte«, was für die Nazis »frustrierende Mißerfolge« darstellten. An anderer Stelle wird dagegen genau diese Leistung als »typische militante Aktionen von Linksextremisten« diffamiert.
Last not least betonte Friedrich, auch im Bereich des »islamistischen Terrorismus« gebe es »keinen Grund zur Entwarnung«. Die Mitgliederzahl islamistischer Vereinigungen sei um 1200 auf 37470 gestiegen.